Entscheidungsdatum: 20.12.2011
Das Berufungsgericht ist nicht gehindert, im vereinfachten Berufungsverfahren nach § 130a VwGO zu entscheiden, wenn es nach einer mündlichen Verhandlung das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit einer Norm zur Prüfung vorgelegt hatte. Eine Entscheidung im Beschlussverfahren ist uneingeschränkt zulässig, wenn die Voraussetzungen hierfür in dem neuen, nach der Aussetzung erreichten Verfahrensabschnitt vorliegen.
Die Beschwerde, die sich auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) stützt, hat keinen Erfolg.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache setzt voraus, dass eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufgeworfen wird, die im Interesse der Einheit oder Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Die Beschwerde hält sinngemäß die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob eine Entscheidung über das Aufenthaltsrecht einer Mutter und ihrer Kinder erfolgen könne, obgleich für ein weiteres, später geborenes Kind noch ein Asylverfahren anhängig sei, dessen Ausgang entscheidende Bedeutung für das Aufenthaltsrecht der Mutter und der Geschwister habe. Diese Grundsatzrüge kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Zum einen hat das Berufungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen zu einem Asylverfahren eines weiteren Kindes getroffen, von denen in einem Revisionsverfahren ausgegangen werden könnte. Zum anderen würde sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen. Denn das Berufungsgericht hat die Klagen auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen aus humanitären Gründen im Hinblick darauf abgewiesen, dass die Kläger ihrer Passpflicht beharrlich nicht nachkommen würden und damit die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht erfüllt sei. Die Beschwerde macht nicht ersichtlich, dass sich diese Beurteilung ändern würde, falls - im Sinne der Beschwerde - zu berücksichtigen wäre, dass für ein weiteres Kind ein Asylantrag gestellt worden sei.
Auch die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler führen nicht zur Zulassung der Revision. Die Beschwerde beanstandet, das Berufungsgericht hätte nicht ohne weitere mündliche Verhandlung entscheiden dürfen. Das Berufungsgericht war, was die Beschwerde nicht anspricht, verfahrensrechtlich nicht bereits deshalb gehindert, gemäß § 130a VwGO im vereinfachten Berufungsverfahren zu entscheiden, weil es zunächst mündlich verhandelt und das Verfahren dann ausgesetzt hatte. Die mündliche Verhandlung, die das Berufungsgericht durchgeführt hatte, bevor es dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt hatte, ob § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG verfassungsgemäß ist, hat keine Sperrwirkung für eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO entfaltet. Vielmehr ist das Berufungsverfahren nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - wie nach einer Zurückverweisung durch das Bundesverwaltungsgericht - wieder in die Lage zurückversetzt worden, in der es sich vor der Aussetzung befand. Damit ist eine Entscheidung im Beschlussverfahren nach § 130a VwGO - unabhängig von der Verfahrensweise des Berufungsgerichts vor der Aussetzung - zulässig gewesen, wenn die Voraussetzungen hierfür in dem neuen, nach der Aussetzung erreichten Verfahrensabschnitt vorgelegen haben. Es würde - wie bei der Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das Revisionsgericht - auch bei der vorliegenden Verfahrenskonstellation der Zweckbestimmung des § 130a VwGO zuwiderlaufen, wenn eine in einem früheren Verfahrensstadium durchgeführte mündliche Verhandlung eine Sperrwirkung für eine Entscheidung im vereinfachten Berufungsverfahren entfalten würde (so bereits zur Konstellation der Zurückverweisung Beschluss des Senats vom 12. November 2004 - BVerwG 1 B 33.04 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 66 m.w.N.).
Dem Beschwerdevorbringen ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung, (letztlich) ein vereinfachtes Berufungsverfahren gemäß § 130a VwGO durchzuführen, von seinem Ermessen fehlerhaft Gebrauch gemacht hätte. Ein Absehen von einer mündlichen Verhandlung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn es auf sachfremden Erwägungen oder einer groben Fehleinschätzung des Berufungsgerichts beruht (vgl. etwa Urteil vom 9. Dezember 2010 - BVerwG 10 C 13.09 - BVerwGE 138, 289 = Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 82). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte auf die Ankündigung des Berufungsgerichts, die Berufungen der Kläger im vereinfachten Verfahren nach § 130a VwGO zurückzuweisen, beantragt, eine weitere mündliche Verhandlung durchzuführen, um die Sach- und Rechtslage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit von § 104a Abs. 3 Satz 1 AufenthG zu erörtern. Für das Berufungsgericht ist es auf die Problematik dieser Vorschrift jedoch nicht mehr entscheidend angekommen. Wie ausgeführt, hat das Gericht die Nichterfüllung der Passpflicht durch die Kläger und damit das Fehlen der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG als selbstständig tragenden Grund beurteilt, um die Berufungen der Kläger zurückzuweisen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ermessensfehlerhaft gewesen, von einer weiteren mündlichen Verhandlung abzusehen.
Als weiteren Verfahrensfehler sieht die Beschwerde offenbar an, dass das Berufungsgericht das Vorbringen der Kläger zur Erfüllung der Passpflicht nicht zur Kenntnis genommen und damit den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt habe. Das Berufungsgericht habe die (außergerichtliche) Korrespondenz - gemeint: zwischen den Klägern und der Beklagten zur Frage der Passpflicht - nach der mündlichen Verhandlung im Juni 2009 und der Vorlage an das Bundesverfassungsgericht "nicht mehr mit der erforderlichen Sorgfalt geprüft und verwertet". Dieses Vorbringen führt nicht auf eine Gehörsverletzung oder einen sonstigen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Zum einen ist dem Berufungsgericht ausweislich der Gerichtsakte nach dessen Vorlagebeschluss nichts von einer derartigen Korrespondenz mitgeteilt worden. Zum anderen hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die Beklagte - ungeachtet früherer Erklärungen - inzwischen nicht mehr bereit sei, von der Erfüllung der Passpflicht abzusehen (BA S. 10). Gegen diese Feststellung hat die Beschwerde keine Verfahrensrüge erhoben. Auf frühere Absprachen zwischen den Beteiligten kommt es demnach nicht an.