Entscheidungsdatum: 06.03.2013
NV: Eine im Steuerstrafverfahren übergebene inhaltlich nicht beschränkte Vollmachtsurkunde gilt für das gesamte Verfahren, also für Steuerstrafverfahren und Steuerfestsetzungsverfahren .
I. Dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde mit Schreiben vom 6. Februar 2007 die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens bekanntgegeben. Dieses betraf u.a. die Streitjahre 2001 bis 2004. Mit diesem Schreiben wurde er zur Vernehmung beim Finanzamt X - Steuerfahndungsstelle - geladen. Hierzu kam er in Begleitung des Prozessbevollmächtigten, der eine Vollmachtsurkunde überreichte. Diese war nicht auf eine bestimmte Sache beschränkt und enthielt u.a. die Vollmacht zur außergerichtlichen Vertretung aller Art. Auch erstreckte sie sich auf die Entgegennahme und Bewirkung von Zustellungen.
Den Steuerfahndungsbericht übersandte die Steuerfahndungsstelle dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) mit der Empfehlung, die zu erlassenden Steuerbescheide sowohl dem Prozessbevollmächtigten wie auch dem Kläger unter dessen Adresse bekannt zu geben. Das FA gab diese Bescheide mit Postzustellungsurkunde vom 5. August 2008 dem Prozessbevollmächtigten gegenüber bekannt und schickte sie auch an die Adresse des Klägers in A.
Der Prozessbevollmächtigte sandte die Bescheide mit Schriftsatz vom 15. August 2008 an das FA zurück. Er wies darauf hin, dass er den Kläger ausschließlich im Steuerstrafverfahren vertreten habe. Eine Zustellungsvollmacht für Steuerbescheide besitze er nicht.
Der Kläger legte am 16. April 2010 Einspruch ein, der durch Entscheidung des FA vom 21. März 2011 als unzulässig zurückgewiesen wurde.
Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen erhobene Klage mit Urteil vom 5. Juli 2012 ab.
Mit der Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Daneben macht er Verfahrensmängel geltend.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Es ist dem Kläger nicht gelungen, die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) wie auch die Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO darzulegen. Ein Verfahrensmangel ist nicht erkennbar.
1. Dies gilt für die Gründe, mit denen der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung geltend macht.
a) Macht ein Beschwerdeführer die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend, so hat er zunächst eine bestimmte für die Entscheidung des Streitfalls erhebliche abstrakte Rechtsfrage herauszustellen. Dafür ist erforderlich, dass er die entscheidungserhebliche Rechtsfrage hinreichend konkretisiert; nicht ausreichend ist eine Fragestellung, deren Beantwortung von den Umständen des Einzelfalls abhängt (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 116 FGO Rz 171). Des Weiteren muss in der Beschwerdebegründung schlüssig und substantiiert unter Auseinandersetzung mit den zur aufgeworfenen Rechtsfrage in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen dargetan werden, weshalb die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. Dazu muss dargelegt werden, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchem Grunde die Beantwortung der Frage zweifelhaft und streitig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 32, 35, m.w.N.). Insbesondere muss sich der Beschwerdeführer auch mit der bereits vorhandenen Rechtsprechung auseinandersetzen und substantiiert darlegen, weshalb nach seiner Ansicht diese Rechtsprechung keine Klärung herbeigeführt habe (vgl. nur BFH-Beschluss vom 17. März 2010 X B 10/10, BFH/NV 2012, 953, m.w.N.).
Ein solches Vorbringen ist im vorliegenden Fall nicht gegeben.
aa) Der Kläger formuliert zwar als abstrakte Rechtsfrage, ob eine im Steuerstrafverfahren übergebene Vollmacht auch eine Zustellungsbevollmächtigung in einem Besteuerungsverfahren entfaltet, schränkt diese aber insoweit wieder ein, als er auf die konkreten Umstände im vorliegenden Fall abstellt. Hierdurch lässt er erkennen, dass ihm nur an einer Entscheidung des konkreten Einzelfalls gelegen ist. Der Kläger unterstreicht dies in seinem Schriftsatz vom 11. Dezember 2012 auf Seite 2, wenn er darauf abstellt, dass die vorliegende Rechtsprechung nicht sage, wie konkret in diesem Fall die Auslegung zu erfolgen habe. Dass der Kläger lediglich eine Entscheidung seines Einzelfalls vor Augen hat, wird auch dadurch deutlich, dass es ihm nicht gelingt, darzulegen, warum die von ihm formulierte Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig ist. Es reicht insoweit nicht aus, allein auf eine seiner Ansicht nach nicht vorliegende höchstrichterliche Stellungnahme und die Vielzahl der steuerstrafrechtlichen Verfahren zu verweisen.
bb) Eine Auseinandersetzung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Auslegung einer Vollmacht nach § 80 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) hat der Kläger nicht vorgenommen. So hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 4. August 1999 X B 209/98 (BFH/NV 2000, 163) entschieden, dass eine Vollmacht nach § 80 Abs. 1 Satz 2 AO zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verwaltungshandlungen bevollmächtigt, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. Der Inhalt dieser verfahrensrechtlichen Willenserklärung ist dabei durch Auslegung unter Beachtung des Empfängerhorizonts zu ermitteln. Dies gilt auch in einer im Steuerstrafverfahren übergebenen und --wie im vorliegenden Fall-- inhaltlich nicht beschränkten Vollmacht. Die Finanzbehörden können in einem solchen Fall davon ausgehen, dass diese Vollmacht uneingeschränkt für das gesamte Verfahren, also für Steuerstraf- und Steuerfestsetzungsverfahren, gelten soll.
