Entscheidungsdatum: 14.01.2010
1. NV: § 233a AO ist verfassungsmäßig .
2. NV: Existenz und Höhe von Zinsvorteilen und Liquiditätsvorteilen einschließlich deren einkommensteuerlicher Behandlung sind für die Festsetzung von Nachzahlungszinsen unerheblich .
3. NV: Die Änderung eines Grundlagenbescheids ist einem rückwirkenden Ereignis oder einem Verlustabzug nicht gleichzustellen .
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehren die Zulassung der Revision gegen ein Urteil, mit dem das Finanzgericht (FG) Nachzahlungszinsen von 6 % für rechtmäßig erachtet und einen Billigkeitserlass abgelehnt hat, obwohl die Kläger die mit Hilfe des Nachzahlungsbetrages erwirtschafteten Zinsen bereits versteuert haben.
Auf Grund der Änderung eines Feststellungsbescheids hatte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) im Jahre 2007 den Einkommensteuerbescheid 1994 geändert. Hieraus folgten eine Einkommensteuernachzahlung von 20.954,78 € und --rechnerisch unstreitig-- Zinsen nach § 233a i.V.m. § 238 der Abgabenordnung (AO) von 13.722 €. Die Kläger haben im Einspruchs- und Klageverfahren erfolglos vorgetragen, sie hätten das Kapital, das sie zunächst wegen der niedrigeren Einkommensteuerfestsetzung nicht abführen mussten, zinsbringend angelegt und die Zinsen versteuert. Zumindest in dieser Höhe sei der Vermögensvorteil bereits abgeschöpft. Die weitere Verzinsung stelle eine Doppelbelastung dar.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde machen die Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) sowie ein Bedürfnis nach Fortbildung des Rechts nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO geltend. Es sei klärungsbedürftig, ob es die verfassungskonforme Auslegung des § 233a AO gebiete, bei der Festsetzung von Nachzahlungszinsen weitergehende Steuerzahlungen mindernd zu berücksichtigen, die bereits als Einkommensteuer auf aus dem Nachzahlungsbetrag herrührende Einkünfte festgesetzt und entrichtet worden seien, hilfsweise, ob festgesetzte Nachzahlungszinsen deshalb zumindest teilweise aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen seien, weil die in der vorbezeichneten Fallkonstellation entrichteten (zusätzlichen) Einkommensteuern sowohl den Liquiditätsvorteil bei dem Steuerpflichtigen als auch den Zinsnachteil beim Fiskus hätten entfallen lassen.
II. Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die von den Klägern aufgeworfenen Rechtsfragen besitzen keine grundsätzliche Bedeutung. Die Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage fehlt, wenn sie bereits höchstrichterlich geklärt oder aus anderen Gründen eindeutig ist oder wenn die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat (vgl. u.a. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. Januar 2006 II B 6/05, BFH/NV 2006, 908, sowie Senatsbeschluss vom 16. Januar 2007 X B 38/06, BFH/NV 2007, 757). So verhält es sich hier sowohl hinsichtlich der Zinsfestsetzung als auch hinsichtlich des Billigkeitserlasses.
Da die Rechtsfortbildungsrevision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Alternative 1 FGO ein Spezialfall der Grundsatzrevision ist (vgl. BFH-Beschluss vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518), kommt diese aus demselben Grunde nicht in Betracht.
1. Die streitige Verzinsung entspricht dem Gesetz und ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden.
a) Die Kläger führen zu Recht aus, dass die in § 233a AO angeordnete Verzinsung in typisierender Weise allein an die objektive Möglichkeit anknüpft, dass Zinsvorteile entstehen. Ob der Steuerpflichtige tatsächlich Zins- oder Liquiditätsvorteile erlangt hat, ist prinzipiell unerheblich (vgl. Senatsurteil vom 20. September 1995 X R 86/94, BFHE 178, 555, BStBl II 1996, 53; BFH-Urteile vom 11. Juli 1996 V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259; vom 23. Oktober 2003 V R 2/02, BFHE 203, 410, BStBl II 2004, 39, sowie Senatsbeschluss vom 30. Oktober 2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505, m.w.N.).
aa) Nicht einschlägig ist die in § 233a Abs. 2a AO vorgesehene Ausnahme für die auf ein rückwirkendes Ereignis oder einen Verlustabzug zurückzuführende Steuerfestsetzung, mit der der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung getragen hat, dass in bestimmten Fällen kein Zins- oder Liquiditätsvorteil entstanden ist und auch nicht entstehen konnte (vgl. dazu BFH-Urteil vom 2. Juli 1997 I R 25/96, BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714, unter II. 2. a bis c).
