Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 16.11.2011


BFH 16.11.2011 - X B 61/10

(Zur Frage der Europarechtswidrigkeit von § 160 Abs. 1 Satz 1 AO)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
16.11.2011
Aktenzeichen:
X B 61/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 18. Februar 2010, Az: 4 K 1858/06, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Es ist anerkannt, dass die Pflicht zur Gläubigerbenennung gem. § 160 Abs. 1 Satz 1 AO nicht nur für zwischengeschaltete ausländische Gesellschaften, sondern in gleicher Weise für zwischengeschaltete inländische Personen gilt .

Gründe

1

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) entspricht zum Teil nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. des § 115 Abs. 2 FGO. Im Übrigen liegen die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vor.

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1. In der Beschwerdebegründung wird der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht in ausreichender Weise dargelegt.

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a) Wird geltend gemacht, die aufgeworfene Rechtsfrage habe grundsätzliche Bedeutung, dann ist ausführlich darzustellen, weshalb diese Frage im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Hierzu ist eingehend wiederzugeben, inwiefern die Beantwortung dieser Frage zweifelhaft und umstritten ist und welche Argumente in diesem Zusammenhang in der Literatur und Rechtsprechung vorgetragen werden (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 23 ff. und § 116 Rz 31 ff.). Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch, soweit im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde Normen des europäischen Gemeinschaftsrechts zu beurteilen sind (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 37).

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b) Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht. In dieser wird im Stil einer Revisionsbegründung geltend gemacht, das Benennungsverlangen nach § 160 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. der erhöhten Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 AO sei mit den europarechtlichen Grundfreiheiten der Kapitalverkehrsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit nicht vereinbar. Hierzu werden in der Beschwerde Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wiedergegeben, in denen der EuGH einzelne nationale steuerrechtliche Regelungen beanstandet hat.

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Die Beschwerde arbeitet aber nicht heraus, aus welchen Gründen die angesprochenen Vorschriften der AO eine vergleichbare Problematik enthalten wie die Rechtsvorschriften, die Gegenstand der von der Klägerin benannten Verfahren vor dem EuGH waren. Vielmehr wird lediglich die Behauptung aufgestellt, die nach § 160 AO i.V.m. § 90 Abs. 2 AO gegebenen Pflichten zur Beweisvorsorge enthielten eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs. Auch sei der Gesichtspunkt der Verhinderung des Ausfalls von Steuereinnahmen kein diese Beschränkung rechtfertigender Grund. Zudem behindere § 160 AO Steuerpflichtige in der Wahrnehmung ihres Rechts auf Dienstleistungsfreiheit, weil infolge von § 90 Abs. 2 AO auf in- und ausländische Sachverhalte unterschiedliche steuerrechtliche Regelungen anwendbar seien.

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Diese Ausführungen sind nicht ausreichend. Es fehlt insbesondere jegliche Darlegung und Auseinandersetzung mit der zu § 160 AO und § 90 Abs. 2 AO ergangenen Rechtsprechung und Literatur, die sich mit der europarechtlichen Problematik befasst hat. Die Beschwerde setzt sich nicht mit dem Urteil des Finanzgerichts (FG) München vom 26. Juli 2007  15 K 422/06, Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1843 auseinander, das sich ausführlich mit der Frage der Europarechtswidrigkeit des § 160 AO befasst und diese Frage verneint hat. Sie erwähnt auch nicht die zustimmenden Äußerungen in der Kommentarliteratur zu dieser Auffassung (Buciek in Beermann/Gosch, AO, § 160 Rz 110 Stichwort EU-Recht; Pahlke/Koenig/Cöster, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 160 Rz 4; Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 160 Rz 1 und Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 160 AO Rz 23). Innerhalb der maßgeblichen Beschwerdebegründungsfrist (vgl. hierzu Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 22) fehlen auch Ausführungen zu dem nachfolgenden Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 24. April 2009 IV B 104/07, BFH/NV 2009, 1398).

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Die Beschwerdebegründung befasst sich auch nicht damit, dass nach der Rechtsprechung des BFH bei Anwendung von § 160 AO die Gesichtspunkte der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit zu beachten sind (BFH-Entscheidungen vom 25. November 1986 VIII R 350/82, BFHE 148, 406, BStBl II 1987, 286; vom 1. Juni 1994 X R 73/91, BFH/NV 1995, 2; vom 17. Oktober 2001 I R 19/01, BFH/NV 2002, 609, und vom 5. November 2001 VIII B 16/01, BFH/NV 2002, 312). Auch hat der BFH entschieden, dass der Grundsatz, wonach als Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO diejenige Person zu benennen ist, an die letztlich die empfangenen Gelder gelangt sind, nicht nur für zwischengeschaltete ausländische Gesellschaften, sondern gleichermaßen auch für zwischengeschaltete inländische Personen gilt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2009, 1398, m.w.N. zur ständigen Rechtsprechung des BFH).

