Entscheidungsdatum: 02.09.2010
1. Es bleibt offen, ob ein in Deutschland ansässiges deutsches Kind einen eigenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seinen sorgeberechtigten ausländischen Vater hat.
2. Selbst wenn das Kind einen solchen Anspruch hätte, würde dieser mit Erfüllung des gleichgerichteten Anspruchs seines Vaters erlöschen. Mit der Titulierung des Anspruchs des Vaters entfällt das Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung des - hier unterstellten - Anspruchs des Kindes.
3. Für eine Klage auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an einen Familienangehörigen für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum fehlt ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis. Nach Art. 6 GG schützenswert ist allenfalls das Interesse an der Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft, nicht aber das Interesse an der Verfestigung des Aufenthalts eines Familienangehörigen durch rückwirkende Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
I.
Der Kläger zu 1, ein nach erfolglos gebliebenem Asylverfahren geduldeter indischer Staatsangehöriger, und dessen minderjähriger Sohn deutscher Staatsangehörigkeit, der Kläger zu 2, begehren die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger zu 1 zur Ausübung der Personensorge. Die elterliche Sorge für den Kläger zu 2 wurde den Eltern hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge und der Vertretung für die Beantragung öffentlicher Hilfen entzogen. Der Kläger zu 2 lebt auf Dauer in einer Pflegefamilie und wird von seinem Vater zweimal monatlich unter Aufsicht besucht. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers zu 1 hat das Berufungsgericht die Beklagte verpflichtet, dem Kläger zu 1 eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG zu erteilen; hinsichtlich der begehrten rückwirkenden Erteilung hat es die Berufung zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers zu 2 hat der Verwaltungsgerichtshof wegen fehlender Klagebefugnis vollumfänglich zurückgewiesen. Gegen das Urteil haben beide Kläger Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.
II.
Die Beschwerden, mit denen ein Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr.1 VwGO) geltend gemacht wird, bleiben ohne Erfolg.
1. Soweit die Berufung des Klägers zu 1 mit dem gestaffelten Begehren rückwirkender Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohne Erfolg geblieben ist, rügt er mit seiner Beschwerde einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO als Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dazu ist ausgeführt, bereits den Feststellungen des Verwaltungsgerichts lasse sich entnehmen, dass zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 2008 eine familiäre Lebensgemeinschaft zwischen den Klägern bestanden habe. Die Umgangskontakte seien in der gleichen Art und Intensität fortgeführt worden. Daher widerspreche es den Denkgesetzen, unter unveränderten Umständen im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung das Bestehen einer Lebensgemeinschaft zu bejahen, zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung jedoch zu verneinen. Diese Rüge greift nicht durch.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind die Grundsätze der Beweiswürdigung revisionsrechtlich grundsätzlich dem sachlichen Recht zuzuordnen (vgl. nur Beschlüsse vom 12. Januar 1995 - BVerwG 4 B 197.94 - Buchholz 406.12 § 22 BauNVO Nr. 4 S. 4 = NVwZ-RR 1995, 310; vom 2. November 1995 - BVerwG 9 B 710.94 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f. = NVwZ-RR 1996, 359 und vom 14. Juli 2010 - BVerwG 10 B 7.10 - juris Rn. 4 ff., jeweils m.w.N.). Ausnahmsweise kann aber ein Verfahrensfehler u.a. dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (Beschlüsse vom 25. Juni 2004 - BVerwG 1 B 249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 und vom 16. Juni 2003 - BVerwG 7 B 106.02 - Buchholz 303 § 279 ZPO Nr. 1 = NVwZ 2003, 1132 <1135>, jeweils m.w.N.). So kann z.B. ein Verstoß gegen die Denkgesetze als Verfahrensmangel gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügt werden, wenn er nicht die Anwendung des materiellen Rechts betrifft, sondern - dieser gleichsam vorgelagert - sich ausschließlich auf die tatsächliche Würdigung beschränkt und damit dem Tatsachenbereich zuzuordnen ist (Beschluss vom 3. April 1996 - BVerwG 4 B 253.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 269; Urteil vom 19. Januar 1990 - BVerwG 4 C 28.89 - BVerwGE 84, 271 <272 ff.>). Eine darauf abzielende Verfahrensrüge greift aber nur durch, wenn das Gericht einen Schluss gezogen hat, der schlechterdings nicht gezogen werden kann. Ein Tatsachengericht hat nicht schon dann gegen Denkgesetze verstoßen, wenn es nach Meinung des Beschwerdeführers unrichtige oder fernliegende Schlüsse gezogen hat; ebenso wenig genügen objektiv nicht überzeugende oder sogar unwahrscheinliche Schlussfolgerungen. Es muss sich vielmehr um einen aus Gründen der Logik schlechthin unmöglichen Schluss handeln (Beschlüsse vom 8. Juli 1988 - BVerwG 4 B 100.88 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 34 und vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133
Ob und ab wann eine für die Begründung eines Aufenthaltsrechts nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG ausreichende familiäre Lebensgemeinschaft zwischen dem ausländischen Elternteil und seinem deutschen Kind besteht, obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung. Das Berufungsgericht hat seine Annahme, bis zum Eingang der Stellungnahme der Sozialarbeiterin J. vom 10. Februar 2010 seien u.a. wegen Unterbrechungen der Besuchskontakte die Anspruchsvoraussetzungen der genannten Vorschriften nicht erfüllt gewesen, ausführlich begründet (UA S. 8 ff.). Es hat darauf abgestellt, dass erst in neuester Zeit eine dem Kindeswohl förderliche gefestigte Beziehung zwischen den Klägern vorliegt, die ein Aufenthaltsrecht gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG zu begründen vermag. Die Annahme einer erst im Laufe der Zeit eingetretenen Verfestigung der Vater-Kind-Beziehung erscheint angesichts der besonderen Umstände des vorliegenden Falles nachvollziehbar. Demgegenüber verschließt sich die Beschwerde mit dem Vorbringen, Intensität und Häufigkeit der Besuche hätten sich nicht verändert, dem die Qualität der Beziehung zwischen Vater und Sohn bewertenden Ansatz des Berufungsgerichts. Eine denkgesetzlich unmögliche, logisch fehlerhafte Schlussfolgerung des Berufungsgerichts ist insoweit nicht erkennbar.
