Entscheidungsdatum: 12.12.2013
1. NV: Die Beweiskraft, die der Zustellungsurkunde (ZU) zukommt, erstreckt sich auch auf die Niederlegung des zu übergebenden Schriftstücks und die Benachrichtigung des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise (hier: Einwurf in Briefkasten des Empfängers). Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der ZU bezeugten Tatsachen geführt werden.
2. NV: Grobe Schätzungsfehler bei der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen führen regelmäßig nur zur Rechtswidrigkeit und nicht zur Nichtigkeit des Schätzungsbescheides. Anders verhält es sich allerdings, wenn das FA bewusst und willkürlich zum Nachteil des Steuerpflichtigen schätzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen Darlegung der Gründe für die Zulassung der Revision liegt der von der Beschwerde gerügte Verfahrensmangel jedenfalls nicht vor (vgl. unter 1.). Die Beschwerde ist auch nicht wegen grober Rechtsanwendungsmängel des Finanzgerichts (FG) zuzulassen (vgl. unter 2.).
1. Entgegen der Auffassung des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hätte sich dem Finanzgericht (FG) eine weitere Beweiserhebung für die Zustellung der streitigen Steuerbescheide nicht von Amts wegen aufdrängen müssen. Den Sachverhalt hat es hinreichend aufgeklärt. Dabei durfte es sich mit der Würdigung des Inhalts der Zustellungsurkunde nach § 182 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die den vollen Beweis für die in ihr bezeugten Tatsachen erbringt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 14. Februar 2007 XI B 108/05, BFH/NV 2007, 1158) begnügen. Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden (BFH-Urteil vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170, m.w.N., ebenso BFH-Beschlüsse vom 6. Oktober 2003 VII B 12/03, BFH/NV 2004, 497, und vom 24. April 2007 VIII B 249/05, BFH/NV 2007, 1465). Einen solchen Gegenbeweis hat der Kläger vor dem FG auch nicht ansatzweise geführt, sondern sich lediglich darauf berufen, der Einwurf der Steuerbescheide in seinen Hausbriefkasten sei --trotz der entsprechenden Vermerke des Zustellers auf den Zustellungsurkunden-- nicht belegt und werde bestritten. Möglicherweise habe die Mieterin des Obergeschosses die Briefe aus dem Briefkasten entnommen und sie ihm nicht ausgehändigt. Zudem komme es immer wieder zu Verwechslungen mit der Post für seinen Bruder, der dieselbe Anschrift wie der Kläger habe (Doppelhaus) und an dessen Briefkasten ebenfalls nur der Nachname vermerkt sei. Zu Recht hat das FG darauf hingewiesen, es sei für die Bekanntgabe der Steuerbescheide unerheblich, wenn die Mieterin des Obergeschosses die Briefe dem Briefkasten des Klägers entnommen und ihn darüber nicht informiert habe. Bereits mit dem Einwurf der Postsendungen in den Briefkasten seien sie derart in den Machtbereich des Klägers gelangt, dass er Gelegenheit zur Kenntnisnahme hatte und die Bescheide als bekannt gegeben gelten. Zudem stehe nach Überzeugung des Gerichts aufgrund des späteren Verhaltens des Klägers fest, dass er die Steuerbescheide tatsächlich erhalten habe. Andernfalls wäre nicht nachvollziehbar, dass er bei seinen Gesprächen mit dem Sachbearbeiter der Vollstreckungsstelle im Jahr 2005 nur auf die Aufhebung der Kontenpfändung hingewirkt und eine Tilgungsvereinbarung ausgehandelt habe, ohne auf die ihm nicht vorliegenden Steuerbescheide hinzuweisen. Dies gelte umso mehr, als sich der Kläger zu dieser Zeit in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen befunden und er ausweislich der Rückstandsanzeige zu diesem Zeitpunkt --abgesehen von den offenen Beträgen der streitigen Steuerbescheide-- keine weiteren Steuerschulden gehabt habe. Eine weitere Sachaufklärung musste das FG angesichts dieser Sachlage nicht betreiben.
Folglich kann entgegen der Auffassung des Klägers auch keine Divergenz zu den von ihm angeführten BFH-Beschlüssen in BFH/NV 2004, 497 und in BFH/NV 2007, 1465 vorliegen.
