Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 16.09.2010


BFH 16.09.2010 - XI S 18/10 (PKH)

Kein Vertretungszwang vor dem BFH im PKH-Verfahren - Entscheidung durch Prozessurteil statt durch Sachurteil


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsdatum:
16.09.2010
Aktenzeichen:
XI S 18/10 (PKH)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Ein an den BFH gerichteter Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist auch zulässig, wenn der Antragsteller in diesem Verfahren nicht durch einen Prozessbevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertreten wird.

2. NV: Ein Verfahrensmangel kann vorliegen, wenn das FG zu Unrecht durch Prozessurteil statt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat.

Tatbestand

1

I. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Antragstellers wegen Umsatzsteuer 2003 wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig ab.

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Innerhalb der Beschwerdefrist beantragte der nicht vertretene Antragsteller Prozesskostenhilfe (PKH) für eine noch einzulegende Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision im FG-Urteil. Er macht geltend, das FG habe zu Unrecht die Klage als unzulässig abgewiesen. Er habe die Klagefrist nicht versäumt, weil ihm die Einspruchsentscheidung verspätet zugegangen sei. Beweispflichtig für den Zugang der Einspruchsentscheidung sei der Beklagte (das Finanzamt --FA--); das FG habe die gesetzliche Beweislast umgekehrt. Ferner habe das FG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.

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Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--) hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.

Entscheidungsgründe

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II. Der Antrag auf PKH wird abgelehnt.

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1. Der Antrag auf PKH ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller im Streitfall nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten wird.

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a) Zwar müssen sich die Beteiligten nach § 62 Abs. 4 FGO vor dem Bundesfinanzhof (BFH) grundsätzlich durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder einen anderen Bevollmächtigten i.S. des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO vertreten lassen. Das gilt nach Abs. 4 der Regelung auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BFH eingeleitet wird. Darunter fällt aber nicht die Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH (BFH-Beschlüsse vom 26. Januar 2009 II S 19/08 (PKH), nicht veröffentlicht --n.v.--; vom 20. Februar 2009 V S 18/08 (PKH), n.v.; vom 8. Mai 2009 IV S 3/09 (PKH), Zeitschrift für Steuern und Recht --ZSteu-- 2009, R679; vom 27. Juli 2010 III S 28/09 (PKH), n.v.; im Ergebnis gl.A. Spindler in Hübschmann/Hepp/ Spitaler --HHSp--, § 62 FGO Rz 101; ebenso ständige Rechtsprechung zu der bis zum 30. Juni 2008 anzuwendenden Regelung in § 62a FGO, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2003 VI S 4/03 (PKH), BFH/NV 2004, 356; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 142 Rz 63, m.w.N.).

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b) Soweit für § 62 Abs. 4 FGO eine andere Auffassung vertreten wird (Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 62 FGO Rz 44; vgl. auch Spindler, Der Betrieb 2008, 1283, 1286 f.), folgt der Senat dem nicht. Wie der IV. Senat des BFH im Beschluss in ZSteu 2009, R679 zutreffend ausführt, erfordert der Wortlaut von § 62 Abs. 4 FGO wegen der Besonderheiten des Verfahrens zur Bewilligung von PKH eine solche Auslegung nicht. Sie wird auch dem Zweck der Regelung des PKH-Verfahrens nicht gerecht, dem Unbemittelten einen Rechtsschutz zu sichern, der demjenigen eines Bemittelten wenigstens annähernd entspricht. Die Gegenauffassung ist deshalb verfassungsrechtlich bedenklich (Spindler in HHSp, § 62 FGO Rz 101). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die bisherige Rechtslage ausdrücklich nicht ändern wollte (BTDrucks 16/3655, S. 99 f.).

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2. Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

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a) Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 ZPO wird einem Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. In dem Antrag ist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dazu muss in einem Rechtsmittelverfahren ein nicht rechtskundig vertretener Antragsteller zumindest erkennen lassen, in welchen Punkten und in welchem Umfang das angegriffene Urteil angefochten werden soll (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 142 Rz 69, m.w.N.).

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b) Die vom Antragsteller mit der Nichtzulassungsbeschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine Aussicht auf Erfolg. Zwar ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO gegeben, wenn das FG zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Januar 2002 VI B 114/01, BFHE 198, 1, BStBl II 2002, 306, und vom 16. April 2007 VII B 98/04, BFH/NV 2007, 1345). Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall jedoch nicht festzustellen.

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Das FG hat die Klage wegen Versäumung der einmonatigen Klagefrist nach § 47 Abs. 1 FGO zu Recht als unzulässig abgewiesen. Der Antragsteller hat zwar den Zugang der mit einfachem Brief übermittelten Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2006 bestritten und vorgetragen, diese erst nach der Vollstreckungsankündigung am 1. Dezember 2006 erhalten zu haben, so dass die Klage am 23. Dezember 2006 noch rechtzeitig erhoben worden sei. Entgegen der Auffassung des Antragstellers durfte das FG im Streitfall aber von dem Grundsatz abweichen, wonach im Zweifel das FA den Zugang und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen hat (z.B. Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 122 AO Rz 57, 58, m.w.N.). Denn das FG ist unter Würdigung des Gesamtverhaltens des Antragstellers angesichts der besonderen Umstände des Einzelfalls mit einem ausreichenden Grad an Gewissheit zu dem Schluss gelangt, dass der Antragsteller die Einspruchsentscheidung tatsächlich schon im Juli 2006 mit einfachem Brief erhalten hat (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. April 1999 V B 173/98, BFH/NV 1999, 1442, und vom 6. April 1999 VII B 207/98, BFH/NV 1999, 1581).

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3. Der Beschluss ergeht gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes i.V.m. dem Kostenverzeichnis der Anlage 1 gerichtsgebührenfrei.