Entscheidungsdatum: 19.01.2011
1. NV: Wenn das FG dem Antrag eines Beteiligten auf Beiziehung bestimmter Akten nicht vollständig nachkommt, liegt darin jedenfalls keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör .
2. NV: Weil die beklagten Finanzbehörden gesetzlich verpflichtet sind, die Steuerakten nach Empfang der Klageschrift von Amts wegen an das FG zu übermitteln (§ 71 Abs. 2 FGO), wird der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt, wenn das FG nicht ausdrücklich mitteilt, dass die Finanzbehörde ihrer gesetzlichen Verpflichtung nachgekommen ist und die Steuerakten übersandt hat .
I. Im Klageverfahren war zwischen den Beteiligten streitig, ob Änderungsbescheide vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wurden.
Mit der Beschwerde rügen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) im Wesentlichen eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
Die Kläger haben die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) entsprechenden Weise dargelegt.
1. Sie haben die Rüge der Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht schlüssig erhoben.
a) Soweit die Kläger ihre Rüge darauf stützen, dass das Finanzgericht (FG) nicht sämtliche von den Klägern genannten Verwaltungsakten beigezogen hat, kann diese Verfahrensgestaltung schon im Ansatz keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör darstellen. Inhalt dieses Anspruchs ist gemäß § 96 Abs. 2 FGO im Wesentlichen, dass ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (vgl. auch Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 96 FGO Rz 216 ff.). Wenn das FG bestimmte Akten --die teilweise offenbar gar nicht mehr existierten-- aber nicht beizieht, kann dies schon deshalb keine Verletzung rechtlichen Gehörs darstellen, weil das FG den Inhalt nicht beigezogener und ihm daher unbekannt gebliebener Akten im Urteil denklogisch nicht verwerten kann (vgl. auch Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. November 2003 VII B 347/02, BFH/NV 2004, 511, unter II.2., und vom 30. Januar 2007 VII B 3/06, BFH/NV 2007, 1324, unter II.3.). Die Kläger machen nicht einmal sinngemäß geltend, dass das FG sich von dem Inhalt der nicht beigezogenen Akten in anderer Weise Kenntnis verschafft und diese bei seiner Entscheidung verwertet hätte.
Sollte die Gehörsrüge der Kläger zugleich als Rüge mangelnder Sachaufklärung zu verstehen sein, wäre sie ebenfalls unzulässig. Denn es fehlt an jeglichen Ausführungen dazu, warum das FG --das diese Akten ausdrücklich als unerheblich bezeichnet hatte-- auch auf der Grundlage seiner materiell-rechtlichen Auffassung die beantragte Aktenbeiziehung hätte durchführen müssen (vgl. dazu auch BFH-Beschlüsse vom 4. März 1992 II B 201/91, BFHE 166, 574, BStBl II 1992, 562, und vom 15. Juni 2000 IV B 6/99, BFH/NV 2000, 1445, unter 3. vor a).
b) Soweit die Kläger ihre Gehörsrüge sinngemäß darauf stützen, sie hätten erst durch das angefochtene Urteil erfahren, dass das FG die Einkommensteuer- und Rechtsbehelfsakten beigezogen habe, ist die Rüge ebenfalls unschlüssig. Denn diese Behauptung der Kläger widerspricht dem klaren Inhalt der Akten: Der Berichterstatter des FG hatte den Prozessbevollmächtigten der Kläger bereits mit Schreiben vom 17. September 2009 darüber informiert, dass sich einige derjenigen Steuerbescheide, die den angefochtenen Änderungsbescheiden zeitlich vorangegangen waren, "nicht in den beigezogenen Steuerakten befinden". Spätestens hierdurch ist den Klägern die Beiziehung der Steuerakten bekanntgeworden.
