Entscheidungsdatum: 05.04.2011
1. NV: Bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist der Auffassung des FG zuzustimmen, die Antragstellerin habe die Milchquote entgeltlich auf die Verkaufsstelle (eine GmbH) übertragen und damit eine steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistung ausgeführt .
2. NV: Dass die Verkaufsstelle hoheitlich handelt und nur allgemeinen öffentlichen Interessen dient, steht der Steuerbarkeit der an sie erbrachten Leistung nicht entgegen .
3. NV: Dass die Verkaufsstelle die mit den angebotenen Milchquoten verbundene Möglichkeit, Milch abgabenfrei anzuliefern, nicht selbst in diesem Sinne nutzen will, steht der Annahme eines Vorteils, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt, nicht entgegen .
4. NV: Der Einwand, durch die Einschaltung der Verkaufsstellen werde es den beteiligten Unternehmen verwehrt, der Umsatzsteuerbelastung des Anbieters eine betragsidentische Vorsteuerentlastung auf der Seite des Nachfragers gegenüberzustellen, richtet sich gegen das Übertragungsverfahren gem. §§ 8 bis 11 MilchAbgV und nicht gegen die steuerrechtliche Beurteilung der gesetzlich vorgegebenen Transaktionen .
5. NV: Dem BFH ist es im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung versagt, einen andern als den vom FG festgestellten Sachverhalt der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit die Klägerin im Revisionsverfahren keine Sachverhaltsrügen erhoben hat, die den Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 FGO entsprechen .
I. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Antragstellerin), eine Agrarhandelsgesellschaft mit beschränkter Haftung, begehrt die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Umsatzsteuerbescheides für 2004, mit dem der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) Umsatzsteuer wegen der Übertragung einer Milchanlieferungs-Referenzmenge festgesetzt hat.
Unter dem 1. November 2004 teilte der … --Verkaufsstelle für Milchanlieferungs-Referenzmengen-- (L) der Antragstellerin mit, sie sei am Übertragungstermin selben Datums bei einem für ihr Übertragungsgebiet ermittelten Gleichgewichtspreis von 0,25 € je kg Anlieferungs-Referenzmenge mit ihrem Abgabeangebot zum Zuge gekommen. Die zur Abgabe gelangte Anlieferungs-Referenzmenge belaufe sich auf 1 428 755 kg zum Standardfettgehalt von 4 %. Der an sie auszuzahlende Betrag belaufe sich auf 357.188,75 €.
Mit Bescheid vom 23. Januar 2006 setzte das FA die Umsatzsteuervorauszahlung für November 2004 auf 48.935,46 € fest. Dabei nahm es steuerpflichtige Umsätze zum Regelsteuersatz in Höhe von 307.921 € (100/116 von 357.188,75 €) an, die einzig in der Übertragung der Anlieferungs-Referenzmenge bestanden.
Die Antragstellerin machte hiergegen sinngemäß geltend, mit der Veräußerung der Anlieferungs-Referenzmenge an der "Milchbörse" habe sie Milchlieferrechte auf Dritte, die zumindest nahezu ausschließlich Unternehmer seien, übertragen. Da die Anonymisierung des Leistungsaustauschs zwischen Anbieter und Nachfrager zu einem systemwidrigen Verlust des Vorsteuerabzugs beim Erwerber führe, weil der Anbieter dem Nachfrager keine Rechnung erteilen könne, dürfe der Vorgang nicht umsatzsteuerpflichtig sein.
Einspruch und Klage gegen den mittlerweile ergangenen Umsatzsteuerbescheid für 2004 vom 22. September 2006 blieben ohne Erfolg. Die Vorentscheidung ist veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1832.
Die Antragstellerin macht mit ihrer Revision geltend, das Urteil des Finanzgerichts (FG) verletze den Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer. Es dürfe zwei an einem Leistungsaustausch beteiligten Unternehmen --hier dem Anbieter und dem Nachfrager-- nicht die Möglichkeit verwehrt werden, der Umsatzsteuerbelastung auf der einen Seite eine betragsidentische Vorsteuerentlastung auf der anderen Seite gegenüberzustellen.
