Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 30.03.2011


BFH 30.03.2011 - X B 12/10

Prozessvollmacht bei Beiordnung - Anscheinsvollmacht im Rahmen einer Prozessvollmacht


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
10. Senat
Entscheidungsdatum:
30.03.2011
Aktenzeichen:
X B 12/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 26. November 2009, Az: 1 K 242/08, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Allein die Beiordnung eines vom Betroffenen nicht ausgewählten Rechtsanwalts oder Steuerberaters im Rahmen der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (§ 121 ZPO i.V.m. § 142 FGO) hat nicht zur Folge, dass der Beigeordnete hierdurch in der Lage ist, den Betroffenen wirksam im Prozess zu vertreten .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhob im Jahr 2001 beim Finanzgericht (FG) Klagen wegen mehrerer Steuerbescheide, die im Anschluss an eine Außen- und Fahndungsprüfung ergangen waren. In den gerichtlichen Verfahren war er zunächst durch einen Rechtsanwalt vertreten. Dieser teilte dem FG im Anschluss an einen Erörterungstermin im Jahr 2004 mit, eine außergerichtliche Erledigung sei nicht möglich, der Kläger begehre eine gerichtliche Entscheidung. Im weiteren Verlauf des Verfahrens legte die Anwaltskanzlei das Mandat nieder. Auf seinen Antrag bewilligte das FG dem Kläger mit Beschluss vom 10. März 2005 Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete ihm zu seiner Vertretung die Steuerberaterin D bei.

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In der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 26. Juni 2006, zu der der Kläger nicht persönlich geladen worden und auch nicht erschienen war, folgten Steuerberaterin D und die Vertreterin des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) dem Vorschlag des FG zur Beilegung des Rechtsstreits. Hierbei hob die Vertreterin des FA einen der streitigen Steuerbescheide auf und verpflichtete sich im Übrigen, die anderen Steuerbescheide entsprechend dem Vorschlag zu ändern. Die Vertreterin des FA und die Steuerberaterin erklärten daraufhin in dieser mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit jeweils in der Hauptsache für erledigt.

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Im Rahmen der Anfechtung der in der Folgezeit ergangenen Änderungsbescheide machte der Kläger geltend, die Steuerberaterin habe ohne sein Einverständnis einen "Vergleich" geschlossen. Dem FG sei bekannt gewesen, dass er einen solchen nicht gewollt habe. Die Steuerberaterin habe er nicht als seine Prozessbevollmächtigte, sondern mehr als Sachverständige wahrgenommen. Das FG legte das Vorbringen des Klägers als Erklärung aus, wirksame Erledigungserklärungen des Klägers lägen nicht vor, so dass die gerichtlichen Verfahren fortzusetzen seien. Durch Urteil vom 26. November 2009 stellte das FG fest, dass der Rechtsstreit (jeweils) in der Hauptsache erledigt ist. Zur Begründung führte es aus, der Kläger habe Steuerberaterin D durch konkludentes Verhalten Vollmacht zu seiner Prozessvertretung erteilt. Zumindest habe aber eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht vorgelegen.

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Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision.

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sind nicht gegeben.

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1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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Der Kläger macht geltend, es bedürfe der grundsätzlichen Klärung, ob ein vom Gericht beigeordneter, nicht von dem Prozessbeteiligten benannter Vertreter rechtlich auch ohne Vollmachtsvorlage wirksam eine im Widerspruch zu dem Verhalten des Prozessbeteiligten stehende Prozesserklärung abgeben könne. Ferner sei grundsätzlich klärungsbedürftig, ob im Hinblick auf § 62 Abs. 6 FGO in der derzeit geltenden Fassung, wonach die Vollmacht schriftlich zu den Akten zu reichen sei, wie nach § 62 FGO in der bisherigen Fassung die Schriftform der Vollmacht von konstitutiver Bedeutung sei. Auch bedürfe es der Klärung, ob eine Duldungs- oder Anscheinsvollmacht ausreiche.

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a) Eine Rechtsfrage hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie im konkreten Streitfall klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Wie eine Rechtsnorm auszulegen ist, ist dann nicht klärungsfähig, wenn sie im konkreten Streitfall (noch) nicht anwendbar ist. Dies ist vorliegend der Fall, soweit durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts vom 12. Dezember 2007 (BGBl I 2007, 2840) § 62 FGO geändert worden ist. Denn diese gesetzliche Neuregelung trat nach Art. 20 Satz 3 dieses Gesetzes erst ab dem 1. Juli 2008 in Kraft. Im Streitfall ist hingegen die Frage zu beurteilen, ob Steuerberaterin D den Kläger am 26. Juni 2006 wirksam vertreten konnte. Hierfür spielt die gesetzliche Neuregelung von § 62 FGO keine Rolle.

