Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 20.04.2010


BFH 20.04.2010 - X S 42/09 (PKH)

Anforderungen an das Beschwerdevorbringen bei Besetzungsrüge - Stellung des PKH-Antrags beim BFH als Prozessgericht - Fehlende Anlagen - Vertreterverschulden


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
20.04.2010
Aktenzeichen:
X S 42/09 (PKH)
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Die auf Mitwirkung eines für befangen gehaltenen Richters gestützte Besetzungsrüge hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzeswidrig und damit willkürlich ist .

Tatbestand

1

I. Die Antragsteller sind Eheleute, die in den Streitjahren 2001 bis 2003 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Beklagte (das Finanzamt --FA--) hat ursprünglich die Besteuerungsgrundlagen geschätzt, weil die Antragsteller keine Steuererklärungen abgegeben hatten. Den dagegen eingelegten Einspruch wies er als unbegründet zurück.

2

Im Hinblick auf die im Klageverfahren abgegebenen Steuererklärungen für die Streitjahre 2001 bis 2003 änderte das FA die Steuerbescheide nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 der Abgabenordnung. Von den Erklärungen wich es insofern ab, als es für die Privatnutzung des Firmen-PKW durch die Antragstellerin Sachbezüge ansetzte. Aufwendungen für beschädigte Kleidung, Telefonkosten, Arbeitsmittel etc. erkannte es ohne Nachweis pauschal mit 400 DM bzw. 200 € pro Jahr an.

3

Das Finanzgericht (FG) hat die gegen die Abweichungen des FA von der eingereichten Erklärung gerichtete Klage auch im zweiten Rechtsgang abgewiesen. Nach Zustellung der Vorentscheidung am 27. November 2009 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2009, beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen am 28. Dezember 2009 und damit innerhalb der Rechtsbehelfsfrist, die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG. Zur Begründung verwies er auf den handschriftlichen Schriftsatz des Antragstellers. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller lag dem Schriftsatz --entgegen der Ankündigung des Prozessbevollmächtigten-- nicht bei.

4

Die Geschäftsstelle des angerufenen Senats wies den Prozessbevollmächtigten der Antragsteller darauf hin, die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller habe dem PKH-Antrag nicht beigelegen. Sie bat um Mitteilung, ob und ggf. welche Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für das verspätete Einreichen des Vordrucks bestünden. Der Prozessbevollmächtigte teilte darauf mit, die Antragsteller hätten den vollständigen PKH-Antrag für das Beschwerdeverfahren beim BFH bereits Anfang November 2009 direkt an das erstinstanzliche Gericht übersandt. Demzufolge müsse sich der vom Gericht erbetene Original-Antrag vollständig beim FG befinden. Vorsorglich beantragte der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und übersandte die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller.

Entscheidungsgründe

5

II. Der Antrag auf Gewährung von PKH für die Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

6

1. Zur Entscheidung über den nach Beendigung der ersten Instanz eingereichten PKH-Antrag für das Rechtsmittelverfahren gegen das finanzgerichtliche Urteil ist gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 127 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) der BFH berufen. Dabei ist unschädlich, dass das Beschwerdeverfahren noch nicht bei ihm anhängig ist (BFH-Beschluss vom 13. Juli 1995 VII S 1/95, BFH/NV 1996, 10). Der BFH ist auch Prozessgericht i.S. des § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO.

7

2. Der Antrag hat keinen Erfolg, weil die von den Antragstellern beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO).

8

Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO ist einem Beteiligten, der außer Stande ist, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts die Prozesskosten zu bestreiten, PKH zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dem Gesuch sind nach § 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie entsprechende Belege beizufügen.