2. Der Kläger zu 2 wirft mit seiner Beschwerde im Hinblick auf das ihm gegenüber ergangene Prozessurteil die Grundsatzfrage auf,
"ob (deutsche) Familienangehörige der Kernfamilie, insbes. das deutsche minderjährige Kind eines ausreisepflichtigen Ausländers, selbst im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, § 42 Abs. 2 VwGO klagebefugt gegen die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind und worauf sich ggf. ihr Klageziel richten darf, insbes. ob sich deren Klagebefugnis auf eine Verpflichtungsklage bezieht oder ihnen nur die Möglichkeit einer Anfechtungsklage verbleibt."
Die damit angesprochene, über die Klagebefugnis hinausreichende Frage, ob ein in Deutschland ansässiger Ehepartner bzw. Familienangehöriger aus dem persönlichen Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG einen eigenen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen an seinen Ehepartner bzw. nahen Familienangehörigen besitzt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet (bejahend: OVG Berlin, Urteil vom 16. Dezember 2003 - 8 B 26.02 - juris Rn. 20 ff.; verneinend: VGH Mannheim, Urteil vom 10. Dezember 1986 - 11 S 644/86 - NVwZ 1987, 920). Dennoch ist die Revision nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, da die aufgeworfene Frage - soweit sie klärungsbedürftig erscheint - in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig ist.
a) Im Hinblick auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für die Zukunft ist die Grundsatzfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Denn mit Zurückweisung der Beschwerde des Klägers zu 1 erwächst das stattgebende Berufungsurteil in Rechtskraft (§ 133 Abs. 5 Satz 3 VwGO) und ist dessen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AufenthG tituliert. Damit hat sich das auf das gleiche Ziel gerichtete Klagebegehren des Klägers zu 2 in dem vom Berufungsgericht zugesprochenen Umfang (Erteilung der Aufenthaltserlaubnis ohne Rückwirkung) erledigt. Insoweit ist das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage des Klägers zu 2 - unabhängig von der positiven oder negativen Beantwortung der Grundsatzfrage - entfallen. Denn selbst wenn man dem Kläger zu 2 als Kind deutscher Staatsangehörigkeit aus § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 27 Abs. 1 AufenthG und Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ein eigenes subjektives Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels an seinen Vater zubilligen wollte, stünden die Ansprüche von Vater und Sohn zueinander in einem Abhängigkeitsverhältnis gleichsam den Forderungen von Gesamtgläubigern: Wird der Anspruch eines Klägers erfüllt, erlischt auch der - hier unterstellte - Anspruch des anderen Klägers. Konsequenterweise entfällt durch die Titulierung des Anspruchs eines Klägers das Rechtsschutzbedürfnis für die gerichtliche Geltendmachung eines gleichgerichteten Anspruchs durch den anderen Kläger.
b) Für das Begehren auf rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an seinen Vater fehlt dem Kläger zu 2 ebenfalls das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, auch wenn der Verwaltungsgerichtshof insoweit der Berufung des Klägers zu 1 nicht stattgegeben hat. Nach der Rechtsprechung des Senats kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum nach der Antragstellung nur beansprucht werden, wenn der Ausländer daran ein schutzwürdiges Interesse hat. Dies gilt unabhängig davon, ob der Aufenthaltstitel für einen späteren Zeitpunkt bereits erteilt worden ist oder nicht. In diesem Sinne hat der Senat ein schutzwürdiges Interesse angenommen, wenn es für seine weitere aufenthaltsrechtliche Stellung erheblich sein kann, von welchem Zeitpunkt an der Ausländer den begehrten Aufenthaltstitel besitzt (vgl. Urteil vom 9. Juni 2009 - BVerwG 1 C 7.08 - Buchholz 402.242 § 9a AufenthG Nr. 1 = NVwZ 2009, 1431 m.w.N.).
Ein dahingehendes schutzwürdiges Interesse des Klägers zu 2 ist aber weder dargelegt noch ersichtlich. Selbst wenn man - zu seinen Gunsten - das Bestehen eines aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG abgeleiteten eigenen subjektiven Rechts auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an seinen Vater unterstellt, zielt dieses prospektiv auf die Ermöglichung des Aufenthalts in Deutschland, um hier eine familiäre Lebensgemeinschaft herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Der Kläger zu 1 hat sich aber in der Vergangenheit im Bundesgebiet aufgehalten. Auf dessen Interesse an der Verfestigung und Verselbständigung seines Aufenthaltsrechts, das hinter der rückwirkenden Geltendmachung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis steht, kann sich der Kläger zu 2 nicht berufen. Denn seinem Interesse an der Aufrechterhaltung der Lebensgemeinschaft mit dem Vater im Bundesgebiet ist durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und Berücksichtigung der schutzwürdigen Bindungen gemäß Art. 6 GG und Art. 8 EMRK bei eventuellen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen Genüge getan. Mit Blick auf die begehrte rückwirkende Erteilung der Aufenthaltserlaubnis an einen Familienangehörigen fehlt der aufgeworfenen Frage daher die Klärungsbedürftigkeit in einem Revisionsverfahren.