Zu Unrecht gehe das FG davon aus, der L sei Leistungsempfänger. Die Einschaltung einer hoheitlich agierenden Verkaufsstelle verdecke den Blick darauf, dass der wirkliche Abnehmer allein der erwerbende Landwirt sei und nur dieser die wirtschaftlichen Vorteile erhalte. Dem entspreche auch die Auffassung des Bundesministeriums der Finanzen in dem Schreiben vom 19. Dezember 2000 IV B 7 -S 7410- 23/00 (Umsatzsteuer-Rundschau 2001, 319), wonach die Verkaufsstelle nur Vermittler sei. Der L sei kein steuerpflichtiger Unternehmer.
Steuerbare Leistungen lägen nur dann vor, wenn sie einem anderen Vorteile brächten, aufgrund deren er als Empfänger einer Leistung angesehen werden könne. Der L werde aber in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben ordnungspolitisch tätig, ohne eigene wirtschaftliche Vorteile zu erhalten. Da er kein Leistungsempfänger in dem vorgenannten Sinne sei, unterliege die Anlieferungs-Referenzmenge an den L nicht der Umsatzsteuer.
Außerdem sei der Verkauf gemäß § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) als Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht steuerbar. Sie, die Antragstellerin, habe voneinander getrennte Pflanzen- und Tierproduktionen betrieben, wobei Gegenstand der Tierproduktion nur das Halten von Milchkühen gewesen sei. Aufgrund von BSE-Fällen im eigenen Bestand sei im Streitjahr die Tierproduktion aufgegeben worden, indem die Tiere zum Schlachthof gegeben und der auf die Anlieferungs-Referenzmenge reduzierte Teilbetrieb "Tierproduktion" verkauft worden seien.
Die während des Revisionsverfahrens beantragte AdV des Umsatzsteuerbescheides für 2004 hat das FA unter dem 9. September 2010 abgelehnt.
Mit Schriftsatz vom 23. November 2010 beantragt die Antragstellerin sinngemäß, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides für 2004 bis zur Entscheidung über das anhängige Revisionsverfahren auszusetzen.
Das FA beantragt, den Antrag als unbegründet abzuweisen.
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Er ist zwar zulässig. Nach § 121 i.V.m. § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist nach Einlegung der Revision durch die Antragstellerin der Bundesfinanzhof (BFH) als Gericht der Hauptsache für die begehrte AdV zuständig. Auch die Zulässigkeitsvoraussetzungen gemäß § 69 Abs. 4 FGO sind im Streitfall gegeben, nachdem das FA unter dem 9. September 2010 den Aussetzungsantrag der Antragstellerin abgelehnt hat (§ 69 Abs. 4 Satz 1 FGO).
2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen, wenn --bei summarischer Prüfung-- gewichtige Umstände Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 9. August 2010 IV B 123/09, BFH/NV 2010, 2266). Ist der Steuerbescheid, dessen AdV begehrt wird --wie hier-- Gegenstand eines bereits in der Revisionsinstanz anhängigen Hauptverfahrens, können ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit nur anerkannt werden, wenn unter Berücksichtigung der besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens und der beschränkten Prüfungsmöglichkeiten des Revisionsgerichts, insbesondere seiner grundsätzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO), ernstlich mit der Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsakts gerechnet werden kann (BFH-Beschluss vom 16. Juli 1997 III S 10/96, BFH/NV 1998, 178; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 69 Rz 97, m.w.N.).
Das bedeutet, dass bei voraussichtlich endgültiger Entscheidung über die Revision der wahrscheinliche Ausgang des Revisionsverfahrens, bei voraussichtlicher Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das FG der wahrscheinliche Ausgang dieses Verfahrens, summarisch zu beurteilen ist. Dabei sind nur präsente Beweismittel beachtlich; es ist nicht Aufgabe des Gerichts, etwa aus umfangreichen Akten Feststellungen zu treffen. Zu berücksichtigen sind in der Regel nur Tatsachen, die sich aus dem angefochtenen Verwaltungsakt oder dem glaubhaft gemachten Vortrag der Beteiligten ergeben (vgl. BFH-Beschluss vom 24. August 1987 V S 10/86, BFH/NV 1988, 59, m.w.N.).
