Entscheidungsdatum: 27.04.2010
NV: Ein unzulässiger Ausforschungsbeweisantrag ist nicht gegeben, wenn aus einem anderen bei den Gerichtsakten befindlichen Schriftsatz bei verständiger Würdigung ersichtlich ist, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen.
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) beantragte mit Schreiben vom 5. Dezember 2001 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) den Erlass der verwirkten Säumniszuschläge zur Einkommensteuer 1993 bis 1995. Diesen Antrag lehnte das FA durch Bescheid vom 27. Februar 2002 ab. Es führte aus, sachliche Billigkeitsgründe seien weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich. Auch ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen scheide aus, da hierfür keine Anhaltspunkte bestünden. Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch machte der Kläger geltend, die Säumniszuschläge beruhten darauf, dass Feststellungsbescheide ergangen seien, die wegen willkürlicher Schätzungen unwirksam seien. Dieser Einspruch wurde durch die Einspruchsentscheidung vom 2. Dezember 2002 abgelehnt. Hierin führte das FA u.a. aus, der Kläger habe keine persönlichen Billigkeitsgründe geltend gemacht, auch seien solche nach Aktenlage nicht ersichtlich.
Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es legte in den Gründen des angefochtenen Urteils dar, es habe keine Verpflichtung bestanden, dem vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nachzugehen. Das Beweisthema, der als Zeuge benannte Steuerfahndungsprüfer habe der Erlass- und Stundungsstelle des FA die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers mitgeteilt, sei viel zu allgemein gehalten, als dass es Grundlage eines konkreten Beweisthemas sein könnte. Es sei ein unzulässiger Ausforschungsbeweis gegeben.
Mit seiner wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegten Beschwerde macht der Kläger u.a. geltend, das FG habe seinen Beweisantrag zu Unrecht übergangen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Es wird daher aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) und eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist dann gegeben, wenn das FG einen Beweisantrag zu Unrecht übergeht.
Die schlüssige Rüge eines solchen Verfahrensverstoßes setzt die substantiierte Darlegung voraus, welche Punkte ermittlungsbedürftig waren, welche angebotenen Beweise das FG nicht erhoben hat, welches Ergebnis eine solche Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass dieses sich ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG auf dessen Entscheidung ausgewirkt hätte. Auch muss dargelegt werden, dass die unterlassene Beweiserhebung vor dem FG gerügt wurde oder aus welchen Gründen eine solche Rüge nicht möglich gewesen sei (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--; vgl. Beschluss vom 23. September 2009 IV B 133/08, BFH/NV 2010, 52, m.w.N.).
Diesen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung. Der Kläger legt unter Hinweis auf die Gründe des angefochtenen Urteils dar, das FG habe seinen Antrag, den von ihm benannten Steuerfahndungsbeamten X dazu zu hören, dass der Erlass- und Stundungsstelle des FA die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers bekannt gewesen seien, abgelehnt. Es sei zu Unrecht von einem Ausforschungsbeweis ausgegangen. Bereits in der Klageschrift habe er, der Kläger, darauf hingewiesen, er sei durch die Steuerfahndungsmaßnahmen zahlungsunfähig geworden und auch überschuldet gewesen. Für das Gericht sei auch das Ziel des Beweisantrags erkennbar gewesen. Dieser habe darauf abgezielt, zu belegen, dass der zuständigen Stelle des FA die fehlende Zahlungsfähigkeit des Klägers bekannt gewesen sei. Eine Beweisaufnahme hätte den klägerischen Vortrag bestätigt, was zur Folge gehabt hätte, dass der angefochtene Bescheid vom FG aufgehoben worden wäre, weil sich die Einspruchsentscheidung im Rahmen der Erwägungen zur Frage eines Erlasses aus persönlichen Billigkeitsgründen nicht mit der wirtschaftlichen Lage des Klägers befasst habe. Der Beweisantrag sei in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden, insbesondere habe das FG nicht darauf hingewiesen, es beurteile den Beweisantrag als Ausforschungsbeweis.
Mit diesem Vorbringen legt der Kläger schlüssig dar, das FG habe zu Unrecht seinen Beweisantrag als unzulässig abgelehnt, weil entgegen der Ansicht des FG erkennbar gewesen sei, welche konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollten.
Durch sein Vorbringen, es sei für ihn nicht feststellbar gewesen, dass das FG seinem in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag nicht entsprechen werde, hat der Kläger schlüssig dargelegt, dass ihm eine rechtzeitige Rüge des Übergehens seines Beweisantrags nicht möglich war.