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Schließlich hat sich die Beschwerde auch nicht damit befasst, dass der EuGH notwendige Maßnahmen zur wirksamen Steueraufsicht als zwingenden Grund des Allgemeininteresses für Beschränkungen von Grundfreiheiten anerkannt hat und daher erhöhte Mitwirkungspflichten bei Auslandsachverhalten gerechtfertigt sein können (Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 90 AO Rz 37, m.w.N. aus der Rechtsprechung des EuGH; vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 15. Mai 1997 Rs. C-250/95, --Futura Participations SA und Singer--, Slg. 1997, I-2471).

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c) Auch der Vortrag der Klägerin, es bedürfe der grundsätzlichen Klärung, ob § 160 AO verfassungswidrig sei, genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Klägerin beschränkt sich im Wesentlichen darauf, die Unbestimmtheit der Norm und einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu behaupten und hierzu die vereinzelt in der Literatur erhobenen Bedenken wiederzugeben (Seer in Tipke/ Kruse, a.a.O., § 160 AO Rz 4 ff. und Trzaskalik in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 160 AO Rz 57). Die Beschwerdebegründung setzt sich aber nicht damit auseinander, dass der BFH in ständiger Rechtsprechung (stillschweigend) von der Verfassungsmäßigkeit dieser Norm ausgegangen ist. Auch hat der BFH die Vorgängervorschrift des § 205a der Reichsabgabenordnung ausdrücklich als verfassungsgemäß anerkannt (Urteil vom 17. Dezember 1980 I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333). Der BFH hat insbesondere ausgeführt, die Vorschrift sei mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes) vereinbar, insbesondere sei auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

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2. Das angefochtene Urteil des FG weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von den von der Klägerin bezeichneten BFH-Entscheidungen ab.

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Eine solche Abweichung ist dann gegeben, wenn das Urteil des FG und die Divergenzentscheidung bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von einem unterschiedlichen Ansatz ausgehen und deshalb die jeweiligen tragenden Rechtsausführungen beider Entscheidungen nicht übereinstimmen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 54, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Hat das FG seine Rechtsauffassung auf mehrere selbstständig tragfähige Gründe gestützt, ist der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO nicht gegeben, wenn dieser Zulassungsgrund nur hinsichtlich einer dieser Begründungen vorliegt (Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 60).

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a) Es kann im Streitfall dahinstehen, ob das FG durch die Aussage, der von K benannte Empfänger der Zinszahlungen sei trotz Vorlage einer Ausweiskopie sowie eines von ihm stammenden Bestätigungsschreibens nicht als Zahlungsempfänger i.S. des § 160 AO anzuerkennen, von dem Senatsurteil in BFH/NV 1995, 2 abgewichen ist.

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Denn das FG hat sein Urteil zusätzlich auf § 90 Abs. 2 AO gestützt. Es hat unter Bezugnahme auf das Vorbringen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) dargelegt, weshalb im Streitfall die Umstände der Darlehensgewährung in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich seien. In einem solchen Fall sei die betriebliche Veranlassung unter verstärkter Mitwirkung des Steuerpflichtigen gemäß § 90 Abs. 2 AO dahingehend zu prüfen, ob ausgeschlossen werden könne, dass sich hinter der Domizilgesellschaft der Steuerpflichtige verberge (FG-Urteil, S. 14, 19). Das FA könne sich daher im Streitfall hinsichtlich der Versagung des Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzugs auch rechtsfehlerfrei auf § 90 Abs. 2 AO stützen. Mit diesen Ausführungen steht das FG-Urteil ersichtlich im Einklang mit dem Senatsurteil in BFH/NV 1995, 2 unter 3. der Urteilsgründe.

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b) Das angefochtene Urteil weicht auch nicht von dem BFH-Urteil in BFHE 148, 406, BStBl II 1987, 286 ab. Die in diesem Urteil gemachte Aussage, ein Benennungsverlangen sei unzumutbar, wenn der Steuerpflichtige sich Unterlagen zwar noch beschaffen kann, die Finanzbehörde diese aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wegen zwischenzeitlicher Verjährung nicht mehr zu Steuernachholungen bei den Empfängern nutzen könne, ist im Streitfall nicht einschlägig. Denn im vorliegenden Streitfall ist wie oben (unter 2.a) dargelegt --abweichend von dem Sachverhalt in der vorstehend genannten BFH-Entscheidung-- nicht ausgeschlossen, dass sich hinter der Domizilgesellschaft der Steuerpflichtige selbst verbirgt.