Entscheidungsdatum: 11.05.2010
1. NV: Die Grundsätze für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gelten für die Finanzbehörde ebenso wie für den Steuerpflichtigen .
2. NV: Begehrt das Finanzamt Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist, so muss der gesetzliche Vertreter vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem Amt Posteingänge gehandhabt werden sowie wann und wie die in der Sachbearbeitung von Posteingängen eingesetzten Beschäftigten über die ordnungsgemäße Behandlung von Posteingängen belehrt worden sind und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird .
I. Mit "Teilurteil" vom 23. August 2007 hat das Finanzgericht (FG) entschieden, dass in den Jahren 2000 und 2001 keine Organschaft zwischen der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und der X GmbH bestanden hat.
Mit Beschluss vom 2. Juni 2008 hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Revision zugelassen. Der Beschluss ist dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) am 13. Juni 2008 förmlich zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 5. August 2008 hat das FA beantragt, ihm wegen der Versäumung der Frist zur Vorlage der Revisionsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zu gewähren. Gleichzeitig hat es einen Revisionsantrag gestellt und die Revision begründet.
Zur Begründung seines Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trägt das FA vor, der Beschluss des BFH über die Zulassung der Revision sei ihm am 13. Juni 2008 förmlich zugestellt worden. Von dieser Zustellung hätten jedoch weder der Vorsteher noch der für die Rechtsbehelfsstelle und die Bearbeitung von Revisions- und Klagesachen zuständige Sachgebietsleiter Kenntnis erlangt. Erst nach dem Schreiben der Vorsitzenden des erkennenden Senates vom 23. Juli 2008 (zugestellt am 24. Juli 2008) und einem umgehend erfolgten Anruf in der Geschäftsstelle des Senats sei ihm bekannt geworden, dass die Revision zwischenzeitlich zugelassen worden sei. Nach intensiver Suche sei die Zustellung dann auch tatsächlich noch ungeöffnet in der Posteingangsstelle gefunden worden.
Nach Auskunft der Geschäftsstelle des XI. Senats habe Frau A das zugestellte Schriftstück für das FA entgegengenommen. Frau A sei als Mitarbeiterin im Bürgerbüro eingesetzt und nehme keine Aufgaben im Rahmen der Posteingangsstelle wahr. Der Umschlag sei von ihr daher auch nach den bestehenden Weisungen behandelt und ungeöffnet der Posteingangsstelle zugeleitet worden.
Die Posteingangsstelle habe den Umschlag jedoch offensichtlich nicht geöffnet und in den Posteingang gegeben, sondern den Umschlag ungeöffnet in ein Fach eingelegt, in dem ansonsten nur interne Papiere der Posteingangsstelle vorübergehend gelagert würden. Der Umschlag sei möglicherweise zusammen mit anderem internen Schriftgut gefasst und in dieses Fach eingelegt worden. Der genaue Hergang könne jedoch nicht mehr ermittelt werden. Sicher sei lediglich, dass der farblich auffällige Umschlag von anderen Papieren verdeckt und daher auch in der Folgezeit nicht erkannt worden sei.
Der Fehler der Posteingangsstelle habe dazu geführt, dass der Beschluss des BFH über die Zulassung der Revision nicht in den Geschäftsgang gegeben worden sei und folglich von den zuständigen Personen nicht habe zur Kenntnis genommen werden können. Ebenso sei dadurch das praktizierte Fristenkontrollverfahren, das über ein von einer zuverlässigen Mitarbeiterin geführtes Fristenkontrollbuch erfolge, vollständig umgangen worden.
Das FA beantragt,
1. wegen Versäumung der Frist für die Revisionsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zu gewähren;
2. das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise das Urteil aufzuheben und das Verfahren zur anderweitigen Verhandlung an das FG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des FA wegen Verfristung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 124 Abs. 1, § 126 Abs. 1 FGO).
