Bundesverwaltungsgericht

Entscheidungsdatum: 07.12.2017


BVerwG 07.12.2017 - 1 B 142/17

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens eines Freizügigkeitsrechts


Gericht:
Bundesverwaltungsgericht
Spruchkörper:
1. Senat
Entscheidungsdatum:
07.12.2017
Aktenzeichen:
1 B 142/17
ECLI:
ECLI:DE:BVerwG:2017:071217B1B142.17.0
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 18. Juli 2017, Az: 10 B 17.339, Urteilvorgehend VG München, 22. Juni 2016, Az: M 25 K 14.2838, Urteil
Zitierte Gesetze

Gründe

1

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg, da sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

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Für die Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache bedarf es der Formulierung einer abstrakten, in dem zu entscheidenden Fall erheblichen Frage des revisiblen Rechts mit einer über den Einzelfall hinausgehenden allgemeinen Bedeutung, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder im Interesse der Rechtsfortbildung in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Hieran fehlt es, wenn sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde, wenn sie bereits geklärt ist bzw. aufgrund des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung und auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann oder wenn sie einer abstrakten Klärung nicht zugänglich ist (BVerwG, Beschluss vom 1. April 2014 - 1 B 1.14 - AuAS 2014, 110).

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1. Die Beschwerde hält zunächst für klärungsbedürftig,

"ob ein Bescheid, mit dem die Behörde gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 FreizügG/EU den Verlust des Freizügigkeitsrechts festgestellt hat, durch nachfolgende Entwicklungen während des Rechtsstreits bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts rechtlich geheilt werden kann, wenn er im Zeitpunkt der Verlustfeststellung wegen des tatsächlichen Bestehens eines Freizügigkeitsrechts nicht hätte ergehen dürfen".

4

Insoweit fehlt es schon an einer näheren Darlegung der Entscheidungserheblichkeit der aufgeworfenen Frage. Denn das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger ab dem 1. Juni 2014 und damit bereits vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids vom 6. Juni 2014 - auch über die Fiktionswirkung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU (vorübergehende Erwerbsminderung infolge Krankheit oder Unfall) - nicht mehr erwerbstätig war (UA Rn. 53). Soweit die Beschwerde geltend macht, die dieser Annahme zugrunde liegenden tatrichterlichen Feststellungen des Berufungsgerichts seien unzutreffend, da sich aus den Angaben zum Versicherungsverlauf in dem im Klageverfahren vorgelegten Rentenbescheid vom 17. November 2015 ergebe, dass über den 1. Juni 2014 hinaus "Verletztengeld" geleistet worden sei, wendet sie sich gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, ohne in diesem Zusammenhang einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden (Verfahrens-)Fehler substantiiert darzulegen. Als nicht Erwerbstätiger ist ein Unionsbürger nach § 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU nur unter den Voraussetzungen des § 4 FreizügG/EU freizügigkeitsberechtigt. Auch hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.

5

Dessen ungeachtet ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass für die rechtliche Beurteilung der Feststellung des Nichtbestehens eines Freizügigkeitsrechts nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgeblich ist (BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 22.14 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 4 Rn. 11). Dies gilt nur dann nicht, wenn und soweit aus Gründen des materiellen Rechts ausnahmsweise ein anderer Zeitpunkt maßgeblich ist. In Anwendung dieser Grundsätze ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass es für den Ablauf der in § 5 Abs. 4 FreizügG/EU genannten Fünfjahresfrist, nach deren Ablauf ein Unionsbürger ein Daueraufenthaltsrecht erwirbt und die Möglichkeit einer Feststellungsentscheidung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU erlischt, ausnahmsweise auf den Erlasszeitpunkt ankommt. Denn § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU ist zu entnehmen, dass ein einmal entstandenes Daueraufenthaltsrechts durch einen späteren Wegfall der Voraussetzungen nicht mehr berührt wird (BVerwG, Urteil vom 16. Juli 2015 - 1 C 22.14 - Buchholz 402.261 § 4a FreizügG/EU Nr. 4 Rn. 16).

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2. Die Beschwerde hält weiter für grundsätzlich klärungsbedürftig,

"ob die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Sinne des Unionsrechts auch Tatbestandsvoraussetzung für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU ist".

7

Auch insoweit fehlt es an einer ordnungsgemäßen Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Die Frage, ob es für das Entstehen eines Daueraufenthaltsrechts nach § 4a Abs. 2 FreizügG/EU auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts ankommt, stellt sich im Fall des Klägers allenfalls mit Blick auf § 4a Abs. 2 Nr. 2b FreizügG/EU. Danach haben Unionsbürger abweichend von § 4 Abs. 1 FreizügG/EU nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 vor Ablauf von fünf Jahren das Daueraufenthaltsrecht, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgeben, nachdem sie sich zuvor mindestens zwei Jahre ständig im Bundesgebiet aufgehalten haben. In Bezug auf diese Bestimmung hat das Berufungsgericht ein Daueraufenthaltsrecht aber nicht allein mit der fehlenden Rechtmäßigkeit des Voraufenthalts, sondern primär mit der fehlenden Kausalität zwischen der Aufgabe der Erwerbstätigkeit und dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung verneint. Bei einer auf mehrere Gründe gestützten Berufungsentscheidung kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Revision aber nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder die Entscheidung selbständig tragenden Begründung ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 1982 - 7 B 40.82 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 209 und vom 25. Mai 2007 - 1 B 203.06 - juris Rn. 3). Daran fehlt es hier.

8

Das Berufungsgericht ist - ungeachtet der Formulierung in Randnummer 45 - davon ausgegangen, dass der Kläger nicht nachgewiesen habe, dass er seine Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgegeben hat (UA Rn. 49). Letztere ist nach Auffassung des Berufungsgerichts erst durch die Feststellung im Bescheid vom 17. Oktober 2014 eingetreten, das Beschäftigungsverhältnis habe aber bereits zum 30. August 2013 geendet (UA Rn. 50). Auch eine Fiktionswirkung nach § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU sei vom Kläger nur bis zum 31. Mai bzw. 1. Juni 2014 nachgewiesen worden (UA Rn. 52). Soweit der Kläger dem entgegenhält, für die Kausalität zwischen der Aufgabe der Erwerbstätigkeit und dem Eintritt der vollen Erwerbsminderung komme es nicht allein auf einen ununterbrochenen Übergang der sozialversicherungsrechtlich anerkannten Zeiten mit Gewährung von Kranken- bzw. Verletztengeld zur Feststellung der dauernden Erwerbsminderung an, vielmehr sei hier aufgrund des sehr kurzen dazwischenliegenden Zeitraums offensichtlich, dass eine Fortsetzung der Erwerbstätigkeit infolge der Erwerbsunfähigkeit ausgeschlossen gewesen sei, wendet er sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, ohne in diesem Zusammenhang einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Zulassungsgrund substantiiert darzulegen. Insbesondere zeigt er in Bezug auf diesen Begründungsteil weder eine dem Revisionsrecht unterliegende (Rechts-)Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch einen Verfahrensfehler auf. Hat die Beschwerde folglich hinsichtlich dieses - die Entscheidung selbständig tragenden - Begründungsteils keinen Erfolg, kommt es auf die weitere - vom Berufungsgericht ergänzend herangezogene - Begründung, dass selbst dann, wenn der Kläger - über die Fiktion des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FreizügG/EU - seine Erwerbstätigkeit infolge einer vollen Erwerbsminderung aufgegeben hätte, es an einem mindestens zweijährigen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet fehle (UA Rn. 54), und den von der Beschwerde hierzu geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht an.

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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.