Entscheidungsdatum: 12.04.2011
NV: Eine Beschwerde gegen die Ablehnung einer AdV hat Erfolg, wenn das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Umsatzsteuerbescheids mit der Begründung verneint, die Grundsätze eines zu einem anderen Sachverhalt ergangenen - und überdies in der Literatur umstrittenen - BFH-Urteils seien auf den Streitfall zu übertragen und wenn es sodann die Beschwerde gegen seinen Beschluss unter Hinweis auf mehrere zu dem Komplex beim BFH anhängige Revisionsverfahren zulässt .
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist Insolvenzverwalterin über das Vermögen der X-GmbH (GmbH).
Die GmbH, die der Umsatzbesteuerung nach vereinbarten Entgelten unterlag, hatte im Jahr 2004 gegenüber dem Unternehmen H Bauleistungen erbracht (Schlussrechnung vom 7. Oktober 2004). Die der H in Rechnung gestellten und noch nicht bezahlten Forderungen in Höhe von … € brutto (Schreiben vom 7. Dezember 2004) blieben trotz Fälligkeit unbezahlt, auch nachdem die GmbH ein Anerkenntnisurteil erstritten hatte.
Das Finanzgericht (FG) ist in dem angefochtenen Beschluss davon ausgegangen, die GmbH habe diese Forderungen ausgebucht und eine Berichtigung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) erklärt; der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) sei dem noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens gefolgt.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH am 16. März 2005 erfolgte schließlich doch ein Zahlungseingang in Höhe von … € auf die zuvor ausgebuchten Forderungen. Das FA setzte daraufhin unter dem 21. November 2006 gegenüber der Antragstellerin als Insolvenzverwalterin der GmbH Umsatzsteuer für das erste Kalendervierteljahr 2006 in Höhe von … € fest, weil der früher ausgefallene und berichtigte Umsatzsteuerbetrag nunmehr gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen sei. Im Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 25. Januar 2008 setzte das FA sodann unter Anerkennung abziehbarer Vorsteuerbeträge in Höhe von … € die Umsatzsteuer für 2006 auf … € fest.
Nach erfolglosem Einspruch hat die Antragstellerin Klage (2 K 2081/10) erhoben, über die das FG noch nicht entschieden hat.
Den am 5. August 2010 gestellten Antrag der Antragstellerin, den Umsatzsteuerbescheid für 2006 vom 25. Januar 2008 in Höhe von … € von der Vollziehung auszusetzen, hat das FG durch den angefochtenen Beschluss abgelehnt.
II. Die vom FG gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassene Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Es bestehen ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuerbescheids für 2006 vom 25. Januar 2008. Denn bei der gebotenen summarischen Prüfung treten neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der zugrunde liegenden Rechtsfragen bewirken (vgl. die ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH-- seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Deshalb ist der Ausgang des Klageverfahrens offen. Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels ist zur Aussetzung der Vollziehung (AdV) nicht erforderlich (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 26. Mai 2010 V B 80/09, BFH/NV 2010, 2079).
2. Diese Zweifel ergeben sich aus dem Beschluss selbst.
a) Das FG hat ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids mit der Begründung verneint, dies ergebe sich "in Ableitung der Grundsätze der BFH-Rechtsprechung zur zeitraumgerechten Erfassung von Umsätzen im Rahmen der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten". Es hat dazu die --näher dargelegte-- Auffassung vertreten, die Grundsätze des zu einem anderen Sachverhalt ergangenen --und überdies in der Literatur umstrittenen (vgl. Berger, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht --EWiR-- 2009, 315; Kremer, EWiR 2010, 219)-- BFH-Urteils vom 29. Januar 2009 V R 64/07 (BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682) seien auf den Streitfall zu übertragen.
Ist aber --wie somit hier-- die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage nicht im summarischen Verfahren auf AdV eines Verwaltungsaktes zu entscheiden (vgl. BFH-Beschluss vom 30. Oktober 2007 V B 170/07, BFH/NV 2008, 627).
b) Überdies hat das FG die Beschwerde nach § 128 Abs. 3, § 115 Abs. 2 FGO mit der Begründung zugelassen, "im Hinblick auf die insoweit schwierige einheitliche Beurteilung hinsichtlich der Verwirklichung des umsatzsteuerlichen Tatbestands in Anwendung der verschiedenen Einzeltatbestände des UStG" seien mehrere Revisionsverfahren beim BFH anhängig, so etwa zu den BFH-Aktenzeichen V R 22/10, VII R 56/09 und XI R 35/09.
Wenn aber diese Revisionsverfahren Bedeutung für die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids haben bzw. haben können, besteht bereits aus diesem Grund Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der zugrunde liegenden Rechtsfragen.
3. Im Übrigen ergeben sich weitere Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids aus dem Beschwerdevorbringen.
a) Die Antragstellerin hat mit ihrer Beschwerde nach Einsicht in die Steuerakten der GmbH u.a. geltend gemacht, die GmbH sei Organgesellschaft der GbR X gewesen; der gesamte Vorgang, der dem Antragsverfahren zugrunde liege, spiegele sich jedenfalls nicht in einer Steuerakte der GmbH wieder. Dort befinde sich vielmehr u.a. der --von der Antragstellerin vorgelegte-- Aktenvermerk "lt. Prüfer am 10.08.06 wurde die Forderungsausbuchung beim OT dem Grunde nach zugelassen, weil Zahlungen auf GmbH-Rechnung nicht dem OT zufließen, sondern dem Insolvenzverwalter der GmbH".
Die Antragstellerin vertritt dazu die nicht ohne weiteres von der Hand zu weisende Rechtsauffassung, die Rückberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG sei die direkte Folge der Erstberichtigung nach Satz 1 dieser Vorschrift und folglich --trotz Beendigung der Organschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens-- bei dem Organträger vorzunehmen. Sie hat dazu unter Vorlage eines weiteren Aktenvermerks dargelegt, dass dieser Auffassung offensichtlich auch zunächst das FA gewesen sei.
b) Ferner hat die Antragstellerin mit der Beschwerde erstmals weitere und deshalb vom FG nicht behandelte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Umsatzsteuerbescheids geltend gemacht, die nicht offensichtlich fernliegen.