Entscheidungsdatum: 26.10.2011
NV: Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist eine Schätzungsbefugnis auch bei einem unverschuldeten Verlust von Buchführungsunterlagen bzw. Aufzeichnungen gegeben.
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Der Kläger war in den Streitjahren Arbeitnehmer; die Klägerin erzielte seit 1994 Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus einem Einzelhandel mit Gemischtwaren, Haushaltsartikeln, Geschenkartikeln u.a. Zum 1. Juli 2000 erweiterte sie ihr Geschäftsfeld auf den Handel mit Waffen, Munition und Jagdausrüstungen. Sie ermittelte ihren Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung; die Erlöse wurden im Wesentlichen in bar vereinnahmt. Von 1994 bis 2005 erklärte sie --mit Ausnahme des Jahres 1995-- stets Verluste, teils in erheblicher Höhe. Die sich aus ihren Gewinnermittlungen ergebenden Rohgewinnaufschlagsätze lagen in den Streitjahren 2001 bis 2005 zwischen ./. 11,4 % und + 3,9 %.
Am 2. Juli 2007 begann der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) mit einer Außenprüfung bei der Klägerin. Diese konnte weder Kassenbücher noch Kassenberichte, Registrierkassenstreifen oder andere Grundaufzeichnungen über die Tageseinnahmen vorlegen. Der Prüfer stellte ferner fest, dass die Klägerin ihre Tageseinnahmen zunächst für einen Zeitraum von bis zu drei Wochen in einer Geldkassette aufbewahrt und erst im Zeitpunkt der anschließenden Einzahlung auf das betriebliche Bankkonto als Betriebseinnahmen erfasst hatte. Nach den Darstellungen im --vom Finanzgericht (FG) in Bezug genommenen-- Betriebsprüfungsbericht vom 30. Juni 2009 enthielten die Gewinnermittlungen zahlreiche sachliche Mängel. So seien Betriebseinnahmen als Ausgaben erfasst worden; Betriebsausgaben seien zweifach gewinnmindernd aufgezeichnet worden; eine Vielzahl einzelner Betriebseinnahmen sei gar nicht aufgezeichnet worden; Darlehenstilgungen seien als Betriebsausgaben behandelt worden; für mehrere Wochen seien weder die laufenden Einnahmen noch die laufenden Ausgaben aufgezeichnet worden; aus zahlreichen Belegen sei trotz fehlenden Umsatzsteuerausweises der Vorsteuerabzug vorgenommen worden. Auch eine Bargeldverkehrsrechnung für die Jahre 2004 und 2005 führe zu erheblichen Fehlbeträgen.
Der Prüfer korrigierte die aufgeführten sachlichen Mängel, behandelte eine Reihe von Bareinzahlungen auf das betriebliche Bankkonto, die die Klägerin als Einlage ansah, als Betriebseinnahmen, und erhöhte den Gewinn zusätzlich um einen Sicherheitszuschlag von 20.000 DM (2001) bzw. 10.000 € (2002 bis 2005). Danach ergaben sich Rohgewinnaufschlagsätze zwischen 23,8 % und 51,3 %. Das FA erließ entsprechend geänderte Einkommensteuerbescheide.
Im Einspruchsverfahren behaupteten die Kläger, die Registrierkassenstreifen seien am 29. September 2007 bei einem Hochwasser vernichtet worden. Die Bareinzahlungen würden aus Geldschenkungen der Mutter der Klägerin stammen.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte aus, eine Schätzungsbefugnis sei wegen der erheblichen Mängel bei der Aufzeichnung der Bareinnahmen gegeben. Das Vorbringen zu dem Hochwasserschaden ändere daran nichts. Der Höhe nach sei die Schätzung des FA eher zu gering ausgefallen. Die Spanne der Richtsätze für den Einzelhandel mit Haushaltswaren liege für die Streitjahre bei 52 bis 100 % (2001) bzw. 47 bis 113 % (2002 bis 2005); die Richtsätze für den Einzelhandel mit Geschenkartikeln seien noch höher. Bereits der Ansatz des mittleren Richtsatzes führe zu deutlich höheren Werten als sie das FA angesetzt habe. Die Kläger hätten trotz eines vorherigen Hinweises des Gerichts auf die beabsichtigte Richtsatzschätzung keine substantiierten Einwendungen erhoben.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und wegen eines Verfahrensmangels.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Kläger haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) entsprechenden Weise dargelegt.