1. Das FA hat die Frist für die Begründung der Revision versäumt. Nach § 120 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz FGO ist die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Diese Frist lief im Streitfall am Montag, dem 14. Juli 2008, ab. Die Revisionsbegründung des FA ist jedoch erst am 7. August 2008 beim BFH eingegangen.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 Abs. 1 FGO kann nicht gewährt werden.
a) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. In formeller Hinsicht setzt die Gewährung der Wiedereinsetzung voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz FGO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 24. Juni 2008 X R 38/07, BFH/NV 2008, 1517, m.w.N.).
b) Nach der Rechtsprechung des BFH gelten die Grundsätze über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das FA in gleicher Weise wie für einen Steuerpflichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 12. September 2005 VII R 10/05, BFHE 210, 227, BStBl II 2005, 880, m.w.N.). Wird der Wiedereinsetzungsantrag auf ein so genanntes Büroversehen gestützt, muss sich aus der Begründung ergeben, dass der Bürobetrieb in der Weise organisiert ist, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind, insbesondere dass Vorkehrungen getroffen wurden, um eine rechtzeitige Vorlage gerichtlicher Entscheidungen sicherzustellen (vgl. BFH-Beschluss vom 23. April 1993 III R 73/91, BFH/NV 1993, 746, m.w.N.).
Soweit der Umgang mit Fristsachen delegiert wird, ist dem FA --ebenso wie einem Prozessbevollmächtigten-- ein Versehen eines mit Fristsachen betrauten Beschäftigten dann nicht als eigenes Verschulden zuzurechnen, wenn alle Vorkehrungen dafür getroffen worden sind, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und wenn durch regelmäßige Belehrung und Überwachung der mit Fristsachen befassten Beschäftigten Sorge für die Einhaltung der getroffenen Anordnungen getragen ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 1993, 746, m.w.N.). Das FA muss hierzu vortragen, wie und durch welche Beschäftigten in seinem Amt Posteingänge gehandhabt werden sowie wann und wie die in der Sachbearbeitung von Posteingängen eingesetzten Beschäftigten über die ordnungsgemäße Behandlung von Posteingängen belehrt worden sind und wie die Einhaltung dieser Belehrungen überwacht wird (vgl. zur Behandlung von Fristsachen BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 1517).
c) Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des FA nicht gerecht.
Das FA hat sich im Wesentlichen darauf beschränkt darzustellen, auf welchem Weg der in Rede stehende Zulassungsbeschluss vom 2. Juni 2008 in den Bereich des FA gelangt ist und weshalb weder der Vorsteher noch der zuständige Sachgebietsleiter hiervon rechtzeitig Kenntnis erlangt haben. Ferner führt es aus, im Nachhinein sei nicht mehr festzustellen, welchem Mitarbeiter der Posteingangsstelle der Fehler unterlaufen sei. Fakt sei jedoch, dass es sich um zuverlässige Mitarbeiter handele, die auch regelmäßig und ausführlich über die Behandlung von Posteingängen informiert und auch im Rahmen des Möglichen überwacht würden. Das FA verweist hierzu auf Abschn. 3.1 der Geschäftsordnung für die Finanzämter (FAGO).
Das FA hat indes nicht dargelegt, welche Beschäftigten in der Posteingangsstelle tätig waren. Ferner fehlt jegliche Darstellung zur regelmäßigen Handhabung von Posteingängen und der Kontrolle ihrer Beachtung sowie zur Auswahl, Belehrung und Überprüfung des in der Posteingangsstelle eingesetzten Personals. Soweit das FA auf Abschn. 3.1 FAGO verweist, ergibt sich hieraus nur, dass Posteingänge grundsätzlich dem zuständigen Sachgebietsleiter über den Vorsteher zuzuleiten sind. Wie das FA diese Regelung tatsächlich umgesetzt und deren Beachtung überwacht hat, folgt hieraus nicht.
Der Senat kann aufgrund dieser unzureichenden Darstellung nicht von einem entschuldbaren Versehen eines Mitarbeiters ausgehen, da ein Organisationsverschulden als Ursache der Fristversäumnis nicht auszuschließen ist.