Entscheidungsdatum: 23.02.2010
NV: Ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten ist im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln, das als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) übertrug seinen Kindern im Streitjahr 1995 ein 5.715 qm großes, gemischtgenutztes Betriebsgrundstück. Den Entnahmegewinn ermittelte er mit 13.096 DM. Dabei legte er den (unstreitigen) Buchwert in Höhe von 3.224.104 DM sowie einen Entnahmewert in Höhe von 3.237.000 DM zugrunde, der sich aus einem vom Kläger in Auftrag gegebenen Privatgutachten ergab.
Im Rahmen einer beim Kläger durchgeführten Außenprüfung schätzte der Bausachverständige des Finanzamts F den Entnahmewert auf 5.200.000 DM. Diesen Wert korrigierte er auf 4.800.000 DM, nachdem er das Privatgutachten in seine Berechnung einbezogen hatte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) änderte daraufhin den Gewerbesteuermessbescheid 1995 und setzte unter Berücksichtigung eines Entnahmewertes von 4.800.000 DM einen Entnahmegewinn in Höhe von 1.575.896 DM an.
Im Einspruchsverfahren korrigierte das FA den Entnahmewert auf 4.360.000 DM. Im finanzgerichtlichen Verfahren hat das Finanzgericht (FG) durch Beschluss vom 7. Januar 2004 Beweis durch Einholung eines Verkehrswertgutachtens des Sachverständigen S erhoben. Dieser hat einen Verkehrswert des entnommenen Betriebsgrundstücks in Höhe von 3.900.000 DM ermittelt. Durch Beschluss vom 19. März 2008, modifiziert durch Beschluss vom 2. Juni 2008, hat das FG erneut Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erhoben. Es hat den Gutachter G beauftragt, den Teilwert des Grundstücks zum 15. Dezember 1995 festzustellen. Dieser Sachverständige hat einen Wert von 3.600.000 DM ermittelt.
Im Schriftsatz vom 5. Dezember 2008 kam der Kläger zu dem Ergebnis, das Gutachten des Sachverständigen G sei zwar nachvollziehbar, doch habe er bei der Ermittlung der nachhaltig erzielbaren Mieten nicht die Beeinträchtigung der Wohnungen und der Büros durch den laufenden LKW-Verkehr auf dem Grundstück, die Belästigungen durch Lade- und Entladearbeiten, Gabelstaplerverkehr auf dem Hof und die dadurch unmögliche Nutzung des Hofs durch die Bewohner berücksichtigt. Zudem sei in die Bewertung nicht einbezogen worden, dass die Büros im Vorderhaus als Wohnungen konzipiert seien. Unter Berücksichtigung dieser Benachteiligungen sei von einem deutlich unter dem Mittelwert liegenden Mietzins auszugehen und der Wert des Grundstücks werde dadurch erneut erheblich verringert. In seiner Stellungnahme zu diesen Einwänden hat der Sachverständige G ausgeführt, im Rahmen der Bodenwertermittlung habe er aufgrund der Zufahrtssituation einen Abschlag vom Bodenwert vorgenommen. Bei der Ertragswertermittlung seien für die Wohnungen und die zum Wertermittlungsstichtag als Büros genutzten Gebäudebereiche der straßenseitigen Grundstücksbebauung langfristig und nachhaltig zu erzielende Erträge angesetzt worden. Die Ertragsansätze seien aus Vergleichsmieten bzw. dem … Mietspiegel 1994 abgeleitet worden. Dabei seien auch die von der Grundstückszufahrt und vom Hofbereich ausgehenden Immissionen berücksichtigt worden. Zusammenfassend kam der Sachverständige G zu dem Ergebnis, dass auch nach nochmaliger Überprüfung seines Gutachtens an den Wertansätzen festzuhalten sei. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger ausweislich der Niederschrift nicht die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt.
Das Gericht folgte dem Gutachten des Sachverständigen G und gab der Klage auf dieser Grundlage teilweise statt. Die Revision ließ es nicht zu.