Im Übrigen hat der Kläger, der auch im finanzgerichtlichen Verfahren von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ausweislich des Sitzungsprotokolls keine Beweisanträge gestellt und damit sein Rügerecht verloren. Da der im finanzgerichtlichen Verfahren geltende Untersuchungsgrundsatz eine Verfahrensvorschrift ist, auf deren Einhaltung ein Beteiligter ausdrücklich oder durch Unterlassen einer Rüge verzichten kann (§ 155 FGO i.V.m. § 295 ZPO), hat die Unterlassung der rechtzeitigen Rüge den endgültigen Rügeverlust --z.B. auch zur Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde-- zur Folge (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
2. Ferner behauptet der Kläger zwar sinngemäß das Vorliegen eines groben Rechtsanwendungsfehlers des FG, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision führen kann. Ein solcher Fehler liegt jedoch nicht vor.
Der Kläger trägt vor, das FG habe willkürlich entschieden, indem es die Gewinnschätzungen des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) gebilligt habe, obwohl diese gegen alle Erfahrungsgrundsätze und Denkgesetze verstießen. Das FA habe für das Jahr 2002 bei einem Umsatz von … € einen Gewinn in Höhe von … € und für das Jahr 2003 bei einem Umsatz in Höhe von … € einen Gewinn von … € geschätzt. Dieser Schätzung lägen keinerlei Parameter für mögliche Gewinnaufschläge eines Händlers und Bauhandwerkers, der Holzhäuser liefere und aufstelle, zugrunde.
Mit der Rüge der materiellen Fehlerhaftigkeit des FG-Urteils wird grundsätzlich kein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 FGO dargelegt. Ausnahmsweise ist die Revision in einem solchen Fall zuzulassen, wenn das FG-Urteil an einem offensichtlichen materiellen oder formellen Fehler im Sinne einer willkürlichen Entscheidung (sog. qualifizierter Rechtsanwendungsfehler) leidet (BFH-Beschluss vom 30. Mai 2012 III B 239/11, BFH/NV 2012, 1470).
Ein solcher Fehler liegt jedoch nicht vor, denn das FG hatte im Streitfall nicht die Rechtswidrigkeit, sondern die Nichtigkeit der Schätzungsbescheide zu beurteilen.
Wird eine Schätzung erforderlich, weil der Steuerpflichtige --wie im Streitfall-- seiner Erklärungspflicht nicht genügt, kann sich das FA an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren, weil der Steuerpflichtige möglicherweise Einkünfte verheimlichen will (BFH-Urteil vom 20. Dezember 2000 I R 50/00, BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381). Verlässt eine überzogene Schätzung diesen Rahmen, hat dies im Allgemeinen nur die Rechtswidrigkeit der Schätzung, nicht aber bereits deren Nichtigkeit zur Folge. Nichtigkeit ist selbst bei groben Schätzungsfehlern, die auf einer Verkennung der tatsächlichen Gegebenheiten oder der wirtschaftlichen Zusammenhänge beruhen, regelmäßig nicht anzunehmen (BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, m.w.N.). Etwas anderes ist nach der Rechtsprechung allenfalls dann zu erwägen, wenn sich das FA nicht nach dem Auftrag des § 162 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) an den wahrscheinlichen Besteuerungsgrundlagen orientiert, sondern bewusst zum Nachteil des Steuerpflichtigen geschätzt hat. Willkürmaßnahmen, die mit den Anforderungen an eine ordnungsmäßige Verwaltung schlechterdings nicht zu vereinbaren sind, können einen besonders schweren Fehler i.S. von § 125 Abs. 1 AO abgeben (allgemeine Meinung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 1, BStBl II 2001, 381, m.w.N.). Im Streitfall hat der Kläger keinerlei Gründe vorgetragen, die die Annahme rechtfertigen würden, das FA habe die Besteuerungsgrundlagen bewusst zu seinem Nachteil geschätzt. Derartige Gründe sind im Übrigen auch nicht aus den Akten ersichtlich.
3. Von der Darstellung des Sachverhalts und einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.