2. Dieser Verfahrensfehler liegt auch tatsächlich vor. Das FG hat seine Sachaufklärungspflicht verletzt, indem es dem Beweisantrag des Klägers nicht nachgegangen ist.
Zwar ist ein Gericht berechtigt, einen Beweisantrag abzulehnen, wenn er auf einen Ausforschungsbeweis gerichtet ist. Dies ist dann anzunehmen, wenn keine konkreten entscheidungserheblichen Tatsachen, die Gegenstand der Beweisaufnahme sein sollen, vorgetragen werden oder anderweitig erkennbar sind (Senatsbeschluss vom 23. Juli 1996 X B 191/95, BFH/NV 1997, 50). Denn in einem solchen Fall zielt die begehrte Beweiserhebung lediglich darauf ab, im Rahmen der Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen aufzudecken (BFH-Beschluss vom 6. September 2005 IV B 14/04, BFH/NV 2005, 2166).
a) Bei isolierter Betrachtung spricht viel dafür, den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag als nicht ausreichend konkretisiert anzusehen. In ihm wird lediglich die Behauptung aufgestellt, der Zeuge habe der für den Erlassantrag zuständigen Stelle des FA die Kenntnisse über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vermittelt, insbesondere wird nicht dargetan, zu welchen konkreten Fakten sich der Zeuge geäußert haben soll.
b) Der Beweisantrag darf indes nicht isoliert gesehen werden. In seinem Schriftsatz vom 27. Mai 2008, der auch dieses Verfahren betraf, hat der Kläger auf den Beweisantritt in seinem Schriftsatz vom 6. Mai 2003 ausdrücklich Bezug genommen. In dem Schriftsatz führt er zur Begründung seines dort gestellten Beweisantrags aus:
"Des weiteren hatte der Kläger kein verwertbares Vermögen und keine flüssigen Mittel zur Tilgung der Einkommensteuerrückstände, weil die einzigen vorhandenen flüssigen Mittel aufgrund der Vereinbarung mit der Steuerfahndung für die Bezahlung der Gewerbesteuer verwendet werden mussten ... Der Zeuge wird auch bestätigen können, dass die geschäftliche Betätigung des Unternehmens total zusammenbrach, als das Steuerstrafverfahren und die Inhaftierung des Klägers durch Besuche der Steuerfahndungsstelle bei den beiden Großabnehmern bekannt wurde, so dass auch aus der laufenden Geschäftstätigkeit flüssige Mittel nicht erwirtschaftet werden konnten."
Bei verständiger Würdigung war es daher unter Berücksichtigung der vorstehend wiedergegebenen Äußerungen des Klägers für das FG erkennbar, welche konkreten Umstände dem Zeugen zur wirtschaftlichen Lage des Klägers bekannt waren. Angesichts dessen lag es nahe, den klägerischen Beweisantrag dahingehend auszulegen, dass unter Beweis gestellt werden solle, der Zeuge habe diese konkreten Umstände der zuständigen Stelle des FA zur Kenntnis gebracht. Der Beweisantrag zielte daher nicht auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis ab.
3. Der Kläger hat sein Recht, das Übergehen seines Beweisantrags zu rügen, auch nicht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 Abs. 1 der Zivilprozessordnung infolge Rügeverzichts verloren. Für ihn war nicht feststellbar, dass das FG seinem Beweisantrag nicht nachgehen wird. Zwar hat das FG den von ihm benannten Zeugen nicht zur mündlichen Verhandlung geladen. Er hat indessen in dieser Verhandlung erneut beantragt, diesen Zeugen zu vernehmen. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hat das FG die Sitzung mit dem Hinweis geschlossen, dass Entscheidungen im Laufe des Sitzungstags verkündet werden. Damit hat das FG zum Ausdruck gebracht, es sei noch offen, ob nach dem Beratungsergebnis ein Beweisbeschluss oder ein Urteil ergehen wird (BFH-Beschluss vom 29. Juni 1994 I R 108/93, BFH/NV 1995, 320).
4. Das angefochtene Urteil beruht auch auf diesem Verfahrensfehler. Ausgehend vom Rechtsstandpunkt des FG, wonach es für die Beurteilung, ob ausreichende Ermessenserwägungen angestellt worden sind, entscheidend auf den Wissensstand der Dienststelle ankomme, die für die Bearbeitung des Erlassantrags zuständig war, ist nicht auszuschließen, dass das Urteil bei Durchführung der Beweisaufnahme anders ausgefallen wäre.