Entscheidungsdatum: 17.05.2011
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Juli 2009 - 18 TaBV 446/09 - teilweise aufgehoben und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Januar 2009 - 31 BV 20225/08 - wird unter Abweisung des in der Anhörung vom 16. Juli 2009 gestellten Hilfsantrags zurückgewiesen.
A. Die Beteiligten streiten über einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats hinsichtlich der Anwendung von Ethikrichtlinien.
Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2) gehört zur B Unternehmensgruppe und ist über die Muttergesellschaft, die B Beteiligungsgesellschaft mbH mit der Konzernmutter, der B Company verbunden, die ihren Sitz in den USA hat. Der Beteiligte zu 1 ist der im Betrieb der Arbeitgeberin in B gebildete Betriebsrat, Beteiligter zu 3 ist der Konzernbetriebsrat.
Die B Company gibt den anderen Konzernunternehmen die sog. B Grundsätze der Unternehmensethik vor. Im Juli 2008 übersandte die Arbeitgeberin diese an ihre Mitarbeiter und bat sie um Bestätigung des Erhalts sowie deren Kenntnisnahme und Verwirklichung. Im Dezember 2008 verschickte sie eine inhaltlich abgeänderte Version dieser Grundsätze. Vor deren Versendung an die Mitarbeiter hatte die Arbeitgeberin weder den Betriebsrat noch den bei der Muttergesellschaft gebildeten Konzernbetriebsrat beteiligt.
Der Betriebsrat hat geltend gemacht, ihm stehe gegen die Arbeitgeberin ein eigenständiger Anspruch auf Unterlassung der Anwendung der Ethikrichtlinien unabhängig davon zu, ob er oder der Konzernbetriebsrat Träger des Mitbestimmungsrechts sei.
Der Betriebsrat hat beantragt,
|
1. |
der Arbeitgeberin zu untersagen, die B Grundsätze Unternehmensethik als verbindlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, solange der Betriebsrat der Anwendung keine Zustimmung erteilt hat oder seine Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist; |
2. |
hilfsweise |
|
der Arbeitgeberin zu untersagen, die B Grundsätze Unternehmensethik als verbindlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb anzuwenden, solange der Konzernbetriebsrat der Anwendung keine Zustimmung erteilt hat oder seine Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist; |
||
3. |
für den Fall des Verstoßes hiergegen der Arbeitgeberin die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen. |
Die Arbeitgeberin hat Antragsabweisung beantragt.
Das Arbeitsgericht hat den - im ersten Rechtszug allein gestellten - Hauptantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen dem im zweiten Rechtszug gestellten Hilfsantrag teilweise entsprochen und der Arbeitgeberin die Anwendung einzelner, näher bezeichneter Regelungen aus den Grundsätzen Unternehmensethik unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt, solange die Zustimmung des Konzernbetriebsrats nicht erteilt oder durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, soweit diese nicht bereits durch Zurückweisung der Beschwerde in Rechtskraft erwachsen ist.
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch darauf, dass dieser die Anwendung der B Grundsätze Unternehmensethik untersagt wird, solange der Konzernbetriebsrat dem nicht zugestimmt hat oder dessen Zustimmung durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist.
I. An dem Beschlussverfahren ist gem. § 83 Abs. 3 ArbGG neben dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin auch der Konzernbetriebsrat beteiligt. Dieser ist in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen, weil dessen mitbestimmungsrechtlicher Unterlassungsanspruch für den vom antragstellenden Betriebsrat repräsentierten Betrieb in Frage steht. Demzufolge war auch die Muttergesellschaft, die B Beteiligungsgesellschaft mbH, zu beteiligen. Hingegen bedurfte es keiner Beteiligung der im Unternehmen bestehenden weiteren Betriebsräte oder des Gesamtbetriebsrats. Die Entscheidung über die Anträge des Betriebsrats berührt deren betriebsverfassungsrechtliche Rechtsstellung nicht unmittelbar.
II. Der Betriebsrat hat seinen Hilfsantrag im zweiten Rechtszug im Wege einer zulässigen Antragserweiterung in das Verfahren eingeführt. Die Zulässigkeit einer Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren bestimmt sich nach § 81 Abs. 3 ArbGG iVm. § 533 ZPO (BAG 9. November 2010 - 1 ABR 76/09 - Rn. 16). Sie setzt damit voraus, dass die anderen Beteiligten der Antragsänderung zustimmen oder das Gericht die Änderung für sachdienlich hält. Die Arbeitgeberin hat zwar der Antragserweiterung widersprochen, das Landesarbeitsgericht hat jedoch über den Hilfsantrag entschieden und damit zugleich über die Sachdienlichkeit der Antragserweiterung. Daran ist der Senat gemäß § 87 Abs. 2 Satz 3 Halbs. 2, § 81 Abs. 3 Satz 3 ArbGG gebunden (BAG 22. März 2000 - 7 ABR 34/98 - Rn. 14, BAGE 94, 144).
