Entscheidungsdatum: 19.12.2017
Führt der Arbeitgeber im Wege der elektronischen Datenverarbeitung einen Abgleich von Vor- und Nachnamen der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer mit den auf Grundlage der sog. Anti-Terror-Verordnungen der Europäischen Union erstellten Namenslisten durch, ist der Betriebsrat nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beteiligen. Die durch die technische Einrichtung erzeugten Ergebnisse über einzelne Arbeitnehmer enthalten keine Aussage über ein tatsächliches betriebliches oder ein außerbetriebliches Verhalten mit Bezug zum Arbeitsverhältnis.
Die Rechtsbeschwerde des Gesamtbetriebsrats gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 20. Januar 2016 - 4 TaBV 29/13 - wird zurückgewiesen.
A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht beim Abgleich der Namen von Arbeitnehmern mit denjenigen Personen, die in den sog. Anti-Terror-Verordnungen der Europäischen Union aufgeführt sind.
Die Arbeitgeberin ist ein abhängiges Konzernunternehmen. Sie unterhält in I und in S je einen Betrieb. Die dort bestehenden Betriebsräte - die Beteiligten zu 2. und zu 5. - haben den zu 1. beteiligten Gesamtbetriebsrat gebildet. Bei der Konzernobergesellschaft, der S AG, besteht ein Konzernbetriebsrat.
Seit 2012 führt die Arbeitgeberin ein „automatisiertes Screeningverfahren“ durch. Anlässlich der monatlichen Entgeltzahlungen wird durch den Einsatz einer Software automatisiert abgeglichen, ob die Vor- und Nachnamen der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer mit denjenigen vollständig oder teilweise übereinstimmen, die auf Listen entsprechend Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates (vom 27. Mai 2002, ABl. EG L 139 vom 29. Mai 2002 S. 9, nachfolgend VO 881/2002) sowie Art. 2 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates (vom 27. Dezember 2001, ABl. EG L 344 vom 28. Dezember 2001 S. 70, nachfolgend VO 2580/2001) aufgeführt sind und fortlaufend aktualisiert werden. Während die Namensliste nach der VO 881/2002 die vom Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen benannten Personen enthält, erfolgt die Benennung von Personen der VO 2580/2001 durch einstimmige Beschlüsse des Rates der Europäischen Union. In dieser sind nach Art. 2 Abs. 3 Buchst. i VO 2580/2001 natürliche Personen aufgeführt, bei denen aufgrund von Erkenntnissen davon ausgegangen wird, dass sie „terroristische Handlung begehen oder zu begehen versuchen oder sich an deren Begehung beteiligen oder diese erleichtern“. Den gelisteten Personen dürfen „weder direkt noch indirekt wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen“ (Art. 2 Abs. 3 VO 881/2002 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. a VO 2580/2001) - sog. Bereitstellungsverbot.
Sollte die Arbeitgeberin bei dem Datenabgleich eine vollständige oder teilweise Übereinstimmung feststellen, erfolgt eine Information der zuständigen Personalleitung. Diese führt, abhängig vom Grad der Übereinstimmung, einen weitergehenden manuellen Abgleich durch, um bei einer vollständigen Übereinstimmung von Vor- und Nachnamen die Entgeltzahlung einzustellen sowie die zuständigen Behörden zu informieren.
In dem von dem zu 2. beteiligten Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren haben dieser und der Gesamtbetriebsrat erstinstanzlich geltend gemacht, die Durchführung des automatisierten Datenabgleichs sei nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Bereits der Abgleich von Statusdaten (Name und Vorname) treffe eine Aussage über ein Verhalten eines Arbeitnehmers. Auch soweit ein Listeneintrag auf außerbetriebliches Verhalten zurückgehe, könne sich diese Kenntnis nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken.
