Entscheidungsdatum: 11.04.2012
1. NV: Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163 und 227 AO (Rechtsprechung).
2. NV: Mit der Erhebung von Aussetzungszinsen sollen der Zinsnachteil des Steuergläubigers, der den Abgabenbetrag nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung erhält und der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden.
3. NV: Der durch die Verzinsung vom Gesetzgeber bezweckte Vorteilsausgleich behält grundsätzlich auch dann seinen Sinn, wenn die Ursache für die Aussetzung darin liegt, dass eine sonstige Leistung von dem inländischen FA des Leistenden und den Steuerbehörden des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Leistungsempfängers umsatzsteuerrechtlich unterschiedlich beurteilt werden und somit staatliche Stellen für deren Entstehung und Höhe (mit-) verantwortlich sind (Rechtsprechung).
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) --eine zur X-Unternehmensgruppe gehörende GmbH mit Sitz in Y-- verkaufte u.a. Klingeltöne für Mobilfunktelefone an (überwiegend private) Kunden im übrigen Gemeinschaftsgebiet (A). Der Vertrieb erfolgte weitgehend über eine in A ansässige Geschäftspartnerin (P), die u.a. die Klingeltöne über verschiedene Mobilfunknetzbetreiber in A an die Endkunden weiterleitete.
Dies führte zu folgenden Abrechnungsvorgängen: Der Kunde erhielt von seinem Mobilfunkanbieter eine Rechnung, in der dieser ihm einen Betrag belastete, in dem die Umsatzsteuer A enthalten war. Diese Umsatzsteuer führte der jeweilige Mobilfunkanbieter an die Steuerbehörden in A ab. Gleichzeitig übersandte er P eine monatliche Aufstellung und überwies ihr den ihr zustehenden Betrag zuzüglich Umsatzsteuer A. Diesen von den Mobilfunkanbietern als Vorsteuer geltend gemachten Umsatzsteuerbetrag führte P an die Steuerbehörde in A ab. Außerdem übersandte P der Klägerin monatlich eine Eigenrechnung und überwies ihr --ohne gesonderten Umsatzsteuerausweis-- den vereinbarten Anteil für jede von den Kunden erworbene Leistung.
Die Finanzbehörden in A gingen von einer Dienstleistungskommission und davon aus, dass die Klägerin ihre Leistungen in A an die P erbracht habe und P nach dem Reverse-Charge-Verfahren in Anspruch zu nehmen sei. Dementsprechend überwies P an die Klägerin jeweils nur einen Betrag in Höhe des Nettoentgelts.
Demgegenüber vertrat das deutsche Finanzamt (FA), der Beklagte und Beschwerdegegner, die Auffassung, die Klägerin leiste unmittelbar an die Endkunden in A; P sowie die Mobilfunkanbieter leisteten nur technische Übermittlungsleistungen. Da der Leistungsort danach im Inland liege, setzte das FA Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für die Monate Januar und Februar 2005 gegen die Klägerin fest.
Auf den Einspruch der Klägerin hin setzte das FA die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen im März 2006 antragsgemäß aus. Auf Rechtsmittel der P und anderer Unternehmen folgte die Steuerbehörde in A der deutschen Auffassung und erstattete der P die gezahlte Umsatzsteuer ohne Zinsen. P zahlte daraufhin im April 2007 die Beträge an die Klägerin, die sie an ihr FA abführte.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2007 setzte das FA Aussetzungszinsen in Höhe von 24.467 € fest. Den Erlassantrag der Klägerin lehnte das FA mit Bescheid vom 21. Mai 2007 ab. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
1. Wird die Beschwerde --wie im Streitfall-- mit der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache begründet, so muss in der Beschwerdebegründung eine bestimmte --abstrakte-- klärungsbedürftige und in dem angestrebten Revisionsverfahren auch klärbare Rechtsfrage herausgestellt und --unter Berücksichtigung von Rechtsprechung und Literatur-- deren Bedeutung für die Allgemeinheit substantiiert dargetan werden; kein Klärungsbedarf besteht im Allgemeinen mehr, wenn eine Rechtsfrage bereits vom Bundesfinanzhof (BFH) geklärt worden ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 18. August 2008 XI B 192/07, BFH/NV 2008, 2065; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28, § 116 Rz 26, 32; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 115 FGO Rz 50, § 116 Rz 43 f.; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 107, § 116 FGO Rz 179; jeweils m.w.N.).
2. Die Klägerin macht geltend, es sei die Rechtsfrage zu klären, "ob ein (Teil-)Erlass von Aussetzungszinsen nach § 237 der Abgabenordnung für ausgesetzte Umsatzsteuer wegen Ermessensreduktion auf Null zu gewähren ist, wenn die Aussetzung der Vollziehung und die damit verbundene vorläufige Nichtzahlung der Umsatzsteuer darauf beruht, dass sowohl die Bundesrepublik Deutschland wie auch ein anderer EU-Mitgliedstaat denselben Umsatz jeweils in ihrem Staat als umsatzsteuerbar und umsatzsteuerpflichtig erachten und die Umsatzsteuer daher zunächst (nur) in dem anderen Staat entrichtet und nach Einigung der Steuerbehörden über das ausschließlich inländische Besteuerungsrecht von diesem erstattet und sodann vom Steuerpflichtigen unverzüglich an den deutschen Fiskus abgeführt wird."
