Entscheidungsdatum: 26.01.2010
1. NV: Auch die Finanzbehörde ist zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet. Deshalb ist regelmäßig ein Absendevermerk der Poststelle erforderlich. Fehlt dieser, muss das FG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht. Die Grundsätze des Anscheinbeweises sind nicht anwendbar .
2. NV: § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO fingiert die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts mit Ablauf der Drei-Tages-Frist. Dieser Zeitpunkt ist auch entscheidend für die Frage, ob die Feststellungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses eines Änderungsbescheids noch nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt gewesen ist .
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) zuzulassen. Auch Verfahrensmängel liegen nicht vor.
1. a) Der Kläger ist der Ansicht, die Rechtssache habe im Hinblick auf die Frage grundsätzliche Bedeutung, ob der Umstand, dass die Finanzbehörde den Tag der Aufgabe eines Bescheids zur Post nicht in den Akten dokumentiere, dazu führe, dass entweder ein Bestreiten des nicht dokumentierten Sachverhalts durch den Steuerpflichtigen ohne weitergehende Substantiierung ausreiche, damit die Finanzbehörde die volle Darlegungs- und Beweislast für diesen Sachverhalt treffe, oder der Tag des tatsächlichen Zugangs des Bescheids für die Fristberechnung maßgebend sei, wenn dieses Datum unstreitig und dessen Nichtberücksichtigung mit gravierenden Nachteilen für den Steuerpflichtigen verbunden sei.
b) Diese Frage ist durch die umfangreiche Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu den Voraussetzungen, unter denen die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) ausgelöst wird, --und mit der sich der Kläger im Übrigen nicht auseinandergesetzt hat-- bereits geklärt. Danach ist auch die Finanzbehörde zu einer wirksamen Postausgangskontrolle verpflichtet (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 1982 VIII R 77/79, BFHE 137, 221, BStBl II 1983, 229). Die einfache Zuleitung oder kommentarlose Übergabe des jeweiligen Schriftstücks an die amtsinterne Postausgangsstelle reichen ebenso wenig aus wie ein bloßer Abgangsvermerk der Stelle, die das Schriftstück an diese Postausgangsstelle weiterleitet. Vielmehr ist regelmäßig ein Absendevermerk der Poststelle erforderlich. Liegt ein solcher Vermerk --wie im Streitfall-- nicht vor, muss das Finanzgericht (FG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung beurteilen, ob es die rechtzeitige Absendung für nachgewiesen hält oder nicht (vgl. BFH-Beschluss vom 19. August 2002 IX B 179/01, BFH/NV 2003, 138, m.w.N.); die Regeln des Anscheinsbeweises sind insoweit nicht anwendbar (BFH-Entscheidungen vom 28. September 2000 III R 43/97, BFHE 193, 28, BStBl II 2001, 211; vom 16. Januar 2007 IX R 41/05, BFH/NV 2007, 1508).
Nach diesen Grundsätzen ist das FG aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Umstand, dass sich in der Feststellungsakte ein Vermerk über die Aufgabe des Bescheids zur Post nicht finden lässt, keine entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme. Es hat dafür zum einen das konkrete im Finanzamt durchgeführte Verfahren der Postaufgabe mit dem Vorsortierkorb und den gesonderten Schüben herangezogen, in welche die zur Versendung bereiten Bescheide nach Datum einsortiert werden. Zum anderen hat es darauf abgestellt, aus der Feststellungsakte sei ersichtlich, dass die zuständige Sachbearbeiterin, die vom Gericht als Zeugin gehört worden ist, die mit dem Bescheid ausgedruckte Hinweismitteilung am 2. Oktober 2002, einem Mittwoch, geprüft habe und der Bescheid bei den innerhalb Berlins üblichen Postlaufzeiten aller Voraussicht nach am Freitag oder spätestens am Samstag bei dem Bevollmächtigten des Klägers eingegangen wäre, wenn der Bescheid entgegen dem üblichen Verfahren bereits am Tag der Prüfung (2. Oktober 2002) zur Post gelangt wäre. Das FG hat zudem erörtert, dass auch bei Versendung des Bescheids am 4. Oktober 2002 (der 3. Oktober 2002 war ein Feiertag) nicht ein Zugang am 8. Oktober 2002, wie vom Kläger vorgetragen, sondern spätestens am Montag, den 7. Oktober 2002, höchstwahrscheinlich gewesen wäre, und nur in diesem Zusammenhang bemerkt, die vom Kläger pauschal erwähnten theoretisch denkbaren Möglichkeiten eines abweichenden Verfahrensablaufs seien nicht hinreichend substantiiert. Er habe nicht erklärt, warum ihn der Bescheid bei einer Versendung am 2. oder 4. Oktober 2002 erst am 8. Oktober 2002 erreicht haben solle und warum er nicht den Briefumschlag des Bescheids zum Beweis eines anderen Postlaufs aufbewahrt habe. Auf diese Weise hat das FG im Wege freier Beweiswürdigung das aufgedruckte Erlassdatum auch als Datum der Aufgabe zur Post festgestellt.