Eine geänderte Steuerfestsetzung auf Grund der Änderung eines Grundlagenbescheids ist damit nicht vergleichbar. Sie entspricht, soweit es darum geht, Zins- oder Liquiditätsvorteile zu nutzen, der Änderung eines Steuerbescheids auf Grund neuer Erkenntnisse über Besteuerungsgrundlagen, was dadurch bestätigt wird, dass die Kläger unstreitig solche Vorteile gezogen haben. Folgerichtig erfasst § 233a Abs. 2a AO die Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nicht.
bb) Ist die Existenz von Zins- oder Liquiditätsvorteilen dem Grunde nach für die Zinsfestsetzung unerheblich, so bedeutet das notwendig, dass auch die Höhe etwaiger Zins- oder Liquiditätsvorteile unerheblich ist (vgl. Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 505).
Folgerichtig ist dann, dass auch das weitere Schicksal dieser Vorteile, namentlich die Frage, inwieweit sie wirtschaftlich dem Steuerpflichtigen verbleiben, für den Zinsfuß unerheblich ist. Es kommt damit auch nicht darauf an, ob und in welcher Höhe auf die Fruchtziehung Einkommensteuer zu entrichten ist und entrichtet wurde. Die Einkommensteuer, die der Steuerpflichtige auf seine etwaigen Zins- oder Liquiditätsvorteile entrichtet, ist neben Art und Umfang der gezogenen Früchte (etwa dem erzielten effektiven Kapitalzins) einer von mehreren Faktoren, die die Höhe dieser Zins- und Liquiditätsvorteile beeinflussen. Als ein solcher Faktor ist sie für den Zinsfuß nach § 238 Abs. 1 Satz 1 AO ebenso unerheblich wie alle anderen die Liquiditätsvorteile beeinflussenden Faktoren, auch wenn es sich um eine Steuer handelt. Die Einkommensteuer hat andere Voraussetzungen als die Verzinsung nach § 233a AO und verfolgt andere Zwecke.
Eine Verrechnung der auf die Früchte entrichteten Einkommensteuerbestandteile mit den Zinsen nach § 233a AO wäre in der Sache daher, wie das FG zutreffend erkannt hat, eine unzulässige Berücksichtigung der im Einzelfall erzielten Zins- oder Liquiditätsvorteile.
cc) Es wäre im Übrigen widersprüchlich, wenn auf der einen Seite der Steuerpflichtige, der aus dem während des Zinslaufs vorhandenen Liquiditätsvorteil keine oder nur geringe Früchte gezogen hat, 6 % Zinsen p.a. nach § 233a AO zahlen müsste --was nach dem Gesetz zweifelsfrei ist und was auch die Kläger nicht bestreiten--, während auf der anderen Seite der Steuerpflichtige, der in den Genuss von Früchten gekommen ist und selbst nach Entrichtung von Einkommensteuer unter Anwendung des Spitzensteuersatzes diese teilweise behält, der Zinspflicht nach § 233a AO ganz oder teilweise entgehen könnte.
b) Der Senat hat keine Zweifel, dass § 233a AO mit der darin angelegten Typisierung verfassungsgemäß ist. Er sieht keinen Anlass zu einem von Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift abweichenden Verständnis und daher auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten keine zu klärende Grundsatzfrage. Die Verfassungsmäßigkeit der Verzinsungsregelung des § 233a AO wurde erst kürzlich vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erneut bestätigt (siehe Beschluss vom 3. September 2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115).
Soweit die Kläger eine --wohl mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes nicht vereinbare-- Ungleichbehandlung darin sehen, dass der Fiskus unbegrenzt Vorteile des Steuerschuldners abschöpfen könne, während er selbst unabhängig von seinem Vorteil oder dem Verlust des Steuerschuldners höchstens 6 % Zinsen zahlen müsse, ist diese Annahme teils unzutreffend, teils unerheblich. Unzutreffend ist sie insoweit, als der in § 238 Abs. 1 Satz 1 AO vorgeschriebene Zinsfuß gerade gleichermaßen typisierend für und gegen den Steuerpflichtigen wie den Steuergläubiger gilt. Unerheblich ist sie insoweit, als der Steuergläubiger davon unabhängig Einkommensteuer erheben kann. Nach § 3 Abs. 1 AO sind Steuern bestimmte Geldleistungen an öffentlich-rechtliche Gemeinwesen. Die unterschiedliche Behandlung des Steuerschuldners und des Steuergläubigers liegt folglich in der Natur der Sache.
2. Aus den unter 1. ausgeführten Gründen entsprechen die Ausführungen des FG zu der Frage des Erlasses wegen sachlicher Unbilligkeit ebenso dem geltenden Recht. Die Zinsfestsetzung entspricht der gesetzgeberischen Wertung und Typisierung (siehe dazu auch Beschluss des BVerfG in BFH/NV 2009, 2115).
Festgesetzte Nachzahlungszinsen sind erst dann wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hat (vgl. BFH-Urteil in BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259, sowie Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 505). Da vorliegend feststeht, dass die Kläger solche Vorteile erlangt haben, ist die Zinsfestsetzung nicht sachlich unbillig.