Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 19.07.2010


BFH 19.07.2010 - X B 21/10

Urteilsberichtigung - Besetzungsrüge - Beteiligtenvernehmung - Grundsätzlich keine Zulassung der Revision bei materiell-rechtlichen Fehlern des FG


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
19.07.2010
Aktenzeichen:
X B 21/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 1. Dezember 2009, Az: 15 K 7377/05 B, Urteilnachgehend BFH, 3. November 2010, Az: X S 28/10, Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Für die Berichtigung des Urteils nach § 107 FGO wegen offenbarer Unrichtigkeit ist nach Einlegung der Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision der BFH zuständig.

2. NV: Ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem Verfahrensfehler i. S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO und § 119 Nr. 1 FGO, wenn er sich zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) darstellt. Dies ist nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften der Fall.

3. NV: Die Beteiligtenvernehmung ist nur ein letztes Hilfsmittel zur Aufklärung des Sachverhalts. Sie dient nicht dazu, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, seine eigenen Behauptungen zu bestätigen und ggf. zu beeiden. Sie kann unterbleiben, wenn sich das Gericht mit Hilfe anderer Beweismittel eine Überzeugung bilden kann oder wenn keine Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens spricht.

Gründe

1

Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg.

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1. Mit ihrem Vortrag, der Tenor des Urteils des Finanzgerichts (FG) sei unrichtig, weil die Klägerin verurteilt worden sei, obwohl sie keine Klage gegen die Umsatz- und Gewerbesteuerbescheide 1994 bis 1996 erhoben habe, tragen die Kläger keinen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils (vgl. Abs. 1 Satz 2) führt das FG eindeutig aus, dass sich nur der Kläger, nicht aber die Klägerin gegen die geänderten Umsatz- und Gewerbesteuerbescheide wendet. Deshalb ist der Tenor der angefochtenen Entscheidung nach § 107 FGO wegen offenbarer Unrichtigkeit zu berichtigen. Die nach § 107 FGO zu berichtigende Unrichtigkeit kann alle Bestandteile des Urteils betreffen, also auch den Tenor (Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 107 Rz 4), und die Möglichkeit einer sachlichen Änderung des Urteils ist im Streitfall ebenso ausgeschlossen wie Fehler oder Unrichtigkeiten des Gerichts bei der Sachverhaltsermittlung, Tatsachenwürdigung oder Rechtsanwendung (Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 107 Rz 2).

3

Der beschließende Senat kann den unrichtigen Tenor des FG-Urteils berichtigen. Er ist im Rahmen des Beschwerdeverfahrens über die Nichtzulassung der Revision für die Berichtigung zuständig (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. März 2004 VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114).

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2. Die Kläger haben eine fehlerhafte Besetzung des erkennenden Senats des FG nicht schlüssig dargelegt.

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a) Ein Verstoß gegen den gerichtlichen Geschäftsverteilungsplan führt nur dann zu einem Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 und § 119 Nr. 1 FGO, wenn er sich zugleich als Verletzung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes) darstellt. Dies ist nur bei willkürlichen Verstößen gegen Verfahrensvorschriften der Fall. Eine Besetzungsrüge hat deshalb nur dann Erfolg, wenn das erkennende Gericht seine Zuständigkeit aufgrund schlechthin unvertretbarer, mithin sachfremder und damit willkürlicher Erwägungen angenommen hat. Von Willkür kann nur dann die Rede sein, wenn die Entscheidung sich so weit von dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist (BFH-Beschluss vom 12. September 2005 VII B 1/05, BFH/NV 2006, 146, m.w.N.).

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b) Dass diese Voraussetzungen eines Verfassungsverstoßes im Streitfall erfüllt seien, haben die Kläger nicht schlüssig vorgetragen. Sie haben nicht anhand des Geschäftsverteilungsplans bzw. der internen Senatsgeschäftsverteilung des erkennenden Senats des FG belegt, dass dem Gericht wegen der Mitwirkung des Richters am Verwaltungsgericht D. ein Verstoß gegen die geltende Geschäftsverteilung unterlaufen wäre. Allein der Umstand, dass ein nach der Geschäftsverteilung des FG zur Entscheidung berufener Richter den Titel "Richter am Verwaltungsgericht" führt, begründet keinen Besetzungsmangel.