2. Auch der weiteren Rechtsfrage des Klägers, ob die Drei-Tages-Fiktion des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO jedenfalls dann nicht gelte und stattdessen auf den tatsächlichen Zugang des Bescheids abzustellen sei, wenn dieser Zeitpunkt unstreitig feststehe oder eindeutig --z.B. durch einen Posteingangsstempel auf dem Original des Bescheids-- nachgewiesen werden könne, und die Anwendung der Fiktion unter Außerachtlassung des tatsächlichen Geschehensablaufs zu gravierenden Nachteilen für den Steuerpflichtigen führe, kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Sie ist durch die Rechtsprechung bereits geklärt. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts wird im Fall des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht nur vermutet, sondern mit Ablauf der Frist fingiert. Die Existenz und die Wirksamkeit des Verwaltungsakts treten nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO erst mit Ablauf der Drei-Tages-Frist ein (Senatsurteil vom 13. Dezember 2000 X R 96/98, BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274). Daraus folgt beispielsweise, dass ein Steuerbescheid innerhalb der Drei-Tages-Frist widerrufen werden kann, auch wenn er dem Steuerpflichtigen tatsächlich früher zugegangen ist (Senatsurteil vom 18. August 2009 X R 25/06, BFHE 226, 77, BStBl II 2009, 965). Gleiches gilt aber auch für die im Streitfall entscheidende Frage, ob die Feststellungsfrist im Zeitpunkt des Erlasses eines Änderungsbescheids noch nach § 171 Abs. 10 AO gehemmt gewesen ist. Mit § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO wollte der Gesetzgeber zugunsten wie zuungunsten des Adressaten generell einen Streit über den genauen Zeitpunkt des Zugangs eines Bescheids weitgehend ausschließen (Senatsurteil in BFHE 193, 512, BStBl II 2001, 274).
3. Das Vorbringen des Klägers, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Zwar hätte --worauf der Kläger in der Beschwerdebegründung zutreffend hinweist-- nach Ziff. III.2. i.V.m. Ziff. III.1. des Geschäftsverteilungsplans des FG grundsätzlich ein "weiterer Richter" des Senats mit der nächsthöheren Ordnungsnummer, also des 6. Senats, bzw. der Vertreter des Vorsitzenden des 6. Senats vertreten müssen. Allerdings darf nach § 29 Satz 1 des Deutschen Richtergesetzes nicht mehr als ein Richter auf Probe oder ein Richter kraft Auftrags oder ein abgeordneter Richter an einer gerichtlichen Entscheidung mitwirken. Da an dem Urteil des 5. Senats des FG Berlin-Brandenburg bereits der zum FG abgeordnete Richter am Verwaltungsgericht A beteiligt war, war der einzige "weitere Richter" des 6. Senats, der Richter auf Probe Dr. X, von der Entscheidung ausgeschlossen. Zudem war laut Geschäftsverteilungsplan der 6. Senat auch mit keinem Vertreter des Vorsitzenden besetzt. Dementsprechend war nach dem Geschäftsverteilungsplan ein Richter mit der wiederum nächsthöheren Ordnungsnummer, nämlich der einzige "weitere Richter" des 7. Senats, Richter am FG B, zur Mitwirkung an der Entscheidung berufen.
4. Entgegen dem Vorbringen des Klägers ist das FG-Urteil auch mit Gründen versehen. Eine unterschriebene Urteilsformel wurde innerhalb der Frist des § 104 Abs. 2 FGO in der Geschäftsstelle des erkennenden Senats niedergelegt und die Entscheidung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2009 wurde den Beteiligten am 7. August 2009 zugestellt.
a) Im Falle der Zustellung an Verkündungs statt, wie sie das FG in der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2009 beschlossen hat, muss das Urteil binnen zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung der Geschäftsstelle übergeben werden (§ 104 Abs. 2 FGO); entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 2 FGO genügt die Niederlegung der von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteilsformel (BFH-Urteil vom 10. November 1987 VII R 47/87, BFHE 151, 328, BStBl II 1988, 283, 284, m.w.N.). Für diesen Fall sind jedoch entsprechend § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat für den Fall der Verkündung des Urteils in der mündlichen Verhandlung oder in einem eigens anberaumten Verkündungstermin das Wort "alsbald" im Sinne dieser Vorschrift in seinem Beschluss vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1993, 674, Neue Juristische Wochenschrift 1993, 2603) so ausgelegt, dass Tatbestand und Entscheidungsgründe binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben werden müssen. Geschieht dies nicht, gilt ein bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil i.S. von § 119 Nr. 6 FGO als nicht mit Gründen versehen.
b) Im Streitfall wurde die Urteilsformel ausweislich des Eingangsvermerks am 12. Mai 2009 und somit innerhalb von zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung in der Geschäftsstelle niedergelegt. Da mit Ablauf dieses Tages die Frist von fünf Monaten zu laufen begann (vgl. BFH-Urteil vom 17. September 1997 II R 37/96, BFH/NV 1998, 469), wurde das Urteil den Beteiligten innerhalb der Fünf-Monats-Frist am 7. August 2009 zugestellt.