Entscheidungsdatum: 29.06.2011
1. NV: Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel unerreichbar, unzulässig, absolut untauglich oder für die zu treffende Entscheidung unerheblich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführers als wahr unterstellt werden kann.
2. NV: Das FG verstößt gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es einen Antrag auf Zeugenbeweis mit der Begründung übergeht, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass vorliegende schriftliche Erklärungen der als Zeugen benannten Personen zutreffend seien.
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hatte im Rahmen einer im Jahr 2007 begonnenen Steuerfahndungsprüfung bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) Unterlagen aufgefunden, die die Jahre ab 1999 betreffen, und aus denen er den Schluss zog, die Klägerin habe bereits in den Streitjahren 1997 und 1998 als Betreiberin eines Bordells Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Die Klägerin behauptete demgegenüber, in den Streitjahren selbst der Prostitution nachgegangen zu sein, und in den Jahren ab 2002 lediglich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung durch die tageweise Vermietung zweier Zimmer an Prostituierte erzielt zu haben.
In der Klageschrift nahm der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich Bezug auf die während des Einspruchsverfahrens gestellten Beweisanträge auf Vernehmung der in den Akten des parallel gegen die Klägerin geführten Strafverfahrens namentlich bezeichneten Prostituierten. Mit Schreiben vom 5. Juli 2010 legte der Ehemann der Klägerin (E) in einem von ihm geführten Verfahren der Aussetzung der Vollziehung (1 V 1606/10) eidesstattliche Versicherungen von vier Prostituierten vor, die das Vorbringen der Klägerin bestätigen sollten. Am 26. Juli 2010 beantragte die Klägerin, dem Verfahren 1 V 1606/10 "beizutreten". Das Finanzgericht (FG) kam diesem Antrag nach und verband zudem das Eilverfahren in der mündlichen Verhandlung am 10. November 2010 mit dem vorliegenden Klageverfahren zur gemeinsamen Verhandlung. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010, das in seiner Betreffzeile sowohl die Aktenzeichen des Eilverfahrens als auch des hier zu beurteilenden Klageverfahrens und weiterer Parallelverfahren enthielt, beantragten die Klägerin und E persönlich --seinerzeit nicht durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten-- unter Bezugnahme auf die eidesstattlichen Versicherungen ausdrücklich die Vernehmung u.a. der vier Prostituierten als Zeuginnen.
Das FG wies die Klage ohne Beweisaufnahme ab. Zur Begründung führte es u.a. aus, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Angaben der Klägerin, des E sowie die vorliegenden schriftlichen Erklärungen der Prostituierten zur Höhe der vereinnahmten Geldbeträge zutreffend seien.
Mit ihrer wegen der Nichtzulassung der Revision erhobenen Beschwerde rügt die Klägerin u.a. einen Verfahrensmangel.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein von der Klägerin geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Das FG hat seine aus § 76 Abs. 1 FGO folgende Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, indem es den gestellten Antrag auf Vernehmung der vier als Zeuginnen benannten Prostituierten übergangen hat.
a) Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (ständige höchstrichterliche Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. November 2009 VI B 11/09, BFH/NV 2010, 650, unter II.1.a, m.w.N.). Keiner dieser Ausnahmegründe lag hinsichtlich des im Streitfall gestellten Beweisantrags vor.
Auch verstößt das FG gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung, wenn es erhebliche Beweisantritte eines Beteiligten mit der Begründung übergeht, von der Erhebung des Beweises sei kein zweckdienliches Ergebnis zu erwarten (BFH-Beschluss vom 23. Dezember 2002 III B 77/02, BFH/NV 2003, 502, unter 3.a, m.w.N.). Dem steht es gleich, wenn das FG --wie hier-- ausführt, es habe sich "nicht davon überzeugen" können, dass die vorliegenden schriftlichen Erklärungen der als Zeuginnen benannten Personen zutreffend seien.
b) Anders als das FA meint, hat die Klägerin ihr Rügerecht nicht nach § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) verloren.
Zwar ergibt sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht, dass die --seinerzeit wieder durch einen Steuerberater vertretene-- Klägerin ihren schriftsätzlich mehrfach gestellten Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung wiederholt oder die unterbliebene Ladung der von ihr benannten Zeuginnen gerügt hätte. Auch hat weder die Klägerin einen Antrag auf Berichtigung des Protokolls (§ 94 FGO i.V.m. § 164 ZPO) gestellt noch hat das FA --anders als beispielsweise in demjenigen Beschwerdeverfahren, über das der BFH mit Beschluss vom 27. Dezember 2010 IX B 107/10 (www.bundesfinanzhof.de) entschieden hat-- bestätigt, dass die Behauptung der Klägerin, den Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung vor dem FG wiederholt zu haben, zutreffend sei.
Jedoch hat das FG begründet, weshalb es von der Beweiserhebung abgesehen hat. Denn es hat ausgeführt, es habe sich nicht davon überzeugen können, dass die vorgelegten schriftlichen Erklärungen zutreffend seien. In einem derartigen Fall bedarf es keiner Rüge in der mündlichen Verhandlung (BFH-Beschluss vom 26. November 2008 IX B 122/08, BFH/NV 2009, 600, m.w.N.); eine solche wäre vielmehr als überflüssige Förmelei anzusehen, da bereits aus dem Urteil selbst hervorgeht, dass dem FG die Existenz des übergangenen Beweismittels bewusst war.
2. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Für das weitere Verfahren weist der Senat --ohne Bindungswirkung-- darauf hin, dass es sich anbieten könnte, nähere Feststellungen zur Schlüssigkeit des vom FA im Schätzungswege angesetzten Einnahmenbetrages von 80 € je Kundenbesuch zu treffen. Denn aus den am 30. November 2007 beschlagnahmten Einnahmenaufzeichnungen für die Zeit vom 28. bis 30. November 2007, ergeben sich --worauf die Klägerin im Beschwerdeverfahren zutreffend hingewiesen hat-- lediglich Einnahmen von durchschnittlich 61,90 € je Kundenbesuch. Gerade diese Aufzeichnungen hat das FG jedoch zur Begründung seiner --auch insoweit die Höhe der Schätzung des FA bestätigenden-- Entscheidung maßgeblich herangezogen.