Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 23.10.2017


BVerwG 23.10.2017 - 1 B 144/17

Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
23.10.2017
Aktenzeichen:
1 B 144/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:231017B1B144.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, 8. August 2017, Az: 1 A 11637/16, Urteilvorgehend VG Trier, 9. September 2016, Az: 1 K 2525/16.TR

Gründe

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Die Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.

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1. Der Kläger hat eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht dargelegt.

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1.1 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine abstrakte, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn sich die aufgeworfene Frage im Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110 und vom 10. März 2015 - 1 B 7.15 - juris).

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Für die Zulassung der Revision reicht, anders als für die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO/§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG (BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - BVerwGE 70, 24 <26>), eine Tatsachenfrage grundsätzlicher Bedeutung nicht aus. Die Klärungsbedürftigkeit muss vielmehr in Bezug auf den anzuwendenden rechtlichen Maßstab, nicht die richterliche Tatsachenwürdigung und -bewertung bestehen; auch der Umstand, dass das Ergebnis der zur Feststellung und Würdigung des Tatsachenstoffes berufenen Instanzgerichte für eine Vielzahl von Verfahren von Bedeutung ist, lässt für sich allein nach geltendem Revisionszulassungsrecht eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht zu. Der Gesetzgeber hat insoweit auch für das gerichtliche Asylverfahren an den allgemeinen Grundsätzen des Revisionsrechts festgehalten und für das Bundesverwaltungsgericht keine Befugnis eröffnet, Tatsachen(würdigungs)fragen grundsätzlicher Bedeutung in "Länderleitentscheidungen", wie sie etwa das britische Prozessrecht kennt, zu treffen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 8. September 2011 - 10 C 14.10 - BVerwGE 140, 319 Rn. 28 - zur Feststellung einer extremen Gefahrenlage) haben sich allerdings die Berufungsgerichte nach § 108 VwGO (erkennbar) mit abweichenden Tatsachen- und Lagebeurteilungen anderer Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auseinanderzusetzen.

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Anderes folgt auch nicht aus dem Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 2016 (2 BvR 31/14 - InfAuslR 2017, 75). Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Beschluss nicht entschieden, dass in Fällen, in denen Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe auf der Grundlage (weitestgehend) identischer Tatsachenfeststellungen zu einer im Ergebnis abweichenden rechtlichen Beurteilung kommen, stets und notwendig eine (klärungsbedürftige) Rechtsfrage des Bundesrechts vorliegt, welche eine Rechtsmittelzulassung gebietet, um den Zugang zur Rechtsmittelinstanz nicht in einer durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigenden Weise zu erschweren. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr als Grund der bei als identisch angenommener Tatsachengrundlage im Ergebnis unterschiedlichen Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen einerseits, des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg andererseits eine unterschiedliche Rechtsauffassung zur Rechtsfrage bezeichnet, ob der Asylbewerber tatsächlich politisch aktiv war oder ob es ausreicht, dass die Behörden des Heimatstaates von einer solchen Betätigung ausgingen. Für Tatsachenfragen - und damit auch für Unterschiede bei der tatsächlichen Bewertung identischer Tatsachengrundlagen - hat es vorab ausdrücklich bestätigt, dass wegen der Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) eine weitergehende Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch das Bundesverwaltungsgericht ausscheidet. Auch in Fällen (weitgehend) identischer Tatsachengrundlagen ist für die Revisionszulassung mithin eine Darlegung erforderlich, dass die im Ergebnis abweichende Bewertung der Tatsachengrundlage eine klärungsbedürftige Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, und diese Frage hinreichend klar zu bezeichnen.

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Im Ergebnis unterschiedliche Bewertungen von Tatsachen bei (weitgehend) identischer Tatsachengrundlage weisen auch nicht auf rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftige Fragen zur Auslegung und Anwendung des § 108 VwGO hin; im Übrigen sind (mögliche) Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen. Ein - hier nicht geltend gemachter - Verfahrensfehler kann ausnahmsweise dann gegeben sein, wenn die Beweiswürdigung objektiv willkürlich ist, gegen die Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet (BVerwG, Beschlüsse vom 25. Juni 2004 - 1 B 249.03 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 284 und vom 23. September 2011 - 1 B 19.11 - juris, jeweils m.w.N.). Ein Verfahrensmangel bei der Beweiswürdigung liegt aber nur dann vor, wenn sich der gerügte Fehler hinreichend eindeutig von der materiellrechtlichen Subsumtion, d.h. der korrekten Anwendung des sachlichen Rechts abgrenzen lässt und der Tatrichter den ihm bei der Tatsachenfeststellung durch den Grundsatz freier Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffneten Wertungsrahmen verlassen hat.

