Entscheidungsdatum: 18.08.2010
NV: Verletzt sowohl das FA seine Ermittlungspflicht als auch der Steuerpflichtige die ihm obliegende Mitwirkungspflicht, kann das FA den Steuerbescheid gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO nicht mehr ändern, wenn eine Abwägung der beiderseitigen Pflichtverstöße zu dem Ergebnis kommt, dass der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen dessen Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt .
Die Beschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen zur Zulassung der Revision des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) liegen --bei Zweifeln an der Schlüssigkeit der geltend gemachten Rügen-- jedenfalls nicht vor.
Um die Zulassung der Revision zu erreichen, muss der Beschwerdeführer in der von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form darlegen, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder ein Verfahrensmangel vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 FGO).
1. Eine Zulassung der Revision zur Sicherung der Rechtseinheit (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO) ist im Streitfall nicht geboten. Zwar ist die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO auch dann zuzulassen, wenn ein Rechtsfehler des Finanzgerichts (FG) zu einer "greifbar gesetzwidrigen" Entscheidung geführt hat. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Entscheidung des FG in einem solchen Maße fehlerhaft ist, dass das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur der finanzgerichtlichen Entscheidung wiederhergestellt werden könnte (ständige Rechtsprechung des BFH, s. Beschluss vom 28. August 2007 VII B 357/06, BFH/NV 2008, 113, m.w.N.).
a) Diese Voraussetzung kann etwa dann vorliegen, wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597) oder wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116). Unterhalb dieser Schwelle liegende erhebliche Rechtsfehler reichen dagegen nicht aus, um eine greifbare Gesetzwidrigkeit oder gar eine Willkürlichkeit der angefochtenen Entscheidung anzunehmen (vgl. BFH-Beschluss vom 7. Juli 2005 IX B 13/05, BFH/NV 2005, 2031).
b) Im Streitfall liegt keine Rüge eines sog. qualifizierten, zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO führenden Rechtsanwendungsfehlers vor.
Die Kläger machen geltend, sie hätten ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt, ein Verschulden ihrerseits sei daher nicht zu berücksichtigen. Die Mitwirkungspflichten seien erfüllt, wenn der Steuerpflichtige "die ihm zugeflossenen Einkünfte als solche erklärt, aber nach dem von ihm zu erwartenden steuerlichen Wissen die Kenntnis der steuerlichen Relevanz eines Sachverhalts nicht zu erwarten sein konnte, dass alle relevanten Umstände berücksichtigt wurden".
aa) Gemäß § 90 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) sind die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet. Sie kommen der Mitwirkungspflicht insbesondere dadurch nach, dass sie die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegen und die ihnen bekannten Beweismittel angeben. Der BFH hat wiederholt entschieden, dass der Steuerpflichtige im Veranlagungsverfahren und auch im gerichtlichen Verfahren (§ 76 Abs. 1 FGO) verpflichtet ist, im Rahmen des Zumutbaren an der Aufklärung des für die Besteuerung erheblichen Verfahrens mitzuwirken und in diesem Rahmen sowohl Auskünfte zu erteilen als auch Belege vorzulegen hat (BFH-Beschluss vom 23. Juli 2003 I B 169/02, juris, m.w.N.). In der Rechtsprechung des BFH ist ebenfalls anerkannt, dass die dem Steuerpflichtigen im Rahmen der Sachverhaltsermittlung durch Finanzbehörde oder FG zumutbare Mitwirkungspflicht u.a. dann gesteigert ist, wenn die steuerrechtliche Würdigung des Sachverhalts die Abgrenzung privater und betrieblicher Aufwendungen erfordert (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 4. Juli 1990 GrS 2-3/88, BFHE 161, 290, BStBl II 1990, 817). Dabei hat der Steuerpflichtige durch die Anführung von Tatsachen den Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Betrieb darzutun und auf Verlangen entsprechende Nachweise (Unterlagen) vorzulegen (§ 97 AO i.V.m. § 76 Abs. 1 Sätze 3 und 4 FGO). Der Umfang dieser Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (§ 90 Abs. 1 Satz 3 AO).
bb) Diese Grundsätze zugrunde gelegt, hat der Kläger die ihm obliegenden Mitwirkungspflichten nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt, an den der angerufene Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist, nicht erfüllt. Er hat die steuerrelevanten Tatbestände nicht vollständig und wahrheitsgemäß dargestellt. Vollständig ist ein Sachverhalt, wenn er alle für die Besteuerung bedeutsamen Angaben enthält, soweit sie im Erkenntnisbereich des Beteiligten liegen; wahrheitsgemäß ist eine Angabe, wenn sie nichts Unwahres enthält, nichts Maßgebendes auslässt und nichts Falsches dem Wahren hinzufügt (vgl. Pahlke/Koenig/Wünsch, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 90 Rz 11). Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger nach eigenen Angaben kaum über steuerliche Kenntnisse verfügte, ist auch für einen steuerlichen Laien offensichtlich, dass weder die Angaben im Schreiben vom 10. Juni 2001 noch die auf Anforderung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) erfolgten Ergänzungen in dem Schreiben vom 27. November 2001 alle notwendigen Informationen in Bezug auf die Betriebsausgaben der gewerblichen Tätigkeit des Klägers in 2000 enthalten konnten. Dasselbe gilt für die der Steuererklärung für das Jahr 2001 beigefügte "Einnahmen-Überschußrechnung" vom 23. Juli 2002.