3. Hiervon ausgehend bestehen an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheides für 2004 keine ernstlichen Zweifel. Der Auffassung des FG, die Antragstellerin habe die Anlieferungs-Referenzmenge entgeltlich auf den L als Leistungsempfänger übertragen und damit eine steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistung ausgeführt, ist bei summarischer Prüfung zuzustimmen.
a) Der Einwand der Antragstellerin, die Abgabe der Anlieferungs-Referenzmenge an den L unterliege --entgegen der Auffassung des FG-- deshalb nicht der Umsatzsteuer, weil dieser als hoheitlich agierende Verkaufsstelle nur allgemeinen öffentlichen Interessen diene, ist unbegründet.
Dass der L mit seiner hoheitlichen Tätigkeit allgemeine öffentliche Interessen verfolgt, steht seiner Eigenschaft als Leistungsempfänger einer Dienstleistung nicht grundsätzlich entgegen. Die Person des Leistungsempfängers bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des BFH nach dem der Leistung zugrunde liegenden Rechtsverhältnis. Bei der Bestimmung des Leistungsempfängers ist zu berücksichtigen, ob ein Handeln gegenüber Dritten im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen vorliegt. Unerheblich ist, ob die Person, die danach als Leistungsempfänger anzusehen ist, auf eigene oder auf fremde Rechnung handelt (BFH-Urteil vom 18. Februar 2009 V R 82/07, BFHE 225, 198, BStBl II 2009, 876, m.w.N.). Auch an hoheitlich handelnde juristische Personen des öffentlichen Rechts erbrachte Leistungen sind steuerbar, wenn dabei --wie hier-- die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG erfüllt werden.
b) Zwischen der Leistung der Antragstellerin und der Zahlung des L an sie besteht auch ein unmittelbarer Zusammenhang aufgrund eines Rechtsverhältnisses zwischen beiden (vgl. zu diesem Erfordernis z.B. BFH-Urteil vom 19. November 2009 V R 29/08, BFH/NV 2010, 701). Durch das Angebot der Antragstellerin an den L, eine Anlieferungs-Referenzmenge abzugeben, und die Annahme dieses Angebots durch den L ist zwischen beiden ein Rechtsverhältnis begründet worden, das den L zur Zahlung des der Antragstellerin mitgeteilten Betrages verpflichtet hat. Die Zahlung des L stellt den Gegenwert für die Leistung der Antragstellerin dar und dient nicht lediglich deren Förderung aus strukturpolitischen, volkswirtschaftlichen oder allgemeinpolitischen Gründen.
Der L ist bei seiner Mitteilung an die Antragstellerin vom 1. November 2004, dass sie mit ihrem Angebot zum Zuge gekommen sei, im eigenen Namen und nicht lediglich im Namen der Erwerber von Anlieferungs-Referenzmengen und somit nicht als Vermittler aufgetreten. Damit steht im Einklang, dass der V. Senat des BFH in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 V R 40/04 (BFHE 221, 557, BStBl II 2009, 208, unter II.2.c) angenommen hat, die Verkaufsstelle habe auch bei der Übertragung der Anlieferungs-Referenzmengen auf die jeweiligen Erwerber im eigenen Namen gehandelt. Ein Handeln im eigenen Namen bei der Übertragung auf die Erwerber wäre nicht möglich, wenn die Verkaufsstelle gegenüber den Anbietern nur als Vermittler aufgetreten wäre.
c) Unzutreffend ist ferner die Meinung der Antragstellerin, der L habe weder einen eigenen wirtschaftlichen Vorteil erlangt noch am wirtschaftlichen Prozess mit der Antragstellerin teilgenommen.