1. Dies gilt zunächst für die von ihnen als grundsätzlich bedeutsam angesehene Rechtsfrage, ob für einen Steuerpflichtigen negative Schlussfolgerungen daraus gezogen werden dürfen, dass Teile seiner Buchführungsunterlagen durch eine Naturkatastrophe vernichtet worden sind.
a) Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) setzt voraus, dass die Beschwerdebegründung konkrete Rechtsfragen bezeichnet und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. November 2010 VII B 12/10, BFH/NV 2011, 406, unter II.1., m.w.N.). Die schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erfordert ein konkretes und substantiiertes Eingehen darauf, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (Senatsbeschluss vom 5. Mai 2011 X B 149/10, BFH/NV 2011, 1348, unter II.1.b, m.w.N.).
b) Daran fehlt es hier. Obwohl das FG seine Rechtsauffassung, die Schätzungsbefugnis sei unabhängig von einem Verschulden des Steuerpflichtigen und bestehe auch bei einem Verlust von Unterlagen infolge von Hochwasserschäden, ausdrücklich auf ein Zitat aus der Kommentarliteratur gestützt hat (Klein/Rüsken, AO, 10. Aufl., § 162 Rz 24), in dem seinerseits auf weitere Fundstellen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Literatur verwiesen wird, fehlt es an einer substantiierten Auseinandersetzung der Kläger mit dem Inhalt dieser Entscheidungen und Literaturfundstellen. Dies wäre aber angesichts des Umstands, dass die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung eine Schätzungsbefugnis auch bei unverschuldetem Verlust von Unterlagen bejaht (BFH-Entscheidungen vom 28. Juni 1972 I R 182/69, BFHE 106, 427, BStBl II 1972, 819, unter 1.b, m.w.N., und vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28, unter II.3.b ff), erforderlich gewesen.
Soweit die Kläger in der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfrage die Formulierung "negative Schlussfolgerungen" verwenden, ist nicht ersichtlich und hätte daher näherer Darlegungen der Kläger bedurft, ob und in welcher Weise FA oder FG aus dem behaupteten hochwasserbedingten Verlust von Unterlagen "negative Schlussfolgerungen" gezogen, sich also an der oberen Grenze des durch die Umstände des Einzelfalls gezogenen Schätzungsrahmens orientiert hätten.
c) Darüber hinaus haben die Kläger auch die Klärungsfähigkeit der von ihnen aufgeworfenen Rechtsfragen in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall nicht dargelegt.
Dazu hätte schon deshalb besonderer Anlass bestanden, weil das FG nicht festgestellt hat, dass das objektive Fehlen der aufbewahrungspflichtigen Unterlagen tatsächlich auf dem von den Klägern behaupteten Hochwasserschaden beruht. Auch der erkennende Senat dürfte daher einem Revisionsverfahren diese Behauptung der Kläger nicht zugrunde legen (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Auch der von den Klägern behauptete Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) ist nicht hinreichend dargelegt.
a) Wird ein Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) mit der Begründung gerügt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben bzw. welche Tatsachen es hätte aufklären müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschlüsse vom 19. Oktober 2005 X B 86/05, BFH/NV 2006, 118, unter 2.a, und vom 18. Mai 2011 X B 124/10, BFH/NV 2011, 1838, unter II.2.d).
b) Die Beschwerdebegründung beschränkt sich hingegen auf die Behauptung, die gewählte Schätzungsmethode sei unzutreffend, da eine andere Schätzungsmethode zu einem wesentlich wahrscheinlicheren Ergebnis geführt hätte und die Kläger dies auch nachgewiesen hätten. Die Kläger geben weder an, welche andere Schätzungsmethode das FG hätte wählen sollen, noch welche "Nachweise" die Kläger vorgelegt haben wollen.
Hierzu hätte umso mehr Anlass bestanden, als das FG seine Absicht, abweichend vom FA eine Richtsatzschätzung vornehmen zu wollen, in seinem Hinweisschreiben vom 31. Januar 2011 --rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vom 25. Februar 2011-- mitgeteilt hatte. Die Kläger haben hiergegen im Klageverfahren nach Aktenlage lediglich --und zudem ohne jede Substantiierung-- vorgebracht, sie hätten im Bereich des Waffenhandels mit niedrigen Rohgewinnaufschlagsätzen kalkuliert. Ferner haben sie sich auch zur Begründung der Verluste auf den angeblichen Hochwasserschaden des Jahres 2007 berufen. Dieser Umstand betrifft indes nicht die Streitjahre 2001 bis 2005 und ist daher zur Erklärung der niedrigen bzw. negativen Rohgewinnaufschlagsätze von vornherein ungeeignet.