Entscheidungsdatum: 29.06.2010
NV: Ergeht während des Revisionsverfahrens ein Umsatzsteuerjahresbescheid, der nach § 68 FGO Gegenstand des Verfahrens wird, ändert sich der kostenrechtliche Streitgegenstand erst dann, wenn das Revisionsbegehren durch Prozesserklärung an den geänderten Verfahrensgegenstand angepasst wird .
I. Die Kostenschuldnerin und Erinnerungsführerin (Kostenschuldnerin) nahm im Verfahren vor dem Bundesfinanzhof (BFH) XI R 54/06, vormals V R 28/06, die gegen das Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 22. März 2006 3 K 4633/02, eingelegte Revision zurück. Dies erfolgte, nachdem mit Urteil vom 22. Oktober 2009 (Rs. C-242/08) eine abschließende Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der vorliegenden Rechtssache ergangen und die Aussetzung des Verfahrens vor dem BFH beendet worden war. Das Revisionsverfahren XI R 54/06 wurde sodann mit Beschluss des erkennenden Senats eingestellt und die Kosten der Kostenschuldnerin auferlegt.
Sowohl im finanzgerichtlichen Verfahren als auch im Revisionsverfahren war die Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2002 streitig. Noch während der Anhängigkeit des Revisionsverfahrens erging der Jahresumsatzsteuerbescheid 2002, sodass dieser Bescheid unstreitig nach § 68 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens wurde. Der Prozessbevollmächtigte der Kostenschuldnerin bestätigte schriftsätzlich, dass durch den Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids für das Jahr 2002 keine Änderung des Klagegegenstands eingetreten sei, und teilte auf fernmündliche Nachfrage mit, dass die Streitfragen weiterhin unverändert bestünden. Von der Revisionsbegründung abweichende Sachanträge wurden nachfolgend im Revisionsverfahren nicht gestellt.
Mit Kostenrechnung vom 20. Januar 2010 wurden die Gerichtskosten angesetzt. Der Kostenbeamte war der Ansicht, der Streitwert sei infolge des Jahresumsatzsteuerbescheids 2002, der nach § 68 FGO Gegenstand des Revisionsverfahrens geworden sei, nach § 47 i.V.m. § 52 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf Basis der steuerlichen Auswirkungen der Streitfrage auf die Jahresumsatzsteuer zu ermitteln.
Die Kostenschuldnerin legte gegen die Kostenrechnung Erinnerung ein und setzte den Senat davon in Kenntnis, dass sie nicht mehr vertreten werde. Mit der Erinnerung wendet sich die Kostenschuldnerin gegen die Höhe des Streitwerts.
Der Erinnerung wurde nicht abgeholfen.
II. Die zulässige Erinnerung ist begründet. Die Kosten sind in der angefochtenen Kostenrechnung ausgehend von einem Streitwert auf der Grundlage der Umsatzsteuer-Voranmeldung Januar 2002 anzusetzen.
1. Anträge und Erklärungen im Erinnerungsverfahren können nach § 66 Abs. 5 Satz 1 GKG ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle erklärt werden. Die Erinnerung im Streitfall genügt diesen formalen Anforderungen. Eine Vertretung durch einen postulationsfähigen Bevollmächtigten i.S. von § 62 Abs. 4 FGO ist danach nicht geboten.
2. Der Streitwert des Rechtsmittelverfahrens bestimmt sich nach den Anträgen des Rechtsmittelführers (§ 47 Abs. 1 Satz 1 GKG). Bei unverändertem Streitgegenstand ist der Streitwert des Rechtsmittelverfahrens mit dem Streitwert des ersten Rechtszugs nach § 52 Abs. 1 GKG identisch (vgl. BFH-Beschluss vom 4. September 2008 I E 5/08, BFH/NV 2008, 2041, m.w.N.). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Der Streitwert des Revisionsverfahrens ist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 GKG grundsätzlich durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt (vgl. BFH-Beschluss vom 14. Februar 2007 IV E 6/06, BFH/NV 2007, 1156, m.w.N.). Dies gilt jedoch nicht, soweit der Streitgegenstand im Revisionsverfahren durch Sachantrag erweitert wird (vgl. BFH-Beschluss vom 15. November 1999 III E 1/99, BFH/NV 2000, 589 zu § 14 Abs. 2 GKG a.F.).
Wird der angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert oder ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt nach § 68 FGO Gegenstand dieses Verfahrens. Die Bestimmung des § 68 FGO greift auch im Revisionsverfahren ein (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 68 Rz 20, m.w.N.). Ein während des Revisionsverfahrens nach § 68 FGO an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Steuerbescheids getretener Änderungsbescheid ist ein neuer Verfahrensgegenstand. Dies gilt auch im Verhältnis von Umsatzsteuervorauszahlungs- und Umsatzsteuerjahresbescheid. Ergeht während eines finanzgerichtlichen Verfahrens unter Einschluss eines nachfolgenden Revisionsverfahrens, das einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid zum Gegenstand hat, der Jahresbescheid, wird dieser automatisch zum Verfahrensgegenstand (vgl. BFH-Urteil vom 3. November 2005 V R 63/02, BStBl II 2006, 337, m.w.N.). Der Revisionskläger muss in den Fällen des § 68 FGO seinen Revisionsantrag gegebenenfalls der durch den neuen Verfahrensgegenstand geschaffenen geänderten Prozesssituation anpassen. Der Antrag darf in diesem Fall auch über das ursprüngliche Klagebegehren hinausgehen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Oktober 1992 IX R 152/89, BStBl II 1993, 589; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 123 Rz 3, m.w.N.). Wegen der Bindung an das ursprüngliche Klagebegehren ist dazu regelmäßig eine ausdrückliche Äußerung dem Gericht gegenüber erforderlich (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 68 FGO Rz 27). Die Anpassung des Rechtsschutzbegehrens an die nach § 68 FGO veränderten Verhältnisse ist nach den auch im Anwendungsbereich des § 68 FGO maßgeblichen Grundsätzen der Dispositionsmaxime allein Sache des Rechtssuchenden. Er muss das Klage- bzw. Revisionsziel bezogen auf den neuen Verfahrensgegenstand neu bestimmen (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 68 Rz 48, m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze wurde der Streitwert in der angegriffenen Kostenrechnung nicht zutreffend ermittelt. Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens war der Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid Januar 2002. Die Kostenschuldnerin beantragte mit ihrer Revisionsschrift sinngemäß, unter Abänderung des Urteils des FG die Umsatzsteuervorauszahlung für den Monat Januar 2002 herabzusetzen. Abweichende Anträge wurden nachfolgend nicht gestellt. Hiernach hat die Kostenschuldnerin im Revisionsverfahren den Streitgegenstand nicht erweitert. Erst durch die Anpassung des Klage- oder Revisionsbegehrens durch Prozesserklärung ändert sich auch in den Fällen des § 68 FGO der Streitgegenstand (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., § 68 Rz 85). Hieran fehlt es im Streitfall. Der Kostenrechnung ist daher, wie von der Kostenschuldnerin begehrt, nach § 47 Abs. 1 Satz 1 GKG ein Streitwert entsprechend ihrem Antrag im Revisionsverfahren, den Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid Januar 2002 herabzusetzen, zugrunde zu legen.