Die Antragstellerin hat vielmehr dem L als identifizierbarem Verbraucher eine öffentlich-rechtliche Abgabevergünstigung in Gestalt der übertragenen Anlieferungs-Referenzmenge verschafft. Dieses Recht stellt einen (handelbaren) Vorteil dar, der es dem L ermöglicht hat, Anlieferungs-Referenzmengen auf die Nachfrager zu übertragen und seine sich aus der Milchabgabenverordnung (MilchAbgV) ergebenden Aufgaben zu erfüllen (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 13. Dezember 2007 Rs. C-408/06 --Götz--, Slg. 2007, I-11295, BFH/NV Beilage 2008, 147, Rz 19). Dass er das Recht, Milch abgabenfrei anzuliefern, nicht selbst in diesem Sinne nutzen wollte, steht der Annahme eines Vorteils, der zu einem Verbrauch im Sinne des gemeinsamen Mehrwertsteuerrechts führt, ebenso wenig entgegen, wie es der Eigenschaft eines Zwischenhändlers als Leistungsempfänger entgegensteht, dass er Waren zum Zwecke der Weiterveräußerung erwirbt.
Nichts anderes ergibt sich aus den EuGH-Urteilen vom 29. Februar 1996 Rs. C-215/94 --Mohr-- (Slg. 1996, I-959, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 1996, 294) und vom 18. Dezember 1997 Rs. C-384/95 --Landboden-Agrardienste-- (Slg. 1997, I-7387, HFR 1998, 315). Denn der Streitfall ist mit den Sachverhalten, die diesen Urteilen zugrunde lagen, nicht vergleichbar. Anders als dort hat sich die Antragstellerin nicht zur Aufgabe (Rs. Mohr) oder Extensivierung (Rs. Landboden-Agrardienste) ihrer Erzeugung verpflichtet, sondern ein ihr zustehendes Recht dem L angeboten, damit dieses --so der Zweck des Verfahrens einer sog. "regulierten entgeltlichen Übertragung"-- von dem L auf die in dem Verfahren erfolgreichen Nachfrager übertragen wird. Dieses Recht ist auch tatsächlich übertragen worden.
4. Das Argument der Antragstellerin, durch die Einschaltung der Verkaufsstellen werde es den beteiligten Unternehmen zu Unrecht verwehrt, der Umsatzsteuerbelastung des Anbieters eine betragsidentische Vorsteuerentlastung auf der Seite des Nachfragers gegenüberzustellen, richtet sich im Wesentlichen gegen das Verfahren der regulierten entgeltlichen Übertragung von Anlieferungs-Referenzmengen gemäß §§ 8 bis 11 MilchAbgV und nicht gegen die steuerliche Beurteilung der damit gesetzlich vorgegebenen Transaktionen.
5. Das erstmals im Revisionsverfahren unterbreitete Vorbringen, der Verkauf der Anlieferungs-Referenzmenge sei nach § 1 Abs. 1a UStG als Geschäftsveräußerung im Ganzen nicht steuerbar, ist ein neuer Tatsachenvortrag, der in einem Revisionsverfahren grundsätzlich nicht zu berücksichtigen ist (s. Gräber/Ruban, a.a.O., § 118 Rz 36). Sachverhaltsrügen, die den Voraussetzungen des § 118 Abs. 2 FGO entsprechen, hat die Antragstellerin im Revisionsverfahren nicht erhoben; dem Senat ist es daher auch im Verfahren über die AdV versagt, einen anderen als den vom FG festgestellten Sachverhalt der Entscheidung zugrunde zu legen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Mai 1987 V S 11/85, BFH/NV 1987, 536).
Weder aus dem angefochtenen Verwaltungsakt noch aus den tatsächlichen Feststellungen des FG ist etwas dafür ersichtlich, dass die übertragene Anlieferungs-Referenzmenge einen Geschäftsbetrieb oder einen selbständigen Unternehmensteil dargestellt haben könnte, die jeweils materielle und gegebenenfalls immaterielle Bestandteile umfassen, die zusammengenommen ein Unternehmen oder einen Unternehmensteil bilden, mit dem eine selbständige wirtschaftliche Tätigkeit fortgeführt werden kann (vgl. EuGH-Urteil vom 27. November 2003 Rs. C-497/01 --Zita Modes--, Slg. 2003, I-14393, BFH/NV Beilage 2004, 128).