Entscheidungsdatum: 25.02.2011
NV: Hat eine Stadt einen Bürgersaal an eine GmbH vermietet, die ihrerseits den Saal in der Folgezeit zur kurzfristigen Nutzung an Unternehmen, Vereine, Verbände, Parteien etc. vermietete, steht der Option der Stadt zur Steuerpflicht ihrer Vermietungsumsätze an die GmbH die Vorschrift des § 9 Abs. 2 UStG nicht entgegen, wenn die GmbH aus der maßgebenden Sicht eines Durchschnittsverbrauchers gegenüber den jeweiligen Endnutzern ein Leistungsbündel erbracht hat, das neben der reinen Grundstücksüberlassung weitere erhebliche und prägende Leistungen der GmbH beinhaltete .
Die Beschwerde des Beklagten und Beschwerdeführers (Finanzamt --FA--) hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin), die Stadt X, verpachtete den in ihrem … fertig gestellten Stadthaus gelegenen Bürgersaal nebst bestimmter Betriebsvorrichtungen ab dem 1. Januar 1993 umsatzsteuerpflichtig an die A-GmbH zur Verwaltung und Bewirtschaftung des Saals, zur Bewirtschaftung von Gemeinderats- und Ausschusssitzungen und --im Bedarfsfall-- zum Betrieb eines Kioskes/Cafés im Zeitschriftenbereich der Stadtbibliothek.
Die A-GmbH vermietete den Saal in der Folgezeit zur kurzfristigen Nutzung an Unternehmen, Vereine, Verbände, Parteien etc., die den Saal für Tagungen, Ausstellungen, Konzerte, Seminare oder ähnliche Zwecke nutzten. Für die Nutzung der technischen Ausstattung des Saals (Bühnentechnik, Beleuchtung, Beschallung etc.) stellte die A-GmbH ebenso wie für Bewirtung, Eingangskontrolle und Garderobe eigenes Personal zur Verfügung. Für die Raumnutzung einschließlich der technischen, gastronomischen und sonstigen Dienstleistungen stellte die A-GmbH den jeweiligen Nutzern Umsatzsteuer in Rechnung.
Streitig ist, ob der Klägerin der Vorsteuerabzug aus den laufenden Kosten für den Bürgersaal in den Jahren 2001 und 2002 (Streitjahre) in voller Höhe oder nur zu einem bestimmten Prozentsatz zusteht.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt (vgl. Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1456). Es war der Ansicht, die Klägerin habe mit der Verpachtung des Saals an die A-GmbH zwar einen nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) steuerfreien und damit nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG vorsteuerabzugsschädlichen Umsatz ausgeführt. Sie habe aber nach § 9 UStG wirksam auf die Steuerbefreiung verzichtet. Dem Verzicht stehe § 9 Abs. 2 UStG in der hier vor dem 1. Januar 1994 anwendbaren Fassung nicht entgegen, weil die A-GmbH im Verhältnis zu den Endnutzern des Bürgersaales keine steuerfreien Vermietungsumsätze i.S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG, sondern sonstige steuerpflichtige Leistungen erbracht habe.
2. Die Revision gegen dieses Urteil ist entgegen der Ansicht des FA nicht wegen Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.
a) Die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO wegen Divergenz setzt eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung der angefochtenen Entscheidung voraus. Diese ist dann gegeben, wenn das FG bei vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der Bundesfinanzhof (BFH) oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung des anderen Gerichts nicht übereinstimmt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2009 III B 6/08, BFH/NV 2010, 176, m.w.N.).
b) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.
aa) Die Ansicht des FA, das FG habe den --von dem BFH-Beschluss vom 8. Februar 1993 V B 171/92 (BFH/NV 1994, 274), von dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 18. November 2004 Rs. C-284/03 --Temco Europe-- (Slg. 2004, I-11237, BFH/NV Beilage 2005, 86) und von dem BFH-Urteil vom 12. Oktober 2000 V R 74/99 (BFH/NV 2001, 653) abweichenden-- Rechtssatz aufgestellt, "dass es bei der Frage, wie steuerfreie Vermietungsumsätze von sonstigen steuerpflichtigen Leistungen abzugrenzen" seien, "im Wesentlichen auf die Kürze der Mietdauer" ankomme, trifft nicht zu.
Das FG hat vielmehr dargelegt, bei der Abgrenzungsfrage sei im Einzelfall danach zu entscheiden, ob die Vereinbarungen zur Raumnutzung im Wesentlichen die passive Bereitstellung von Gebäuden oder Flächen gegen eine Vergütung zum Gegenstand hätten, die nach dem Zeitablauf bemessen sei, oder ob sie auf die Erbringung einer anders einzustufenden Dienstleistung gerichtet sei (Urteil, S. 9).
