Entscheidungsdatum: 05.05.2011
1. NV: Ein Rechtszustand, der den Anlass und Ausgangspunkt einer sich schrittweise entwickelnden höchstrichterlichen Rechtsprechung bietet, ist nicht geeignet, Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO auszulösen .
2. NV: Der VIII. Senat hat in seinem Urteil vom 30. Oktober 2001 VIII R 29/00 (BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223) selbst begründet, weshalb die Begrenzung des Werbungskostenabzugs von Beträgen, die anlässlich des Abschlusses von "Kombi-Renten" als "Kreditvermittlungsprovision" bezeichnet werden, keine Änderung der Rechtsprechung darstellt .
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) machten in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2000 bei den sonstigen Einkünften der Klägerin einen als "Kreditvermittlungsprovision" bezeichneten, im Rahmen der Vermittlung einer sog. "Kombi-Rente" angefallenen Betrag von 66.667 DM (6 % des Darlehensbetrages) als Werbungskosten geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) veranlagte die Kläger in dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Erstbescheid vom 13. September 2001 insoweit zunächst erklärungsgemäß. Hingegen ordnete das FA in dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten, angefochtenen Bescheid vom 2. Dezember 2002 lediglich einen Teilbetrag von 22.222 DM (2 % der Darlehenssumme) den sofort abziehbaren Finanzierungskosten zu.
Dass diese Zuordnung materiell-rechtlich zutreffend ist, ist zwischen den Beteiligten im Laufe des Einspruchsverfahrens unstreitig geworden. Die Kläger begehren jedoch Vertrauensschutz durch Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe in seinen Urteilen vom 15. Dezember 1999 X R 23/95 (BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267, unter II.4.b bb) und vom 9. Mai 2000 VIII R 77/97 (BFHE 192, 445, BStBl II 2000, 660) Kreditvermittlungsprovisionen in Höhe von 3,0 % bzw. 3,75 % der jeweiligen Darlehensbeträge in voller Höhe zum Werbungskostenabzug zugelassen. Demgegenüber stelle das BFH-Urteil vom 30. Oktober 2001 VIII R 29/00 (BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223, unter II.4.c), mit dem der Abzug erstmals begrenzt worden sei, eine Änderung der Rechtsprechung dar.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Die Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO setze eine deutliche Aussage der früheren Rechtsprechung zu einem bestimmten Rechtsproblem voraus; daran fehle es hier. Die höchstrichterliche Rechtsprechung sei bisher nicht eindeutig gewesen. Die beiden von den Klägern angeführten früheren Entscheidungen hätten sich lediglich mit der Überschussprognose im Rahmen der Prüfung der Einkunftserzielungsabsicht befasst; eine Begründung für den vollen Abzug der Provisionen sei darin vom BFH nicht gegeben worden.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, eines schwerwiegenden Rechtsfehlers sowie wegen Verfahrensmängeln.
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Die von den Klägern geltend gemachten Zulassungsgründe sind teils nicht in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügenden Weise dargelegt, teils liegen sie nicht vor.
1. Die Kläger haben die grundsätzliche Bedeutung der von ihnen formulierten Rechtsfrage, ob ein Steuerpflichtiger "nur dann davon ausgehen (kann), dass er bei seinen Dispositionen auf den Rechts-/Vertrauensschutz des § 176 AO vertrauen kann, wenn er einen Rechtsausspruch vorfindet, der in qualitativ-kategorialer Weise rechtssystematisch begründet ist", nicht hinreichend dargelegt.
a) Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (BFH-Beschlüsse vom 10. September 2003 X B 132/02, BFH/NV 2004, 495, unter 1., und vom 14. November 2005 II B 51/05, BFH/NV 2006, 305, unter II.1.).
Die schlüssige Darlegung der Klärungsbedürftigkeit erfordert ein konkretes und substantiiertes Eingehen darauf, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Rechtsfrage umstritten ist (BFH-Beschlüsse vom 7. April 2005 V B 39/04, BFH/NV 2005, 1585, unter 2.a, und vom 21. Juli 2005 II B 78/04, BFH/NV 2005, 1984).
b) Daran fehlt es hier. Die Kläger begründen zwar --im Stile eines Revisionsschriftsatzes-- ausführlich, weshalb sie das finanzgerichtliche Urteil im entschiedenen Einzelfall für fehlerhaft halten. Sie befassen sich jedoch nicht mit der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur, die zu der --für das Revisionszulassungsverfahren im Streitfall allein erheblichen-- Vorschrift des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO, insbesondere im Hinblick auf die von den Klägern formulierte Rechtsfrage, bereits ergangen ist.
Die Kläger hätten sich vor allem damit auseinandersetzen müssen, dass der BFH bereits entschieden hat, ein Rechtszustand, der den Anlass und Ausgangspunkt einer sich schrittweise entwickelnden Rechtsprechung bietet, sei nicht geeignet, Vertrauensschutz auszulösen (Senatsurteil vom 14. November 2001 X R 39/98, BFHE 197, 179, BStBl II 2002, 246, unter II.6.). Die Anwendung des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO setzt eine zwar nicht unbedingt ausdrückliche, wohl aber zumindest deutliche Aussage der früheren Rechtsprechung zu einem bestimmten Rechtsproblem voraus; eine allmähliche Entwicklung, Konkretisierung und Präzisierung der Rechtsprechung erfüllt diese Voraussetzung nicht (BFH-Urteil vom 10. Juni 2008 VIII R 79/05, BFHE 222, 320, BStBl II 2008, 863, unter II.3.c).