9

a) Im Streitfall kann PKH schon deshalb nicht gewährt werden, weil die Antragsteller die Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 117 Abs. 2 und Abs. 4 ZPO unter Beifügung der entsprechenden Belege nicht innerhalb der maßgeblichen Rechtsmittelfrist beim BFH vorgelegt haben. Selbst wenn sie die entsprechenden Unterlagen beim FG eingereicht haben sollten, obwohl ihr Prozessbevollmächtigter im PKH-Antrag mitgeteilt hat, die Erklärung liege bei, das FG keine Erklärung an den BFH weitergeleitet hat, sich in den dem BFH vorliegenden Akten des FG entsprechende Unterlagen nicht finden und die Antragsteller die Unterlagen dem FG bereits Anfang November 2009 zugeleitet haben sollen, obwohl ihnen das FG-Urteil erst am 27. November 2009 zugestellt worden ist, kann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden. Der Prozessbevollmächtigte der Antragsteller hätte sich bei Einreichung des PKH-Antrags über die Voraussetzungen für die Bewilligung von PKH kundig machen und vor Absendung des Antrags prüfen müssen, ob alle notwendigen Anlagen beigefügt sind. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten müssen sich die Antragsteller zurechnen lassen.

10

b) PKH könnte den Antragstellern aber auch deshalb nicht gewährt werden, weil die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde nach der gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hätte.

11

Der angerufene Senat vermag bei der gebotenen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung des Vortrags des Antragstellers, des Inhalts der vorliegenden Akten und des vom Antragsteller beanstandeten FG-Urteils keinen hinlänglichen Grund i.S. des § 115 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 FGO zu erkennen, der eine Zulassung der Revision rechtfertigen könnte. Der vorliegende Sachverhalt wirft keine über den spezifisch gelagerten Einzelfall hinausreichende allgemein bedeutsame Rechtsfrage auf, welche die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und/oder Nr. 2 Alternative 1 FGO gebietet. Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass das FG mit einem bestimmten, in dem angegriffenen Urteil aufgestellten tragenden und abstrakten Rechtssatz von der Entscheidung eines anderen Gerichts zu derselben Rechtsfrage abgewichen wäre (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO).

12

Ebenso wenig ist ersichtlich, dass das FG-Urteil infolge schwerwiegender materiell-rechtlicher Fehler objektiv willkürlich erscheint und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (vgl. hierzu BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837). Schließlich beruht das Urteil auch nicht erkennbar auf einem Verfahrensmangel, der --auf der Grundlage des vom FG eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts-- dessen Entscheidung hätte beeinflussen können (zu Letzterem vgl. z.B. Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 79 und 96, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Insbesondere können sich die Antragsteller nicht darauf berufen, das FG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung hatte nicht zur Folge, dass das finanzgerichtliche Verfahren vor einem anderen Senat des FG fortzusetzen war. Vielmehr war weiterhin der nach der Geschäftsordnung des FG zuständige Senat zur Entscheidung berufen. Die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs kann zwar unter Umständen das Verfahrensgrundrecht auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes verletzen. Allerdings greift diese Vorschrift nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften ein. Eine Besetzungsrüge hat deshalb nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 128 Rz 9). Dem Vorbringen der Antragsteller lässt sich nicht einmal die bloße (einfache) Fehlerhaftigkeit der Entscheidung schlüssig entnehmen. Es ist nicht zu beanstanden, dass das FG über den weiteren Befangenheitsantrag am Vorabend der mündlichen Verhandlung noch nicht entschieden hatte. Aus dem Umstand, dass am 10. November 2009 mündliche Verhandlungen stattfanden, kann nicht geschlossen werden, dass an diesem Tag nicht auch Beschlüsse gefasst worden sind und der Beschluss über den Ablehnungsantrag der Antragsteller rückdatiert worden ist. Schließlich konnte das FG im Streitfall in alter Besetzung unter Mitwirkung der abgelehnten Richter entscheiden, weil das Ablehnungsgesuch --insbesondere wegen der bloßen Verweisung auf die Schriftsätze zu dem Befangenheitsantrag vom 6. Juni 2009, über den der 13. Senat des FG ohne Mitwirkung der abgelehnten Mitglieder bereits am 24. August 2009 abschließend befunden hatte-- unzulässig war (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2007  1 BvR 2228/06, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3771, unter II.2.a).

13

3. Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.