III. Der Betriebsrat ist antragsbefugt. Er macht geltend, selbst Träger des streitbefangenen Unterlassungsanspruchs zu sein (BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 14, EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 30). Ob der Anspruch tatsächlich besteht, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags.
IV. Der in der Rechtsbeschwerde allein noch anhängige Hilfsantrag des Betriebsrats ist zulässig, bedarf aber der Auslegung.
1. Die vom Betriebsrat beantragte Untersagung der Anwendung der Grundsätze Unternehmensethik betrifft deren Fassung vom Dezember 2008. Nur darauf hat auch das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung abgestellt. Gegen diese Auslegung sind von den Beteiligten keine Verfahrensrügen erhoben worden. Gegenstand des Antrags sind die Ethikgrundsätze in ihrer Gesamtheit und nicht die einzelnen darin enthaltenen Regelungsgegenstände. Nachdem das Landesarbeitsgericht allerdings eine Einzelprüfung vorgenommen und dem Hilfsantrag nur hinsichtlich eines Teils der darin enthaltenen Regelungen entsprochen hat, führt dies im Rechtsbeschwerdeverfahren dazu, dass sich der noch anhängige Hilfsantrag nur noch auf die Gesamtheit der Regelungsgegenstände bezieht, hinsichtlich derer die im zweiten Rechtszug gestellten Anträge noch nicht rechtskräftig abgewiesen worden sind.
2. Soweit der Betriebsrat die Untersagung der „Anwendung“ der Grundsätze der Unternehmensethik begehrt, ist dies dahin zu verstehen, dass es ihm darum geht, der Arbeitgeberin generell zu untersagen, diese Grundsätze als für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer verbindliche Verhaltenspflichten zu erklären. Bei einem solchen Antragsverständnis sind die Anträge hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, denn der Betriebsrat bestreitet von vornherein die Befugnis der Arbeitgeberin, die Verbindlichkeit derartiger Grundsätze einseitig in dem Betrieb anordnen zu können. Hierin sieht er ein mitbestimmungswidriges Verhalten.
V. Der in der Rechtsbeschwerde noch anhängige Hilfsantrag des Betriebsrats ist unbegründet.
1. Ein Unterlassungsanspruch folgt nicht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Der Betriebsrat ist nicht Träger des Mitbestimmungsrechts. Dieses steht vielmehr dem Konzernbetriebsrat zu. Die Grundsätze Unternehmensethik sollten im gesamten Konzern und nicht lediglich einzelne Konzernunternehmen oder Betriebe eingeführt werden. Hierdurch sollte eine konzerneinheitliche „Unternehmensphilosophie“ umgesetzt werden. Damit handelt es sich gem. § 58 Abs. 1 BetrVG um eine Angelegenheit, die den Konzern betrifft und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden kann (dazu BAG 22. Juli 2008 - 1 ABR 40/07 - Rn. 66 f., BAGE 127, 146).
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kann ein derartiger Anspruch nicht aus § 80 Abs. 1 BetrVG hergeleitet werden. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen, Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Hieraus ergibt sich jedoch auch dann kein Unterlassungsanspruch des örtlichen Betriebsrats, wenn die Einführung der konzernweit geltenden Grundsätze der Unternehmensethik gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig war und die Muttergesellschaft dieses Mitbestimmungsrecht nicht beachtet hat. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats aus § 80 Abs. 1 BetrVG ist auch in diesem Fall darauf beschränkt, den mitbestimmungswidrigen Zustand beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen ( BAG 18. Mai 2010 - 1 ABR 6/09 - EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 30 ). Ein Unterlassungsanspruch folgt hieraus nicht (BAG 28. Mai 2002 - 1 ABR 40/01 - AP BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA BetrVG 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65). Die abweichende Auffassung des Landesarbeitsgerichts führt zu einer im Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehenen Auffangzuständigkeit eines nicht zuständigen örtlichen Betriebsrats, die der gesetzlichen Zuständigkeitstrennung widerspricht. Denn der zur Sicherung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG entwickelte Unterlassungsanspruch (BAG 3. Mai 1994 - 1 ABR 24/93 - BAGE 76, 364) steht nach seinem Zweck allein dem Betriebsrat zu, der Träger des konkreten Mitbestimmungsrechts ist. Dies ist vorliegend - soweit ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG besteht - nicht der Antragsteller, sondern der Konzernbetriebsrat.
3. Die Ablehnung eines Unterlassungsanspruchs aus § 80 Abs. 1 BetrVG führt auch nicht zu einer planwidrigen Verkürzung der Rechtsstellung des örtlichen Betriebsrats. Diesem verbleibt vielmehr ein Unterlassungsanspruch aus § 23 Abs. 3 BetrVG. Dessen Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall jedoch verneint, weil die Arbeitgeberin nicht grob gegen betriebsverfassungsrechtliche Pflichten aus § 87 BetrVG verstoßen habe. Dies ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden, nachdem vom Betriebsrat insoweit keine Gegenrügen erhoben worden sind.
|
Schmidt |
|
Koch |
|
Linck |
|
|
|
Federlin |
|
Platow |