cc) Die Auslegung von Willenserklärungen obliegt dem FG als Tatsacheninstanz und ist im Rahmen der dem Revisionsgericht obliegenden Rechtskontrolle darauf zu überprüfen, ob das FG die gesetzlichen Auslegungsregeln (§§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) beachtet und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen hat. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Anders als etwa im vom FG Hamburg im Urteil vom 24. September 2003 IV 279/00 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2004, 155) entschiedenen Fall enthielt die vom Prozessbevollmächtigten übergebene Vollmachtsurkunde weder das Aktenzeichen des Strafverfahrens noch einen ausdrücklichen Bezug zum Strafverfahren.
b) Im Übrigen hätte die Beschwerde aber auch in der Sache keine Aussicht auf Erfolg.
Soweit der Kläger auf den Begriff der "Doppelfunktionalität" der Steuerfahndung abstellt und aus der Entscheidung des BFH vom 16. Dezember 1997 VII B 45/97 (BFHE 184, 266, BStBl II 1998, 231) eine strikte Trennung von Strafverfahren und Besteuerungsverfahren herleitet, verkennt er, dass der BFH es in dieser Entscheidung grundsätzlich nicht beanstandet hat, dass die Steuerfahndung anlässlich eines konkreten Einzelfalls oder bei Abwicklung eines Steuerfalls sowohl straf- als auch steuerverfahrensrechtliche Ermittlungen durchführen darf. Unter Hinweis auf § 208 Abs. 1 Satz 1 AO ist nach Ansicht des BFH insoweit kein Alternativ- oder Ausschließlichkeitsverhältnis gegeben. Auf den vorliegenden Fall angewandt, bedeutet dies, dass gerade nicht von einer Beschränkung einer Vollmacht auf das Steuerstrafverfahren ausgegangen werden kann, wenn diese der Steuerfahndungsstelle im Rahmen einer Vernehmung überreicht wird. Die Beschränkung muss sich --wie bereits dargelegt-- aus der Urkunde selbst ergeben.
2. Aus denselben Gründen kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts nicht in Frage (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 38).
3. Die Entscheidung beruht auf keinem Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
a) Soweit der Kläger geltend macht, das FG hätte eine Beweisaufnahme zur Frage der wirksamen Zustellung der Bescheide an den Kläger persönlich durchführen müssen, macht er einen Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend (Verletzung der Sachaufklärungspflicht aus § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Dieser kann im vorliegenden Beschwerdeverfahren aber nicht zur Zulassung der Revision führen.
Ein Verfahrensmangel kann nicht mehr mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn er eine Verfahrensvorschrift betrifft, auf deren Beachtung die Prozessbeteiligten verzichten können oder verzichtet haben (§ 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung). Dazu gehört auch das Übergehen eines Beweisantrages, soweit dieser gestellt worden ist. Bei solchen Verfahrensmängeln geht das Rügerecht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge; ein Verzichtswille ist dafür nicht erforderlich (Senatsbeschluss vom 23. Februar 2012 X B 91/11, BFH/NV 2012, 1150, m.w.N.).
Ausweislich der FG-Akte ist von dem durch einen Rechtsanwalt vertretenen Kläger ein solcher Beweisantrag nicht gestellt worden, auch nicht in der mündlichen Verhandlung, obwohl das FG in seinem vorhergehenden Gerichtsbescheid ausdrücklich dahinstehen ließ, ob das FA die angefochtenen Bescheide rechtswirksam ebenfalls an den Kläger unter dessen Adresse in A bekanntgegeben hatte.
b) Soweit der Kläger der Ansicht ist, dass die Frage der wirksamen Zustellung an den Kläger für den Ausgang des Rechtsstreits relevant sei, könnte sein Vorbringen so zu verstehen sein, dass hiermit die Nichtbeachtung des § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO geltend gemacht wird, wonach das Gericht nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet. Diese Vorschrift verpflichtet das FG, den Inhalt der ihm vorliegenden Akten vollständig und einwandfrei zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 14. November 2001 II B 29/00, BFH/NV 2002, 512). Die Rüge eines derartigen Verfahrensmangels setzt die Darlegung voraus, dass das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt habe, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen des Beteiligten nicht entspreche oder eine aus den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen habe (BFH-Beschluss vom 9. Juli 2012 III B 66/11, BFH/NV 2012, 1631). Diese Voraussetzungen sind in der Beschwerdebegründung nicht dargelegt und auch nicht erkennbar. Letztlich wendet sich der Kläger mit seinem Vorbringen allein gegen die aus seiner Sicht fehlerhafte rechtliche Beurteilung des FA, auch bei längerer und bekannter Abwesenheit an die inländische bisherige Wohnanschrift zustellen zu können. Das FG hat aufgrund seiner Auslegung der bei der Vernehmung überreichten Vollmachtsurkunde zu dieser Frage keine Stellung bezogen und folglich das Urteil auch nicht hierauf gestützt. Wenn der Kläger die Richtigkeit dieser Auslegung durch das FG angreift, rügt er damit einen materiellen Fehler. Dieser liegt zum einen nicht vor (vgl. unter II.1.a cc) und kann als solcher auch nicht zur Zulassung der Revision führen.