Im Übrigen sind die beklagten Finanzbehörden schon aufgrund des § 71 Abs. 2 FGO verpflichtet, die Steuerakten nach Empfang der Klageschrift --von Amts wegen-- an das Gericht zu übermitteln. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet keinen ausdrücklichen Hinweis des FG auf die Selbstverständlichkeit, dass das FA seiner gesetzlichen Pflicht zur Aktenübersendung nachgekommen ist. Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist auf die Beiziehung von Akten vielmehr nur dann hinzuweisen, wenn deren Verwertung ohne einen solchen Hinweis die Beteiligten überraschen würde, wie es beispielsweise bei Akten eines fremden Verfahrens (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Oktober 1966 2 BvR 217/66, BVerfGE 20, 347) oder --je nach Lage des einzelnen Falles-- auch bei den Handakten eines Betriebsprüfers (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Oktober 2005 VIII B 174/03, BFH/NV 2006, 749) geboten sein kann (vgl. zum Ganzen auch Lange in HHSp, § 96 FGO Rz 246).
Soweit die Kläger erstmals in der Beschwerdebegründung behaupten, die Einkommensteuervorgänge aus dem Jahr 1993 einschließlich der angefochtenen Änderungsbescheide vom 28. Dezember 1993 seien bei ihrem Prozessbevollmächtigten unauffindbar, so dass schon aus diesem Grund eine Akteneinsicht geboten sei, bleibt unerfindlich, weshalb sie auf diesen angeblichen --in ihrem eigenen Machtbereich eingetretenen-- Aktenverlust nicht schon im finanzgerichtlichen Verfahren hingewiesen haben.
2. Im Übrigen wird aus der Beschwerdebegründung nicht ansatzweise erkennbar, auf welche der gesetzlichen Zulassungsgründe (vgl. § 115 Abs. 2 FGO) sich die Kläger berufen wollen.
a) Dies gilt zunächst für die von den Klägern vorgebrachte Rechtsauffassung, die negativen Feststellungsbescheide vom 30. November 1993 seien nach den Grundsätzen des "detournement de pouvoir" nichtig. Es handelt sich hierbei um eine materiell-rechtliche Rüge, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 24. September 2008 IX B 110/08, BFH/NV 2009, 39).
Im Übrigen hat sich das FG Hamburg in seinem rechtskräftigen Urteil vom 29. Juni 2004 V 95/03 ausführlich mit diesem Einwand befasst, aber gleichwohl die Wirksamkeit sowie Rechtmäßigkeit der negativen Feststellungsbescheide bejaht. Die Kläger, die auch an dem damaligen Klageverfahren beteiligt waren, sind gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO an die Rechtskraftwirkung dieser Entscheidung gebunden.
b) Soweit die Kläger anführen, dem FG sei "ein Irrtum unterlaufen", indem es eine Bekanntgabe der Feststellungsbescheide vom 15. Juni 1989 an die Erblasserin (E), deren Gesamtrechtsnachfolger die Kläger sind, verneint habe, wird ebenfalls kein Zulassungsgrund geltend gemacht.
Zudem war diese Rechtsauffassung des FG nicht entscheidungserheblich für das Ergebnis des Klageverfahrens. Denn das FG hat ausdrücklich ausgeführt, selbst bei unterstellter Wirksamkeit der Bekanntgabe der Feststellungsbescheide vom 15. Juni 1989 an E wäre die Klage abzuweisen gewesen, weil eine entsprechende negative Feststellung dann jedenfalls durch die geänderten Einkommensteuerbescheide vom 11. September 1989 zutreffend und unter Wahrung der Festsetzungsfrist umgesetzt worden wäre.
c) Mit der darüber hinaus vorgebrachten Auffassung, die Feststellungsbescheide vom "30.6.1989" (gemeint wohl: 15. Juni 1989) seien nichtig, weil darin nicht ausdrücklich die Feststellung aufgenommen worden sei, dass E nicht mehr Gesellschafterin sei, setzen sich die Kläger in Widerspruch zu ihrem sonstigen Vorbringen. Denn wenn die Kläger die Aufnahme einer derartigen ausdrücklichen Regelung in die für die KG ergangenen Feststellungsbescheide für erforderlich halten, bestätigt dies nur, dass das --von den Klägern an anderer Stelle ihrer Argumentation verneinte-- Regelungsbedürfnis für den Erlass der negativen Feststellungsbescheide tatsächlich bestanden hat.