3. Die dargestellte Rechtsfrage bedarf keiner Klärung durch den BFH, weil sie sich auf der Grundlage der bereits ergangenen Rechtsprechung ohne weiteres im Sinne der Entscheidung des Finanzgerichts beantworten lässt. Allein das Fehlen einer Entscheidung des BFH zu der konkreten Fallgestaltung begründet weder einen Klärungsbedarf noch das erforderliche Allgemeininteresse (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 15. Januar 2008 VIII B 222/06, BFH/NV 2008, 753, unter 1.a).
a) Die Voraussetzungen, unter denen auf die Festsetzung von Aussetzungszinsen verzichtet werden kann, decken sich mit den Voraussetzungen für Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163 und 227 der Abgabenordnung --AO-- (vgl. BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 140/84, BFHE 152, 310, BStBl II 1988, 402). In der Rechtsprechung sind die generellen Maßstäbe für den (Teil-)Erlass von Nachzahlungszinsen bzw. von Aussetzungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen gemäß § 227 bzw. gemäß § 237 Abs. 4 i.V.m. § 234 Abs. 2 AO geklärt (vgl. BFH-Beschluss vom 29. September 2010 XI B 74/09, BFH/NV 2011, 194, unter 3.).
aa) Mit der Erhebung von Aussetzungszinsen sollen der Zinsnachteil des Steuergläubigers, der den Abgabenbetrag nicht schon bei Fälligkeit, sondern erst nach Beendigung der Aussetzung der Vollziehung (AdV) erhält, und der Zinsvorteil des Steuerpflichtigen ausgeglichen werden (vgl. BFH-Urteil vom 21. Februar 1991 V R 105/84, BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498).
bb) Nach der Rechtsprechung behält der durch die Verzinsung vom Gesetzgeber bezweckte Vorteilsausgleich grundsätzlich auch dann seinen Sinn, wenn staatliche Stellen für deren Entstehung und Höhe (mit-)verantwortlich sind (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1997 V R 28/95, BFHE 183, 353, BStBl II 1997, 716) und beispielsweise ohne Hinzutun des Steuerpflichtigen die angemessene Verfahrensdauer überschritten wird, und zwar auch für die Zeitspanne zwischen dem zeitlich angemessenen und dem tatsächlichen, späteren Prozessende (BFH-Urteil in BFHE 163, 313, BStBl II 1991, 498). Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 2003 V R 2/02, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39).
b) Der Umstand, dass die Aussetzung der von der Klägerin geschuldeten Umsatzsteuer darauf beruht, dass über das Besteuerungsrecht an dem von der Klägerin ausgeführten Umsatz zwischen der deutschen und den ausländischen Steuerbehörden Meinungsverschiedenheiten bestanden, rechtfertigt einen Erlass demnach nicht.
aa) Der Senat teilt nicht die Auffassung der Klägerin, die vorgenannten Grundsätze der BFH-Rechtsprechung könnten angesichts der Harmonisierungsbemühungen im Rahmen der Umsatzbesteuerung bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen von EU-Mitgliedstaaten keine Anwendung finden. Denn die Klägerin wird nicht schlechter gestellt, als sie stünde, wenn die Aussetzung darauf beruhen würde, dass im Rahmen des § 13b des Umsatzsteuergesetzes das inländische FA des Leistenden eine Leistung umsatzsteuerrechtlich abweichend von dem FA des Leistungsempfängers beurteilt. Auch dann ist der ausgesetzte Steuerbetrag zu verzinsen, wenn die ausgesetzte Steuer am Ende tatsächlich geschuldet ist (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 194).
bb) Entscheidend bei der Prüfung eines (Teil-)Erlasses von Aussetzungszinsen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist nach der Rechtsprechung, ob der Steuerschuldner aufgrund der erst späteren Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat, weil er von der Zahlung dieser geschuldeten Steuer vorerst "freigestellt" gewesen ist (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 753, und vom 2. November 2006 V B 24/05, BFH/NV 2007, 208).
cc) Die Klägerin ist aufgrund der AdV der Umsatzsteuer-Voranmeldungen, in denen für die in den Monaten Januar und Februar 2005 ausgeführten fraglichen Leistungen Umsatzsteuer festgesetzt worden war, zunächst von der Zahlung der dem Aussetzungsbetrag entsprechenden --und wie sich herausgestellt hat zu Recht geschuldeten-- Steuer "freigestellt" gewesen (vgl. BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 60/04, BFH/NV 2006, 1434, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2006, 857). Ohne die betreffende AdV der Bescheide hätte sie den jeweiligen Steuerbetrag an das FA überweisen müssen; sie hätte über entsprechend weniger Liquidität verfügt bzw. hätte im Falle einer Fremdfinanzierung Zinsen an den Kreditgeber zahlen müssen.
c) Entgegen der Ansicht der Klägerin spricht für die Klärungsbedürftigkeit der von ihr aufgeworfenen Rechtsfrage nicht das --mittlerweile durch Urteil vom 24. August 2011 abgeschlossene-- Revisionsverfahren I R 87/10 (BFH/NV 2012, 161).
Denn diesem Verfahren liegt weder ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde, noch sind die Rechtsfragen vergleichbar. In dem Verfahren I R 87/10 ging es um die Frage, ob die unzutreffende Auskunft einer nicht mit der Steuerfestsetzung befassten Behörde, die deutsche Staatsangehörigkeit gehe durch die Heirat mit einem italienischen Staatsangehörigen automatisch verloren, eine Bindung der Finanzbehörden nach Treu und Glauben bewirkt und im Verfahren wegen abweichender Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen kann (vgl. BFH/NV 2012, 161).
Hier geht es dagegen im Kern um die Frage, ob die Klägerin einen Liquiditätsvorteil erlangt hat.
4. Von einer weiteren Begründung des Beschlusses wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO abgesehen.