Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 14.07.2015


BFH 14.07.2015 - XI B 41/15

Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer i.S. des Unionsrechts und der Abgabeordnung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
11. Senat
Entscheidungsdatum:
14.07.2015
Aktenzeichen:
XI B 41/15
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 13. Mai 2015, Az: 12 K 1774/14, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 2 EWGRL 227/67
Art 1 Abs 2 EGRL 112/2006

Leitsätze

NV: Es ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt und deshalb nicht klärungsbedürftig, dass die Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des 3 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist. Die unionsrechtliche Einordnung der Umsatzsteuer als proportionale Verbrauchsteuer ändert hieran nichts.

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 13. Mai 2015  12 K 1774/14 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, reichte im Jahr 2009 ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2008 und im Jahr 2010 ihre Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2009 ein.

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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erließ am 11. Dezember 2013 auf § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) gestützte Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für die Jahre 2008 und 2009 (Streitjahre), mit denen es die festgesetzte Umsatzsteuer jeweils erhöhte. Die Einsprüche der Klägerin, mit denen sie geltend machte, es sei im Jahr 2013 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, weil die Umsatzsteuer eine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sei, wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 9. Mai 2014 als unbegründet zurück.

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Das Finanzgericht wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Es führte aus, der Umstand, dass die Umsatzsteuer unionsrechtlich als eine proportionale Verbrauchsteuer gelte, ändere nichts daran, dass die Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO sei.

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Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), wonach die Mehrwertsteuer eine genau proportionale Verbrauchsteuer sei, geltend, die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde ist unbegründet.

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1. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt; außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar sein (vgl. BFH-Beschlüsse vom 23. Januar 2013 X B 84/12, BFH/NV 2013, 771; vom 18. März 2015 VI B 87/14, BFH/NV 2015, 954, m.w.N.). Ebenso setzt der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts als Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung eine Rechtsfrage voraus, die in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar und klärungsbedürftig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. Oktober 2013 III B 50/13, BFH/NV 2014, 289; vom 5. November 2013 IV B 108/13, BFH/NV 2014, 379; vom 24. Juni 2014 XI B 45/13, BFH/NV 2014, 1584). An der Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn diese durch die Rechtsprechung des BFH bereits hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung erforderlich machen (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 6. Mai 2014 XI B 4/14, BFH/NV 2014, 1406, und vom 18. März 2015 III B 43/14, BFH/NV 2015, 978, m.w.N.).

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2. Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht zuzulassen.

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a) Durch die Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die Umsatzsteuer keine Verbrauchsteuer i.S. des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO ist, so dass die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre beträgt (vgl. BFH-Beschluss vom 16. Oktober 1986 V B 64/86, BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95; BFH-Urteil vom 12. Mai 2005 V R 44/04, BFH/NV 2005, 2046; s. aus der Literatur z.B. Banniza in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 169 AO Rz 28; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, Vorbemerkung, Rz 113 ff.). Der BFH hat im Beschluss in BFHE 148, 10, BStBl II 1987, 95 ausgeführt, dass dies durch § 21 AO belegt werde, der die Zuständigkeit zur Verwaltung der Umsatzsteuer (mit Ausnahme der Einfuhrumsatzsteuer) den Landesfinanzbehörden (Finanzämtern) überträgt, während für Verbrauchsteuern die Hauptzollämter zuständig sind (§ 23 AO). Wäre die Umsatzsteuer eine bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuer, müsste sie grundsätzlich nach Art. 108 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes ebenfalls von den Bundesfinanzbehörden verwaltet werden.

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b) Die von der Klägerin vorgebrachten Gesichtspunkte erfordern keine andere Beurteilung.

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aa) Die Klägerin weist zwar zutreffend darauf hin, dass die Mehrwertsteuer eine Verbrauchsteuer im unionsrechtlichen Sinne ist: Bereits nach Art. 2 der Ersten Richtlinie 67/227/EWG des Rates vom 11. April 1967 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer, der inhaltlich Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entspricht, beruht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist (vgl. dazu auch EuGH-Urteile Lebara vom 3. Mai 2012 C-520/10, EU:C:2012:264, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2012, 672, Rz 24; GST-Sarviz Germania vom 23. April 2015 C-111/14, EU:C:2015:267, HFR 2015, 620, Rz 40).

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bb) Dies hat der BFH jedoch --anders als die Klägerin meint-- nicht erst in dem Urteil vom 12. Januar 2006 V R 3/04 (BFHE 213, 69, BStBl II 2006, 479) erkannt. So nehmen bereits die BFH-Urteile vom 24. Juni 1992 V R 130/89 (BFH/NV 1993, 201, unter II.3.c), vom 10. Dezember 1998 V R 58/97 (BFH/NV 1999, 987, unter II.1.), vom 22. Juli 1999 V R 51/98 (BFHE 189, 211, BStBl II 1999, 630, unter II.) und vom 29. November 2001 IV R 65/00 (BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149, unter 4.) sowie der BFH-Beschluss vom 19. Juni 2002 V B 113/01 (BFH/NV 2002, 1353, unter II.2.b) auf den Verbrauchsteuercharakter der Umsatzsteuer Bezug.

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cc) Aus dem Umstand, dass die Umsatzsteuer unionsrechtlich eine Verbrauchsteuer ist, ergeben sich keine zwingenden Rechtsfolgen für die Auslegung des § 169 Abs. 2 Satz 1 AO; denn mangels einer einschlägigen Unionsregelung ist u.a. die Ausgestaltung des Verfahrens nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, sofern dabei die Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und des Vertrauensschutzes beachtet werden (vgl. EuGH-Urteile Aprile Srl vom 17. November 1998 C-228/96, EU:C:1998:544, HFR 1999, 125, Rz 18; Marks & Spencer vom 11. Juli 2002 C-62/00, EU:C:2002:435, HFR 2002, 943, Rz 34 ff.; Alstom Power Hydro vom 21. Januar 2010 C-472/08, EU:C:2010:32, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2010, 493, Rz 17 ff.; Enel Maritsa Iztok 3 vom 12. Mai 2011 C-107/10, EU:C:2011:298, HFR 2011, 823, Rz 29; Surgicare vom 12. Februar 2015 C-662/13, EU:C:2015:89, HFR 2015, 422, Rz 26). Dies ist vorliegend bei § 169 Abs. 2 AO der Fall, der nicht zwischen innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Sachverhalten differenziert. Deshalb zwingen die von der Klägerin zitierten EuGH-Urteile nicht zu einer Änderung der unter II.2.a zitierten Rechtsprechung.

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3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.