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b) Dies vorausgeschickt, sind die vom Kläger aufgeworfenen Fragen nicht grundsätzlich bedeutsam:

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aa) Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die Beiordnung eines von dem Betroffenen nicht ausgewählten Rechtsanwalts im Rahmen der Bewilligung von PKH gemäß § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 142 FGO durch das Prozessgericht nicht zur Folge hat, dass der beigeordnete Rechtsanwalt hierdurch in der Lage ist, den Betroffenen in dem Prozess wirksam zu vertreten (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22. Juni 1959 III ZR 52/58, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1959, 1732, und vom 1. März 1973 III ZR 188/71, NJW 1973, 757; vgl. auch Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 121 Rz 29). Vertretungsmacht erlangt der beigeordnete Anwalt erst dadurch, dass ihm der Betroffene eine Vollmacht i.S. des § 167 des Bürgerlichen Gesetzbuchs erteilt.

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Nichts anderes gilt, soweit das Prozessgericht wie im Streitfall gemäß § 142 Abs. 2 FGO einen Steuerberater beiordnet. Denn diese Vorschrift knüpft an § 121 ZPO an und erweitert lediglich den dort bestimmten Personenkreis.

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bb) Ebenfalls höchstrichterlich geklärt ist, dass die Erteilung einer wirksamen Prozessvollmacht im Finanzgerichtsprozess nach § 62 FGO in der vom 1. Januar 2001 bis zum 30. Juni 2008 und damit auch im Streitfall geltenden Fassung auch in schlüssiger Weise erteilt werden kann und zur Wirksamkeit keiner Schriftform bedarf. Vielmehr hat die Schriftform nach § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO nur Nachweisfunktion (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 20. Dezember 2006 III E 7/06, nicht veröffentlicht --n.v.--; vgl. auch Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 62 Rz 42).

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cc) Ferner ist geklärt, dass im Falle des Auftretens einer Person i.S. des § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes (§ 62 Abs. 3 Satz 6 FGO; jetzt § 62 Abs. 6 Satz 4 FGO) das Bestehen einer Prozessvollmacht vom FG nur zu überprüfen ist, wenn begründete Zweifel an der Bevollmächtigung bestehen (BFH-Urteil vom 11. Februar 2003 VII R 18/02, BFHE 201, 409, BStBl II 2003, 606). Ob solche Zweifel gegeben sind, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls. Fragen, die nur anhand einer Würdigung der Verhältnisse des Einzelfalls beurteilt werden können, sind nicht von grundsätzlicher Bedeutung (Senatsbeschluss vom 28. Februar 1989 X B 90/87, BFH/NV 1989, 709). Dementsprechend ist in diesem Zusammenhang nicht zu überprüfen, ob das FG zu Recht vom Bestehen einer stillschweigend erteilten Prozessvollmacht ausgegangen ist (zum Erfordernis der Gutgläubigkeit für die Annahme einer Anscheinsvollmacht vgl. unten bei 3.a).

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2. Das angefochtene Urteil weicht nicht i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO von den vom Kläger benannten BFH-Entscheidungen ab.

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a) Eine zur Revisionszulassung führende Abweichung vom Senatsbeschluss vom 18. Januar 1988 X S 9/87 (n.v.) sowie von dem BFH-Urteil vom 28. November 1995 VII R 63/95 (BFHE 179, 5, BStBl II 1996, 105) ist nicht gegeben. Zwar wird in beiden Entscheidungen ausgeführt, eine Prozessvollmacht sei schriftlich zu erteilen. Diese Auffassung betrifft indessen die vor dem 1. Januar 2001 geltende Fassung des § 62 FGO. Im Streitfall bestand eine andere Rechtslage (siehe oben bei 1.b bb).

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b) Das angefochtene Urteil des FG weicht auch nicht von dem tragenden Rechtssatz im BFH-Beschluss vom 12. November 2009 VIII B 167/09 (Zeitschrift für Steuern und Recht 2010, R167) ab, wonach die Anforderung einer Prozessvollmacht für eine für die Kläger auftretende Person i.S. des § 62 Abs. 3 Satz 6 FGO dann geboten ist, wenn begründete Zweifel an seiner Bevollmächtigung bestehen. Denn das FG ist ebenfalls von diesem Rechtssatz ausgegangen (vgl. FG-Urteil Seite 7, Abs. 5, Satz 2).