Es ist sodann fortgefahren, "nach diesem Maßstab" sei die Nutzung auf der Endstufe steuerpflichtig, weil die A-GmbH den Saal nicht i.S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG vermietet habe. Hiergegen spreche bereits, dass sie den Saal nur stunden- oder tageweise zur Verfügung stelle. Aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers sei die Mietdauer ein geeignetes Kriterium, um eine selbständige Vermietungsleistung von einer einheitlichen sonstigen Leistung abzugrenzen. Die Kurzfristigkeit einer Raumnutzung spreche in der Regel gegen eine Vermietung im Sinne der Befreiungsvorschrift. Die jeweiligen Endnutzer hätten in dieser Zeit auch nicht die unbeschränkte Verfügungsmacht über den Saal, da nach den vorgelegten Verträgen das Hausrecht bei der A-GmbH verblieben sei. Deren Leistung habe des Weiteren nicht allein in der passiven Zurverfügungstellung des Saals und der darin befindlichen Betriebsvorrichtungen bestanden. Neben der Raumüberlassung habe sie technische und gastronomische Zusatzleistungen angeboten, die ebenfalls Grundlage der Entgeltberechnung seien. Bei den verschiedenen Veranstaltungen, die im Saal von den Vertragspartnern der A-GmbH durchgeführt würden (Festivals, Diavorträge, Konzerte, Feiern, Firmenveranstaltungen, Modeschauen etc.) sei aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers ein Leistungsbündel vereinbart, das neben der reinen Grundstücksüberlassung weitere erhebliche und prägende Leistungen der A-GmbH beinhalte. Hierzu gehörten die Gestellung von geschultem Personal für den Einsatz der Betriebsvorrichtungen (z.B. die Beleuchtungs- und Tonanlage), für die Einlasskontrolle und für die Garderobe sowie das Speisen- und Getränkeangebot und die Gewährleistung der Verkehrssicherungspflicht in dem der Öffentlichkeit frei zugänglichen Gebäude (Urteil, S. 9, 10).
Der Senat vermag der Ansicht des FA nicht zu folgen, angesichts des im FG-Urteil vorangestellten allgemeinen Rechtsgrundsatzes "Maßgeblichkeit der Kurzfristigkeit" könnten diese vom FG angeführten Gesichtspunkte nur als Hilfsüberlegungen gewertet werden, die das aus der Kurzfristigkeit der Saalüberlassung gewonnene Ergebnis zusätzlich stützen. Das FG hat weder einen derartigen Rechtssatz aufgestellt noch sind die weiteren von ihm angeführten Gesichtspunkte bloße Hilfsüberlegungen.
bb) Die ferner von dem FA behauptete Divergenz der Vorentscheidung zu dem Urteil des FG Düsseldorf vom 21. April 2010 5 K 860/08 U liegt ebenfalls nicht vor.
Diesem Urteil lag ein nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Es ging dort um die Vermietung eines mit einem Theater bebauten Grundstücks zum Betrieb eines Theaters sowie zur Durchführung sonstiger Unterhaltungskunst und hochwertigen Live-Entertainments; neben der reinen Grundstücksüberlassung wurden --anders als hier-- weitere erhebliche Leistungen nicht geschuldet.
cc) Soweit das FA ein Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch daraus herleitet, dass die Vorentscheidung der Auffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 86 Abs. 4 Satz 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien 2008 widerspreche, scheidet eine Zulassung der Revision --auch unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlichen Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)-- jedenfalls deshalb aus, weil dieser Widerspruch nur behauptet, nicht aber dargelegt wurde (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) und im Übrigen auch nicht vorliegt.
3. Die Revision ist entgegen der Ansicht des FA nicht wegen des Verfahrensmangels unzureichender Sachaufklärung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
a) Das FA macht hierzu geltend, das FG hätte dem Klagebegehren nicht in vollem Umfang entsprechen dürfen, weil für die unentgeltliche Nutzung des Bürgersaals, die der Klägerin nach dem Pachtvertrag zugestanden habe --worauf bereits in der Einspruchsentscheidung hingewiesen worden sei--, unentgeltliche Wertabgaben i.S. von § 3 Abs. 9a UStG zu versteuern gewesen seien; das FG hätte untersuchen müssen, ob --bejahendenfalls in welchen Umfang-- die Klägerin den Bürgersaal in den Streitjahren unentgeltlich genutzt habe.
b) Damit rügt das FA im Kern eine unrichtige Rechtsanwendung, nämlich die Nichtberücksichtigung von § 3 Abs. 9a UStG, nicht aber einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
Im Übrigen hat die Klägerin den Bürgersaal in vollem Umfang an die A-GmbH verpachtet. Dass daneben noch die Versteuerung einer unentgeltlichen Wertabgabe nach § 3 Abs. 9a UStG deshalb in Betracht kommen soll, weil nach § 3 des Pachtvertrags die Klägerin den Bürgersaal für bis zu zehn Veranstaltungen im Jahr selbst nutzen konnte, ohne ein Entgelt an die A-GmbH zu zahlen, ist (jedenfalls) nicht ohne weiteres ersichtlich und hätte deshalb vom FA näher dargelegt werden müssen.