Mit der dagegen gerichteten Beschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel. Es liege ein Sachaufklärungsmangel vor. Da das vom Kläger vorgelegte Privatgutachten ca. sechs Monate vor dem Entnahmezeitpunkt erstellt worden sei und der Beleihung des Grundstücks durch eine Bank gedient habe, seien keine Zweifel an dem vom Privatgutachter ermittelten Entnahmewert von 3.237.000 DM angebracht. Obwohl der Sachverständige G nicht berücksichtigt habe, dass der Wert des Grundstücks insgesamt durch die gewerbliche Nutzung gemindert sei, die Mieten zu hoch und der Liegenschaftszins fehlerhaft nicht mit 7 % p.a. der Marktlage entsprechend angesetzt worden seien, habe das FG das Gutachten des Sachverständigen G seiner Entscheidung zugrunde gelegt und ausdrücklich von einer eigenen Wertermittlung abgesehen. Es habe sich mit den Abweichungen im Gutachten des Sachverständigen G vom Privatgutachten des Klägers nicht weiter auseinandergesetzt, sondern das Gutachten des Sachverständigen G floskelhaft gelobt. Zudem habe das FG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt. Beide Gutachter hätten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und ebenso wie der Kläger erwartet, dass ihnen das FG aufgeben werde, die in ihren Gutachten wiedergegebenen Annahmen und Schlussfolgerungen näher zu begründen. In dieser Weise habe sich das FG auch in der mündlichen Verhandlung geäußert. Stattdessen habe es die Beteiligten im Anschluss an die mündliche Verhandlung mit dem angefochtenen Urteil überrascht, in dem das Gutachten des Sachverständigen G vollkommen übernommen worden sei, ohne auch nur in einzelnen Teilpunkten die überzeugende Argumentation des Privatgutachtens zu verwerten.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Ein Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegt nicht vor.
1. Das FG hat nicht gegen seine Sachaufklärungspflicht verstoßen, indem es davon abgesehen hat, seiner Entscheidung Teilaspekte des Privatgutachtens zugrunde zu legen.
a) Ein Verfahrensfehler liegt vor, wenn das Gericht sich seine Überzeugung auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts bildet und damit gegen seine Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 FGO) verstößt. Der Richter ist deshalb gehalten, selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob und aus welchen Gründen er dem Gutachten eines Sachverständigen folgt (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. November 1981 IV R 103/79, BFHE 135, 6, BStBl II 1982, 258, m.w.N.).
Wie der BFH im Urteil vom 26. Januar 1988 VIII R 29/87 (BFH/NV 1988, 788) entschieden hat, hat das Gericht Gutachten gerichtlich bestellter Sachverständiger sorgfältig und kritisch zu würdigen; Unvollständigkeiten, Unklarheiten und Zweifel sind von Amts wegen --soweit möglich-- auszuräumen. Erforderlichenfalls ist der Gutachter zu einer Ergänzung seines schriftlichen Gutachtens zu veranlassen und in der mündlichen Verhandlung zu befragen.