Der Gesamtbetriebsrat und der zu 2. beteiligte Betriebsrat haben mit ihren Beschwerden jeweils ihren erstinstanzlich abgewiesenen Antrag,
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„festzustellen, dass für die Durchführung eines elektronischen Abgleiches der Mitarbeiterdaten mit den sog. Sanktionslisten aus den EU-Verordnungen VO (EG) 2580/2001 und VO (EG) 881/2002 durch die Arbeitgeberin das Mitbestimmungsrecht a) des Betriebsrats und b) des Gesamtbetriebsrats besteht“, |
weiterverfolgt. Das Landesarbeitsgericht hat im zweitinstanzlichen Verfahren den bei der S AG gebildeten Konzernbetriebsrat - Beteiligter zu 4. - angehört. Im Anhörungstermin vom 21. Januar 2015 hat der Verfahrensbevollmächtigte der nunmehr beteiligten Betriebsräte - Betriebsrat des Betriebs I, Gesamtbetriebsrat, Konzernbetriebsrat - erklärt, er
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„stellt seinen bisherigen Antrag mit der Maßgabe, dass er sich auf den Gesamt- und Konzernbetriebsrat bezieht. Der Antrag wird in erster Linie für den Gesamtbetriebsrat und in zweiter Linie für den Konzernbetriebsrat gestellt.“ |
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Landesarbeitsgericht hat die „Beschwerden des … Gesamtbetriebsrats und des zu 2. beteiligten Betriebsrates“ zurückgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Gesamtbetriebsrat sein Begehren weiter. Der Senat hat im Rechtsbeschwerdeverfahren den - nunmehr - zu 5. beteiligten Betriebsrat des Betriebs S angehört.
B. Die ausschließlich für den Gesamtbetriebsrat eingelegte Rechtsbeschwerde - an deren Zulassung durch das Landesarbeitsgericht der Senat nach § 92 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 72 Abs. 3 ArbGG gebunden ist, obwohl diese auf den bereits zum 31. Dezember 2004 außer Kraft getretenen Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung einer „Rechtssache“ gestützt wurde (vgl. BAG 7. Juni 2017 - 1 ABR 32/15 - Rn. 8) - ist unbegründet.
I. Der Konzernbetriebsrat ist nicht und der zu 2. beteiligte Betriebsrat ist nicht mehr nach § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligen. Demgegenüber war der Betriebsrat des Betriebs S anzuhören.
1. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts war der Konzernbetriebsrat nicht nach § 83 Abs. 3 ArbGG zu beteiligen. Zwar haben nach dieser Vorschrift in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind. Voraussetzung für ein Betroffensein iSv. § 83 Abs. 3 ArbGG ist aber, dass eine betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition des jeweils anderen Gremiums als Inhaber des vom Antragsteller geltend gemachten Anspruchs oder Rechts materiell-rechtlich ernsthaft infrage kommt (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 59/04 - Rn. 10 ff., BAGE 117, 337). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Für eine Maßnahme, die nicht die Konzernobergesellschaft unternehmensübergreifend durchführt, kann keine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats nach § 58 Abs. 1 BetrVG gegeben sein.
2. Der zu 2. beteiligte Betriebsrat war im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr nach § 83 Abs. 3 ArbGG anzuhören. Aufgrund der Entscheidung des Arbeitsgerichts steht rechtskräftig fest (§ 84 ArbGG), dass ihm ein Mitbestimmungsrecht an der streitbefangenen Maßnahme der Arbeitgeberin nicht zusteht. Zwar hat der Betriebsrat gegen die abweisende Entscheidung Beschwerde beim Landesarbeitsgericht mit der Maßgabe eingelegt, nach „den Schlussanträgen erster Instanz zu entscheiden“. Der Verfahrensbevollmächtigte hat allerdings im Termin zur mündlichen Anhörung seinen angekündigten Antrag nur noch „in erster Linie für den Gesamtbetriebsrat und in zweiter Linie für den Konzernbetriebsrat gestellt“. In dieser Antragsänderung liegt zugleich die Rücknahme des Antrags des Betriebsrats, auf die sich die Arbeitgeberin rügelos eingelassen hat. Damit wurde die abweisende Entscheidung gegenüber dem Betriebsrat rechtskräftig. Demzufolge wird durch eine Entscheidung des Senats dessen betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung nicht mehr betroffen.
3. Die Vorinstanzen haben es rechtsfehlerhaft unterlassen, den im Betrieb der Arbeitgeberin in S bestehenden Betriebsrat - Beteiligter zu 5. - anzuhören. Die vom Gesamtbetriebsrat begehrte Feststellung betrifft dessen betriebsverfassungsrechtliche Stellung. Durch eine Entscheidung stünde ihm gegenüber fest, ob ein Mitbestimmungsrecht besteht und wem es gegebenenfalls zusteht.
II. Der Feststellungsantrag des Gesamtbetriebsrats ist unbegründet. Die Voraussetzungen eines Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG liegen nicht vor.
1. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ua. mitzubestimmen bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schutzwerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind. Die auf technischem Wege erfolgende Ermittlung und Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung oder der Durchführung des Arbeitsverhältnisses bergen die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden, die anonym personen- oder leistungsbezogene Informationen erhebt, speichert, verknüpft und sichtbar macht. Den davon ausgehenden Gefährdungen des Persönlichkeitsrechts von Arbeitnehmern soll das Mitbestimmungsrecht entgegenwirken. „Überwachung“ im Sinne des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern erhoben und - jedenfalls in der Regel - aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Informationen müssen auf technische Weise ermittelt und dokumentiert werden, so dass sie zumindest für eine gewisse Dauer verfügbar bleiben und vom Arbeitgeber herangezogen werden können (BAG 13. Dezember 2016 - 1 ABR 7/15 - Rn. 21 f. mwN, BAGE 157, 220).
2. Danach handelt es sich bei dem von der Arbeitgeberin vorgenommenen Datenabgleich nicht um eine technische Einrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Sie ist nicht dazu bestimmt, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen.
a) Die Arbeitgeberin nutzt nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten auf den bei ihr vorhandenen EDV-Einrichtungen eine Software zum „automatisierten“ Datenabgleich. Dieses mittels einer technischen Einrichtung durchgeführte „Screening“ erzeugt eigenständig eine neue Information über einen Arbeitnehmer, nämlich die teilweise, gänzliche oder fehlende Übereinstimmung seines Vor- und Zunamens mit denjenigen Statusdaten, die auf den nach den beiden Verordnungen erstellten Listen aufgeführt sind. Es handelt sich bei dem softwarebasierten ausschließlich namensbezogenen Datenabgleich nicht nur um ein Hilfsmittel für eine lediglich durch menschliches Handeln durchgeführte Überprüfung (so in BAG 10. Dezember 2013 - 1 ABR 43/12 - Rn. 24 f.).
b) Der automatisierte bloße Namensabgleich ist nach Art und Inhalt nicht dazu bestimmt, iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG Leistung oder Verhalten eines Arbeitnehmers zu überwachen.
aa) Der Begriff des Verhaltens iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfasst ein vom Willen des Arbeitnehmers getragenes oder gesteuertes Tun oder Unterlassen. Es handelt sich um einen Oberbegriff, der letztlich auch denjenigen der Leistung mitumfasst (allg. Auff.; sh. nur BAG 11. März 1986 - 1 ABR 12/84 - zu B II 3 b der Gründe, BAGE 51, 217).
bb) Die aufgrund des Datenabgleichs generierten Ergebnisse bilden weder ein konkretes Verhalten oder eine konkrete Leistung eines Arbeitnehmers ab noch lassen sie auf solche schließen. Eine Identität dieser Statusdaten eines Arbeitnehmers und der auf einer „Terrorliste“ geführten Person gibt Auskunft darüber, dass sich gegen diese eine Verbotsmaßnahme iSd. Bereitstellungsverbots richtet. Eine Aussage über ein tatsächliches betriebliches oder außerbetriebliches Verhalten des Arbeitnehmers, das einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat, ist damit nicht verbunden.
cc) Anderes folgt nicht daraus, dass eine angezeigte (Teil-)Übereinstimmung für die weitere Durchführung des Arbeitsverhältnisses relevant werden könnte, weil Entgeltzahlungen eingestellt werden, das Ergebnis weiterer Ermittlungen Rückschlüsse auf ein Verhalten des betreffenden Arbeitnehmers erlaubt oder sonstige Folgen für das Arbeitsverhältnis hat (so etwa Raif Auswirkungen von Sanktionslisten auf das Arbeitsverhältnis 2010 S. 200 f. mwN; Byers Mitarbeiterkontrollen Rn. 314 mwN; anders Fitting 28. Aufl. § 87 Rn. 223 mwN; Wiese/Gutzeit GK-BetrVG 10. Aufl. § 87 Rn. 541 mwN; Hohenhaus NZA 2016, 1046, 1049). Allein dadurch, dass mithilfe von zusätzlichen Informationen, die automatisiert mit dem „Screening“ verknüpft werden, erstmals ein Bezug zu einem möglichen Verhalten eines Arbeitnehmers hergestellt wird, macht das durch den vorliegenden Datenabgleich generierte Datum nicht zu einem solchen iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG.
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Schmidt |
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D. Wege |
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Dirk Pollert |