2. Die Kläger machen ferner geltend, die Verneinung des gesetzlichen Vertrauensschutzes durch das FG stelle einen Rechtsfehler von erheblichem Gewicht dar, der die Voraussetzungen des Revisionszulassungsgrundes des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfülle.
Wenn auch eine allgemeingültige Definition derartiger Fehler von der Rechtsprechung noch nicht entwickelt worden ist, liegen diese Voraussetzungen jedenfalls dann vor, wenn die Entscheidung des FG objektiv willkürlich erscheint oder auf sachfremden Erwägungen beruht und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar --d.h. greifbar gesetzwidrig-- ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung nur durch eine höchstrichterliche Korrektur wieder hergestellt werden kann (BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Eine Entscheidung ist nur dann (objektiv) willkürlich, wenn die fehlerhafte Rechtsanwendung nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Greifbare Gesetzeswidrigkeit ist anzunehmen, wenn das Urteil jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt oder auf einer offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widersprechenden Gesetzesauslegung beruht. Diese besonderen Umstände sind in der Beschwerdeschrift auszuführen (Senatsbeschluss vom 25. Februar 2009 X B 121/08, BFH/NV 2009, 890, unter 3.).
Vorliegend handelt es sich hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO um einen Grenzfall, in dem weder die von den Klägern vertretene Auffassung noch die Position des FA --der sich im Ergebnis auch das FG angeschlossen hat-- als von vornherein unvertretbar erscheint. Das FG hat seine Entscheidung --unter Bezugnahme auf den Gesetzeswortlaut und die höchstrichterliche Rechtsprechung, die zu der entscheidungserheblichen Vorschrift ergangen ist-- ausführlich und nachvollziehbar begründet. Die Annahme objektiver Willkür oder greifbarer Gesetzwidrigkeit ist damit ausgeschlossen.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der VIII. Senat in seinem von den Klägern als rechtsprechungsändernd angesehenen Urteil in BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223 (unter II.4.c) ausdrücklich und ausführlich begründet hat, weshalb die Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267 einer Zuordnung von als "Kreditvermittlungsprovision" bezeichneten Beträgen zu ihrem wahren Rechtsgrund nicht entgegensteht, also selbst nicht von einer Änderung der Rechtsprechung ausgegangen ist. Zwar hat er --worauf die Kläger zu Recht hinweisen-- im Verhältnis zu seiner eigenen früheren Entscheidung in BFHE 192, 445, BStBl II 2000, 660 die üblicherweise eine Rechtsprechungsänderung anzeigende Formulierung verwendet, er halte hieran nicht fest. Das FG hat aber in zumindest gut vertretbarer Weise darauf verwiesen, dass dieses Nichtfesthalten "aus den dargelegten Gründen" abgeleitet worden ist; damit sind diejenigen Gründe gemeint, die der VIII. Senat zuvor dafür angeführt hat, mit seinem Urteil in BFHE 197, 114, BStBl II 2006, 223 nicht von der Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 190, 460, BStBl II 2000, 267 abzuweichen.
3. Die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängel liegen ebenfalls nicht vor.
a) Die Vorsitzende des vorinstanzlich entscheidenden Senats hatte in ihrem --sehr ausführlich gehaltenen-- Hinweisschreiben vom 1. Februar 2010 bereits die vorstehend unter 2. dargestellte Auslegung der vom VIII. Senat verwendeten Formulierung ("aus den dargelegten Gründen") vorgenommen. Die Kläger hatten darauf im Schriftsatz vom 12. März 2010 erwidert, es sei sekundär, worauf sich der Passus "aus den dargelegten Gründen" beziehe, da es nicht auf die Gründe für eine Rechtsprechungsänderung ankomme, sondern allein auf die Tatsache, dass eine solche stattgefunden habe.
In dem Umstand, dass im späteren FG-Urteil trotz der Stellungnahme der Kläger die genannte Passage aus dem Vorsitzendenschreiben wortgleich verwendet worden ist, sehen die Kläger eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör; ferner sei die Entscheidung in diesem Punkt nicht mit Gründen versehen.
b) Die fehlende ausdrückliche Auseinandersetzung des angefochtenen Urteils mit diesem von den Klägern vorgetragenen Einwand --der lediglich einen Bruchteil der insgesamt vorgetragenen Einwendungen darstellte und zudem nur auf eine kurze Passage des ausführlichen Vorsitzendenschreibens bezogen war-- begründet nicht die von den Klägern geltend gemachten Verfahrensmängel. Denn das FG ist nicht verpflichtet, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen. Vielmehr ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten auch zur Kenntnis genommen hat (BFH-Beschlüsse vom 18. Juni 2001 II B 129/00, BFH/NV 2001, 1292, und vom 19. November 2002 X B 78/01, BFH/NV 2003, 335). Es ist nicht ersichtlich, dass das FG im Streitfall anders verfahren sein könnte, zumal dessen Urteil an vielen Stellen auf das Vorbringen der Kläger ausdrücklich eingeht und sich keineswegs in einer bloßen Wiederholung des Vorsitzendenschreibens erschöpft.