Entscheidungsdatum: 15.01.2019
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2017 - 8 Sa 1212/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Parteien streiten noch über Weihnachtsgeld.
Die Beklagte ist ein Einzelhandelsunternehmen mit Sitz in Hamburg. In deren Berliner Vertriebsfiliale ist der Kläger als Verkäufer beschäftigt.
Bis April 2008 war die Beklagte tarifgebundenes Mitglied im Landesverband des Hamburger Einzelhandels e.V., welcher mit der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di (bzw. vor deren Gründung mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen - HBV -) Tarifverträge mit einem Geltungsbereich für Einzelhandelsbetriebe auf dem Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg geschlossen hat. Sie ist - und war - nicht Mitglied des Handelsverbands Berlin-Brandenburg e.V. bzw. seines Rechtsvorgängers, der mit ver.di neben dem Manteltarifvertrag für den Berliner Einzelhandel (MTV Berlin) ua. den Tarifvertrag über Gehälter, Löhne und Ausbildungsvergütungen für den Berliner Einzelhandel (TV-GLA Berlin) vereinbart hat. Nach § 1 A. und B. MTV Berlin und dem gleich lautenden § 1 A. und B. TV-GLA Berlin (in ihren jeweils ab 1. Juli 2011 gültigen Fassungen) umfassen die Geltungsbereiche dieser Tarifverträge räumlich das Land Berlin und fachlich „alle Betriebe des Einzelhandels aller Branchen und Betriebsformen einschließlich Dach- bzw. Holdinggesellschaften von Einzelhandelsunternehmen sowie Hilfs- und Nebenbetriebe.“
Die Vergütung der in der Filiale Berlin beschäftigten Arbeitnehmer - so auch die des Klägers - richtete sich nach der von der Beklagten mit dem dort errichteten Betriebsrat mit Wirkung zum 1. März 1997 geschlossenen „G Betriebsvereinbarung“ (BV 97). Diese lautet auszugsweise:
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„ Präambel |
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Ziel der Konzeption einer Betriebsvereinbarung war die Schaffung eines Gehalts- und Arbeitszeitsystems, das für jeden Mitarbeiter nachvollziehbar, einsehbar und leistungsgerecht ist. |
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Ferner sollen die gesetzlichen Ladenschlußzeiten des Einzelhandels in gerechte Rahmenbedingungen gefügt werden. |
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Als Grundlage wurden größtenteils bestehende Vereinbarungen genommen. Der Tarif berücksichtigt die Mindestforderungen des Einzelhandelstarifes in Hamburg soweit nicht andere Vereinbarungen getroffen werden und diese einen individuellen Leistungsausgleich berücksichtigen (Arbeitsvertrag). Eine Überarbeitung findet mindestens zum Zeitpunkt gültiger Tarifverhandlungen des Einzelhandels statt. |
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Die nachstehenden Paragraphen ergänzen die Regelungen des Arbeitsrechtes und gelten als Bestandteil des Arbeitsvertrages (Individualvereinbarung). |
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Jedem G wird eine Ausfertigung der Vereinbarung bei Beginn des Arbeitsverhältnisses zusammen mit dem Arbeitsvertrag übergeben. |
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Die Bezeichnung des Arbeitnehmers als „G“ ist dem gleichzusetzen. |
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… |
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§ 8 Urlaubs- und Weihnachtsgeld |
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G zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Urlaubsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes. |
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Zahlungstermin ist spätestens der 31. Mai eines jeden Jahres. … |
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G zahlt in jedem Beschäftigungsjahr ein Weihnachtsgeld in Höhe von 62,5 % des Gehaltes. |
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Zahlungstermin ist spätestens der 30. November eines jeden Jahres. … |
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… |
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§ 15 Gehaltstarif |
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Die G-Gehälter garantieren eine Mindesthöhe über den jeweiligen Hamburger Tarifen. |
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In den Tarifen GO, G1, G2 |
sind das DM 200,00 |
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In dem Tarif |
G3 |
sind das DM 300,00 |
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In dem Tarif G4a |
sind das DM 400,00 und in G4b DM 500,00 |
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… |
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Gehaltserhöhungen: |
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Zukünftige Tariferhöhungen führen mit Wirkung des neuen Tarifabschlusses zu einer entsprechenden Erhöhung des Garantiegehaltes. |
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In den Tarifen GO, G1, G2 |
sind das DM 200,00 |
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In dem Tarif |
G3 |
sind das DM 300,00 |
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In dem Tarif G4a |
sind das DM 400,00 und in G4b DM 500,00 |
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… |
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Gehaltsgruppen: |
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Die Tätigkeitsbereiche der G werden verschiedenen Gehaltsgruppen zugeordnet. ...“ |
Des Weiteren sind in § 15 BV 97 mehrere Gehaltsgruppen festgelegt, denen allgemeine Tätigkeitsmerkmale und die Aufzählung bestimmter beruflicher Funktionen vorangestellt sind. Jede Gehaltsgruppe enthält eine Tabelle, in der ausgehend vom „Tarif … laut HBV“ Nominalbeträge als Entgelte angeführt sind.