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3. Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einem Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

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a) Das FG hat nicht dadurch den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, dass es zu der mündlichen Verhandlung vom 26. Juni 2006 lediglich die Steuerberaterin D, nicht aber den Kläger persönlich geladen hat. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist gewahrt, wenn allein der Bevollmächtigte, nicht aber der Kläger geladen wird. Das gilt auch dann, wenn eine Vollmacht lediglich mündlich erteilt worden ist oder eine bloße Duldungs- oder Anscheinsvollmacht besteht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 1985  1 BvR 338/84, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1986, 259 zur Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Bevollmächtigte).

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Im Streitfall kann dahinstehen, ob das FG zu Recht angenommen hat, das Verhalten des Klägers könne in dem Sinne verstanden werden, dass er Steuerberaterin D schlüssig eine Prozessvollmacht erteilt hat. Jedenfalls hat das FG zutreffend (hilfsweise) angenommen, dass im Streitfall eine Anscheinsvollmacht bestanden hat.

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Auch eine Prozessvollmacht kann mittels einer Anscheinsvollmacht begründet werden. Danach kann sich der Vertretene auf den Mangel der Vollmacht seines angeblichen Vertreters dann nicht berufen, wenn er dessen Verhalten bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte kennen und verhindern können, und wenn der andere Teil annehmen durfte, der Vertretene billige das Handeln des Vertreters (vgl. BGH-Urteil vom 12. März 1981 III ZR 60/80, NJW 1981, 1727). Dies ist in aller Regel nur dann der Fall, wenn das Verhalten des Vertreters eine gewisse Dauer und Häufigkeit aufweist (BGH-Urteil vom 13. Juli 1977 VIII ZR 243/75, Wertpapier-Mitteilungen/Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1977, 1169).

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Dass diese Voraussetzungen vorgelegen haben, hat das FG zutreffend dargetan. Auf diese Ausführungen nimmt der beschließende Senat Bezug. Das FG hat dargestellt, dass Steuerberaterin D ungefähr ein Jahr lang für den Kläger im Rahmen des finanzgerichtlichen Verfahrens aufgetreten ist, was für diesen erkennbar war. Insofern ist ein Vertrauenstatbestand gerechtfertigt.

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Dem Vorliegen einer Anscheinsvollmacht steht auch nicht entgegen, dass Steuerberaterin D irrigerweise angenommen hat, sie bedürfe zur Vertretung des Klägers im Hinblick auf ihre gerichtliche Bestellung keiner vom Kläger erteilten Vollmacht. Denn entscheidend ist allein, ob das FG und das FA als jeweilige Empfänger der im Jahr 2006 abgegebenen Prozesserklärung betreffend die Erledigung der Hauptsache annehmen durften, eine Vollmacht sei gegeben. Dies hat das FG zutreffend bejaht. Dem Umstand, dass der Kläger im Jahr 2004 eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits abgelehnt hatte, hat das FG im Hinblick auf den Zeitablauf zu Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

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b) Soweit der Kläger rügt, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, fehlt es an der schlüssigen Rüge eines solchen Verfahrensmangels. Der Kläger hat bereits nicht dargetan, welche zusätzlichen  Aufklärungsmaßnahmen das FG ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt hätte ergreifen sollen.

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c) Auch das erstmalige Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 7. Mai 2010, das FG habe das rechtliche Gehör dadurch verletzt, dass er im Anschluss an die Vernehmung der Steuerberaterin D als Zeugin am 29. November 2009 (gemeint: 26. November 2009) nicht angehört worden sei, führt nicht zur Zulassung der Revision.

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Dabei kann dahinstehen, ob dieses nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist (§ 116 Abs. 3 FGO) erfolgte Vorbringen überhaupt berücksichtigt werden darf. Jedenfalls liegt der gerügte Verfahrensfehler bereits deshalb nicht vor, weil ausweislich der Niederschrift vom 26. November 2009 die mündliche Verhandlung erst zehn Minuten nach der Entlassung der genannten Zeugin geschlossen wurde. Der Kläger hatte mithin Gelegenheit sich zu der Zeugenaussage noch zu äußern.