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3. Die Rüge der Kläger, das FG habe verfahrensfehlerhaft die beantragte Beteiligtenvernehmung unterlassen, ist unbegründet. Das FG musste den Kläger nicht als Beteiligten vernehmen. Die Beteiligtenvernehmung (§§ 81 Abs. 1, 82 FGO, §§ 450 ff. der Zivilprozessordnung) ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH nur ein letztes Hilfsmittel zur Aufklärung des Sachverhalts. Sie dient nicht dazu, dem Beteiligten Gelegenheit zu geben, seine eigenen Behauptungen zu bestätigen und ggf. zu beeiden. Sie kann unterbleiben, wenn sich das Gericht mit Hilfe anderer Beweismittel eine Überzeugung bilden kann oder wenn keine Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Vorbringens spricht (BFH-Urteil vom 2. Juli 1998 IV R 39/97, BFHE 186, 299, BStBl II 1999, 28, unter 5.b der Gründe, m.w.N.). Auf die Beteiligtenvernehmung kann das Gericht zudem verzichten, wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann.

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Danach konnte das FG von der beantragten Beteiligtenvernehmung absehen. Nach den Gründen des angefochtenen Urteils hat das Gericht den Beweisantrag der Kläger auf die Frage bezogen, ob Bareinlagen auf Steuerrückerstattungen zurückzuführen sind. Dies hat es als wahr unterstellt und ausgeführt, auch unter Berücksichtigung der Erstattung seien noch umfangreiche Bareinlagen ungeklärt. Der Formulierung im Beweisantrag, dass "Frau Steuerprüferin F kurz vor der Schlussbesprechung erklärt hat", hat das FG offensichtlich nicht die von den Klägern in der Beschwerdebegründung dargelegte Bedeutung beigemessen. Da die Kläger ihren Beweisantrag ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 1. Dezember 2009 nicht näher erläutert haben, liegt hierin kein Verfahrensfehler. Im Übrigen wurde das Recht des Klägers auf Gehör schon deshalb nicht verletzt, weil er als Beteiligter in der mündlichen Verhandlung jederzeit hätte vortragen und seine Sicht des Zustandekommens der tatsächlichen Verständigung hätte schildern können. Versagt wurde ihm allenfalls eine prozessuale Verstärkung seines Vortrags mit Hilfe einer förmlichen Beteiligtenvernehmung.

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Schließlich ist im Streitfall von einem Rügeverzicht auszugehen, weil der Kläger die unterlassene Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung nicht gerügt hat. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung war er fachkundig von dem ihn auch im Beschwerdeverfahren vertretenden Rechtsanwalt beraten und konnte erkennen, dass das FG von der Möglichkeit der Parteivernehmung keinen Gebrauch machen wollte. Da § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung der Prozessbeteiligte verzichten kann, hätte er deshalb vortragen müssen, dass die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt worden oder weshalb die Rüge nicht möglich gewesen sei.

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4. Auch die Rüge der Kläger, das FG habe ihren Antrag, den Zeugen S zu hören, vollständig ignoriert, kann nicht zur Zulassung der Revision führen. Sie haben nicht vorgetragen, dass sie die Nichterhebung des angebotenen Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt haben oder weshalb die Rüge nicht möglich war.

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5. Dem weiteren Vortrag der Kläger, das FG habe es ihnen nicht ermöglicht, die Klageanträge in der mündlichen Verhandlung zu begründen, ist entgegenzuhalten, dass sie ausweislich der Niederschrift nach dem Sachvortrag des Berichterstatters das Wort erhalten haben.

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6. Im Kern erschöpfen sich die Ausführungen der Kläger in kritischen Äußerungen darüber, dass und warum das FG die tatsächliche Verständigung seiner Entscheidung nicht hätte zugrunde legen dürfen. Die Rüge solcher Fehler rechtfertigt indessen grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO (vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 55, m.w.N.).

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Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Beschwerdeführer schlüssig und substantiiert darlegt, dass die Vorentscheidung an einem besonders schwerwiegenden materiell-rechtlichen Fehler leide, der nach den Vorstellungen des Gesetzgebers (vgl. Begründung zum Entwurf des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 19. Dezember 2000, BTDrucks 14/4061, S. 9) und nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. z.B. Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25, m.w.N.) zur Zulassung der Revision führen könnte. Letzteres trifft im Streitfall offensichtlich nicht zu.