b) Danach hat das FG im Streitfall seine Pflicht zur Sachaufklärung nicht dadurch verletzt, dass es den Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen gefolgt ist. Es hat im Vorfeld der mündlichen Verhandlung den Sachverständigen G mit den Einwendungen des Klägers gegen verschiedene Passagen im Gutachten konfrontiert und zur Stellungnahme aufgefordert. Dieser hat in seiner Stellungnahme vom 13. Februar 2009 darauf hingewiesen, dass er bei der Bewertung des Grundstücks die von der gewerblichen Nutzung ausgehenden Immissionen und innerhalb der Ertragswertermittlung für die Wohnungen und die als Büros genutzten Gebäudebereiche langfristig und nachhaltig zu erzielenden Erträge berücksichtigt habe. Der Gutachter hat zudem angemerkt, dass ein Gutachten grundsätzlich ein in sich geschlossenes Verfahren darstelle, das durch objektspezifische Begründungen und Ansätze zu einem Endergebnis führe. Die isolierte Betrachtung einzelner Ansätze und Begründungen führe zu einer Verfälschung der Tatsachen bzw. des Endergebnisses. Das FG hat den Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung geladen und den Beteiligten so Gelegenheit gegeben, mögliche Einwände gegen das Gutachten persönlich mit dem Sachverständigen zu diskutieren. Schließlich hat das FG auch hinreichend begründet, warum es dem Gutachten des gerichtlich bestellten Sachverständigen G gefolgt ist. Zudem ergeben sich aus den vom Kläger geltend gemachten Einwänden keine Mängel von solchem Gewicht, dass sie das Gutachten als zur Sachverhaltsfeststellung nicht ausreichend tragfähig erscheinen lassen. Insbesondere ist das vom Kläger vorgelegte Gutachten nicht geeignet, einzelne Aspekte des Gutachtens des gerichtlich bestellten Sachverständigen in Frage zu stellen. Ein von einem Beteiligten vorgelegtes Sachverständigengutachten ist im finanzgerichtlichen Verfahren lediglich als Privatgutachten zu behandeln, das als urkundlich belegter Parteivortrag zu würdigen ist (BFH-Beschluss vom 3. Mai 2001 III B 52/00, BFH/NV 2001, 1419). Es kann daher nicht als Nachweis für die Richtigkeit des klägerischen Vortrags gewertet werden.
c) Im Grunde genommen rügt der Kläger die seiner Ansicht nach fehlerhafte Auswertung und Würdigung des vom Gericht angeforderten Gutachtens. Das aber ist keine Frage unzureichender Sachaufklärung (BFH-Beschluss vom 19. Oktober 1998 XI B 29/98, BFH/NV 1999, 607), sondern fehlerhafter Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das FG. Darauf kann ein Verfahrensmangel nicht gestützt werden. Denn die Grundsätze der Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und deshalb der Prüfung des BFH im Revisionsverfahren entzogen (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Mai 2004 VIII B 107/03, BFH/NV 2004, 1533).
2. Einen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 3 FGO) durch den Erlass einer Überraschungsentscheidung hat der Kläger nicht schlüssig gerügt. Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn eine Entscheidung maßgeblich auf einen bis zuletzt nicht angesprochenen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 19. September 1990 X R 79/88, BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100; vom 23. Mai 1996 IV R 87/93, BFHE 180, 396, BStBl II 1996, 523). Im Streitfall ergibt sich aus dem eigenen Vortrag des Klägers in der Beschwerdeschrift, dass er dem gerichtlich bestellten Gutachter in der mündlichen Verhandlung Fragen hätte stellen und so eine weitere Begründung des Gutachtens verlangen können.
3. Die zusätzliche Begründung vom 15. Februar 2010 ist als nachgereichter Schriftsatz verspätet. Die Zulässigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde, insbesondere hinsichtlich der Anforderungen an ihre Begründung, ist nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nur nach den innerhalb der gesetzlichen Begründungsfrist (§ 116 Abs. 3 Sätze 1 und 4 FGO) vorgebrachten Ausführungen zu beurteilen; spätere Darlegungen sind --abgesehen von bloßen Erläuterungen und Ergänzungen-- nicht zu berücksichtigen. Der Vortrag, die Bestellung des Herrn T als vereidigten Sachverständigen zur Ermittlung des Entnahmewertes sei zwischen dem Kläger und dem FA vereinbart worden, ist neu und widerspricht zudem dem Vorbringen, wie z.B. dem Schreiben des Klägers an den Sachverständigen G vom 4. August 2008. Im Übrigen ist es weder rechts- noch sittenwidrig, wenn Finanzämter oder Finanzgerichte Wertansätzen in Privatgutachten nicht folgen, sondern vielmehr die durch gerichtlich bestellte Sachverständige ermittelten Werte nach sorgfältiger und kritischer Würdigung übernehmen.