c) Zur Beurteilung der damit für die Änderungsbefugnis des FA gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO entscheidungserheblichen Frage, ob der Verstoß der Finanzbehörde gegen ihre Ermittlungspflicht den Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht deutlich überwiegt (BFH-Urteil vom 16. Juni 2004 X R 56/01, BFH/NV 2004, 1502), sind indessen die beiderseitigen Pflichtverletzungen gegenüberzustellen, zu würdigen und zu gewichten, um sodann unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls den Streitfall zu entscheiden.
Die Kläger wenden sich im Ergebnis lediglich gegen die vom FG als Tatsacheninstanz vorgenommene Würdigung des Einzelfalls. Diese Rüge eröffnet nicht die Revision. Die Kläger verkennen insoweit, dass die tatrichterliche Überzeugungsbildung, die Tatsachen- und Sachverhaltswürdigung sowie darauf bezogene Schlussfolgerungen einer Nachprüfung durch die Revisionsinstanz weitgehend entzogen sind. Die tatrichterliche Überzeugungsbildung der Vorinstanz ist nur insoweit revisibel, als Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze vorliegen (vgl. BFH-Beschluss vom 22. April 2009 VI B 95/08, BFH/NV 2009, 1278, m.w.N.). Solche sind im Streitfall nicht erkennbar.
2. Soweit die Kläger vorbringen, das FG habe "bzgl. der Erkenntnis des Klägers hinsichtlich der fehlerhaften Erklärungen ab Oktober 2002 ... nicht richtig dargestellt", ist darauf zu verweisen, dass Unrichtigkeiten im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils nicht im Rechtsmittelverfahren beim BFH, sondern nur mit einem fristgebundenen Antrag auf Tatbestandsberichtigung beim FG (§ 108 FGO) geltend zu machen sind (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2006 X B 206/05, BFH/NV 2006, 1877).
3. Die Revision kann nicht auf die Notwendigkeit der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) gestützt werden. Denn dieser Revisionszulassungsgrund erfordert eine bisher ungeklärte abstrakte Rechtsfrage, die in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsbedürftig, entscheidungserheblich und auch klärbar ist. Die von den Klägern formulierte Rechtsfrage, ob der steuerliche Laie, der sich keines Steuerberaters bediene, seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nicht nachkomme, wäre in einem künftigen Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich, da sich die Pflichtverletzung des Klägers nicht aus der fehlenden Beauftragung eines Steuerberaters ergibt, sondern aus der fehlenden vollständigen Offenlegung steuerrelevanter Angaben.
4. Die Kläger haben ebenfalls keine Verfahrensmängel des FG-Urteils dargelegt. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben. Darüber hinaus muss schlüssig vorgetragen werden, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 17. September 1986 II B 87/86, BFH/NV 1988, 235).
a) Aus der Aussage der Vorsitzenden Richterin des FG, der Kläger "soll sich vor seinen Ausführungen genau überlegen, dass er, hätte er von Anfang an die Steuererklärungen richtig eingereicht, die Steuer gezahlt, die der Beklagte veranlagt hat" (vgl. den klägerischen Schriftsatz vom 26. November 2009, lässt sich ein Verfahrensmangel, insbesondere eine mögliche Voreingenommenheit der Vorsitzenden Richterin, nicht ableiten.
b) In dem klägerischen Vorbringen, eine Beweisaufnahme durch das FG in der gebotenen Gründlichkeit bzw. Sorgfalt wäre zum Ergebnis gekommen, dass der Kläger seine Mitwirkungspflichten in vollem Umfang erfüllt habe, liegt die Rüge des Verstoßes gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht. Wird --wie hier-- gerügt, das FG hätte auch ohne entsprechenden Beweisantritt von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, so sind nach ständiger Rechtsprechung des BFH Ausführungen dazu erforderlich, welche Beweise das FG von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich ihm die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern die Beweiserhebung auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können (Senatsbeschluss vom 10. April 2006 X B 209/05, BFH/NV 2006, 1461, m.w.N. aus der BFH-Rechtsprechung). An einem solch substantiierten Vorbringen der Kläger fehlt es.
c) Mit dem Hinweis, "die Entscheidungsgründe hinsichtlich der Mitwirkungspflicht des Klägers" seien nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, machen die Kläger eine Überraschungsentscheidung und damit einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes geltend. Eine Überraschungsentscheidung liegt nur dann vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, m.w.N.).
In einem Verfahren, in dem es darum ging, ob das FA befugt war, einen Steuerbescheid im Rahmen des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu ändern, waren sowohl die Frage, inwieweit die Finanzbehörde ihre Ermittlungspflicht verletzt hat, als auch die Frage, ob der Steuerpflichtige seinerseits die ihm obliegende Mitwirkungspflicht erfüllt hat, so naheliegend, dass die sachkundig vertretenen Kläger von ihrer Relevanz ausgehen mussten.