Die Beklagte kündigte die BV 97 gegenüber dem Betriebsrat zum 31. Dezember 2014 und stellte die an die Erhöhung der Tarifentgelte des Hamburger Einzelhandels anknüpfenden Entgeltsteigerungen ebenso wie die Weihnachts- und Urlaubsgeldzahlung ein. Mit seiner Klage hat der Kläger - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Zahlung des Weihnachtsgeldes 2015 verlangt und dies auf betriebsverfassungsrechtliche sowie individualvertragliche Erwägungen gestützt.
Der Kläger hat - soweit in der Revision noch von Interesse - beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.211,38 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen. |
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat der - bei ihm noch andere Zahlungsbegehren umfassenden - Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der vom Senat - beschränkt auf die Weihnachtsgeldzahlung - zugelassenen Revision begehrt der Kläger die teilweise Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage - soweit sie Gegenstand der Revision ist - zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf das Weihnachtsgeld 2015.
I. Ein solcher Anspruch besteht nicht nach § 8 Unterabs. 2 der gekündigten BV 97. Diese Regelung entfaltet nach Beendigung der BV 97 keine Nachwirkung. Sie ist unwirksam. Das folgt daraus, dass sie sich auf die Gehaltstarifregelung des § 15 BV 97 bezieht, die ihrerseits - insoweit vom Kläger auch nicht mehr angegriffen - wegen Verstoßes gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam ist (vgl. dazu ausf. BAG 15. Januar 2019 - 1 AZR 64/18 - Rn. 13 ff.). Die Unwirksamkeit der Gehaltstarifbestimmungen erfasst auch die Weihnachtsgeldfestlegung des § 8 Unterabs. 2 BV 97. Diese stellt ohne die Gehaltstarifregelung in § 15 BV 97 keine sinnvolle und in sich geschlossene, praktikable Bestimmung mehr dar. Das Weihnachtsgeld ist mit einem auf das Gehalt bezogenen prozentualen Anteil definiert („62,5 % des Gehaltes“). Mit „Gehalt“ haben die Betriebsparteien nicht an die individuelle Vergütung, sondern an das von ihnen in § 15 BV 97 ausgestaltete Gehalt angeknüpft. Für einen anderen Regelungswillen fehlt es an Anhaltspunkten. Ist aber § 15 BV 97 als Bezugspunkt der Weihnachtsgeldregelung unwirksam, betrifft dies zwangsläufig auch die Bezug nehmende Regelung. Damit kommt es nicht darauf an, ob § 8 Unterabs. 2 BV 97 seinerseits - wie der Kläger argumentiert - im Hinblick auf eine „Sonderzuwendungen“ betreffende Öffnungsklausel im MTV Berlin nicht gegen die Regelungssperre verstoßen würde (§ 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG).
II. Ein Anspruch folgt gleichfalls nicht aus vertraglichen Gesichtspunkten.
1. Einen Anspruch aus seinem schriftlich niedergelegten Arbeitsvertrag macht der Kläger in der Revision nicht mehr geltend.
2. Sein Zahlungsbegehren ist nicht wegen einer im Zusammenhang mit der BV 97 einschließlich ihrer Regelungen der § 15, § 8 Unterabs. 1 und Unterabs. 2 - ggf. im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB - anzunehmenden Gesamtzusage begründet. Dafür geben die Festlegungen der Präambel der BV 97 ebenso wenig her (vgl. ausf. BAG 23. Januar 2018 - 1 AZR 65/17 - Rn. 25 ff., BAGE 161, 305) wie andere vom Kläger angeführte Umstände. Es handelt sich nicht um außerhalb der Betriebsvereinbarung liegende Umstände, die auf einen Verpflichtungswillen der Beklagten losgelöst von der normativen Geltung der BV 97 schließen lassen könnten.
3. Der Kläger vermag die noch streitbefangene Forderung nicht auf eine betriebliche Übung zu stützen. Die Entgeltzahlungen der Beklagten erfolgten - für den Kläger erkennbar - in Erfüllung einer vermeintlichen Verpflichtung aus der BV 97. Der Kläger konnte nicht berechtigterweise annehmen, dass sich die Beklagte zu einem entsprechenden Verhalten unabhängig vom Schicksal der BV 97 auf unbegrenzte Zeit verpflichten wollte.
4. Schließlich besteht kein Anspruch nach § 611 BGB iVm. den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen. Zwar kann ein Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Senats in Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung bei einer unter Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vorgenommenen Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze eine Vergütung auf der Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Denn die im Arbeitsvertrag getroffene Vereinbarung über die Vergütung wird von Gesetzes wegen ergänzt durch die Verpflichtung des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer nach den im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätzen zu vergüten (zB BAG 5. Mai 2015 - 1 AZR 435/13 - Rn. 13). Vorliegend ist aber der Anwendungsbereich der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung nicht eröffnet. Ebenso wenig, wie diese Theorie Ansprüche auf der Grundlage eines mitbestimmungswidrig eingeführten Entgeltsystems vermittelt (dazu BAG 24. Januar 2017 - 1 AZR 772/14 - Rn. 46 mwN, BAGE 158, 44), vermag sie Ansprüche auf ein vom Betriebsrat kompetenzwidrig (mit-)gestaltetes Entgelt zu begründen.
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Schmidt |
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Ahrendt |
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K. Schmidt |
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Fasbender |
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Berg |