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1.2 Nach diesen Grundsätzen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache schon nicht dargelegt. Aus den oben erläuterten Unterschieden zwischen Berufung und Revision ergibt sich, dass die Revision entgegen der Auffassung des Klägers nicht zur Klärung der mit der Beschwerde aufgeworfenen Frage zur Bewertung der Verfolgungslage in Syrien zuzulassen ist. Eine klärungsbedürftige Rechtsfrage zeigt der Kläger insbesondere nicht mit der von als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichneten (Tatsachen-)Frage auf,

"ob einer Flucht aus Syrien auf Grund der Wehrdienstentziehung eine klärungsbedürftige grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage folgt".

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Weder mit der so formulierten Frage noch mit dem Hinweis darauf, dass diese Frage insoweit zu bejahen sei, "als sich (...) aus der Tatsachenfrage die grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage stellt, ob der Bewertung der Tatsachenfrage ein Verfahrensfehler innewohnt", was hier zu bejahen sei, weil die Rechtsvorschriften des § 108 VwGO sowie des Art. 103 Abs. 1 GG verletzt worden seien, und den daran anknüpfenden Ausführungen, mit denen der Kläger die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts angreift, legt die Beschwerde eine klärungsfähige Rechtsfrage dar (s.a. BVerwG, Beschluss vom 24. April 2017 - 1 B 70.17 - NVwZ-RR 2017, 598), und zwar weder zum materiellen Asylrecht noch zu den bezeichneten Verfahrensvorschriften.

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2. Die geltend gemachte Rüge eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift ebenfalls nicht durch.

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2.1 Das Vorbringen, es läge ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vor, weil

"(d)ie zwar mit reichlich Rechtsprechung untermauerte Argumentation, keinem rückkehrenden Flüchtling aus Syrien (drohe) wegen Wehrdienstentziehung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung , (...) objektiv willkürlich (ist), da sie nicht überprüft ist, da bislang kein aus diesem Grunde Geflüchteter nach Syrien zurückgekehrt ist",

genügt auch insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO, als über mehrere Seiten ein Beitrag auf der Plattform "Verfassungsblog.de/wer-ist-Flüchtling" zitiert wird, und daraus ein Verstoß gegen die Rechtspflicht zur "tagesaktuellen" Erfassung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlage im Hinblick auf die rechtliche Bewertung geltend gemacht und darauf hingewiesen wird, dass sich das Berufungsgericht ausschließlich Einschätzungen aus dem Jahr 2015 bediene und aktuelle und diametral anderslautende Einschätzungen nicht einbeziehe. Denn auch in dem zitierten Beitrag werden keine "tagesaktuellen" Erkenntnisquellen zur tatsächlichen Lage in Syrien und den dort zurückkehrenden Wehrpflichtigen drohenden Maßnahmen herangezogen; vielmehr wird eine der Bewertung des Berufungsgerichts entgegenstehende Einschätzung unter Kritik an einem Wechsel der Entscheidungspraxis durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge geltend gemacht. Unabhängig davon scheidet insoweit eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) schon deswegen aus, weil der Kläger den in der Beschwerdeschrift zitierten Beitrag nicht in das Verfahren eingeführt hat. Soweit der Kläger die Nichtberücksichtigung von Auskünften rügt, nach denen Personen, die sich Einberufung oder Mobilisierung entziehen, längere Haft und Folter drohen, ist nicht dargelegt, dass dies für die Entscheidung des Berufungsgerichts entscheidungserheblich war, ob dem Kläger nicht nur subsidiärer Schutz, sondern Flüchtlingsschutz zu gewähren ist.

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2.2 Die Rüge, das Berufungsgericht sei seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Verfolgungsgefahr syrischer Staatsangehöriger wegen Wehrdienstentziehung nicht in der gebotenen Weise nachgekommen, weil es sich nicht mit entgegenstehender Rechtsprechung auseinandergesetzt habe, vernachlässigt, dass die gebotene Auseinandersetzung mit der abweichenden Würdigung verallgemeinerungsfähiger Tatsachen im Asylrechtsstreit durch andere Oberverwaltungsgerichte grundsätzlich Teil der dem materiellen Recht zuzuordnenden Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist, sodass eine fehlende Auseinandersetzung in aller Regel nicht als Verfahrensmangel gerügt werden kann (s. BVerwG, Beschluss vom 25. Juli 2017 - 1 B 71.17 - juris). Es ist hier nicht dargelegt (und ergibt sich auch sonst nicht aus der Gerichtsakte), dass sich der Kläger einzelne tatrichterliche Feststellungen eines Oberverwaltungsgerichts als Parteivortrag zu Eigen gemacht und es sich dabei um ein zentrales und entscheidungserhebliches Vorbringen gehandelt hat (ebd.; s.a. BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2007 - 1 B 108.06 - juris).

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.