Entscheidungsdatum: 22.11.2013
1. NV: Eine Entscheidung beruht auf einem Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten, wenn sowohl der Kläger als auch das FA schriftsätzlich ausführen, bei der vorzeitigen Ablösung von Grundstücksfinanzierungsdarlehen seien Vorfälligkeitsentschädigungen angefallen, und das FG in rechtlicher Hinsicht die Auffassung vertritt, die Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung könne als Indiz gegen die Gewerblichkeit eines Grundstücksgeschäfts dienen, die Klage aber mit der Begründung abweist, der Kläger habe nichts zu einer Vorfälligkeitsentschädigung vorgetragen .
2. NV: Wird ein Steuerpflichtiger, der mit anderen Objekten bereits einen gewerblichen Grundstückshandel betreibt, bei Erwerb eines weiteren Objekts in unbedingter oder zumindest bedingter Veräußerungsabsicht tätig, wird dieses Objekt regelmäßig seinem bestehenden Betriebsvermögen zuzuordnen sein .
3. NV: Weil umsatzsteuerrechtlich jeder Vermieter als Unternehmer anzusehen ist, stellt die umsatzsteuerrechtliche Behandlung in Fällen, in denen über die Existenz eines gewerblichen Grundstückshandels gestritten wird, kaum ein tragfähiges Indiz für das Vorliegen von Gewerblichkeit im ertragsteuerrechtlichen Sinne dar .
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Ehegatten, die in den Streitjahren 1996, 1998 und 1999 zur Einkommensteuer zusammenveranlagt wurden. Der Kläger war als Immobilienkaufmann gewerblich tätig sowie alleiniger Gesellschafter und einziger Geschäftsführer einer im Bauträgergeschäft tätigen GmbH.
Mit notariell beurkundetem Vertrag vom September 1993 erwarb der Kläger ein unbebautes Grundstück in X. Bereits im August 1993 hatte er sich gegenüber einer Restaurantkette verpflichtet, eine Teilfläche dieses Grundstücks mit einem zum Betrieb eines Restaurants geeigneten Gebäude zu bebauen und anschließend auf 15 Jahre umsatzsteuerpflichtig zu vermieten. Das Objekt wurde durch ein Bankdarlehen mit zehnjähriger Laufzeit finanziert und 1994 an die Mieterin übergeben.
Mit Vertrag vom Mai 1996 verkaufte der Kläger den vermieteten Grundstücksteil zum Preis von … DM zzgl. Umsatzsteuer und löste das Bankdarlehen vorzeitig ab. Im September 1997 verkaufte er auch die Restfläche zum Preis von … DM.
Der Kläger ordnete die Mieteinnahmen den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu, die er für die Jahre 1995 und 1996 allerdings durch eine "Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG" ermittelte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) vertrat demgegenüber die Auffassung, die vom Kläger hinsichtlich des Grundstücks X entfaltete Tätigkeit sei als gewerblicher Grundstückshandel zu qualifizieren. Er ermittelte aus dem Verkaufsvorgang des Jahres 1996 einen Gewinn von … DM und aus dem Verkaufsvorgang des Jahres 1997 einen Verlust von … DM.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte --ohne hierzu Einzelheiten festzustellen-- aus, der Kläger habe in den Streitjahren bereits mit anderen Objekten einen gewerblichen Grundstückshandel unterhalten, dessen Betriebsvermögen auch das Objekt X zuzuordnen sei. Maßgebend für die Zuordnung zum Betriebsvermögen seien der gesonderte Ausweis der Umsatzsteuer bei der Vermietung und dem Verkauf dieses Grundstücks sowie die Branchennähe des Klägers. Weder der Abschluss eines langfristigen Mietvertrags noch die langfristige Finanzierung seien als Gegenindizien anzusehen. Anders könne dies nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) allenfalls dann zu beurteilen sein, wenn der Kläger eine Vorfälligkeitsentschädigung hätte zahlen müssen. Dazu habe er indes nichts vorgetragen.
Mit ihrer Beschwerde begehren die Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und eines Verfahrensmangels.
Das FA hält die Beschwerde im Ergebnis für unbegründet. Selbst wenn dem FG der gerügte Verfahrensfehler tatsächlich unterlaufen sein sollte, sei die Beschwerde jedenfalls in analoger Anwendung des § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen Ergebnisrichtigkeit zurückzuweisen.
II. Die Beschwerde ist begründet. Es liegt ein von den Klägern geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung des FG beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
1. Der von den Klägern gerügte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) in Gestalt eines Verstoßes gegen den klaren Inhalt der Akten liegt vor.
a) Zum Gesamtergebnis des Verfahrens i.S. des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten und damit eine Verletzung des § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO ist gegeben, wenn das FG seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde gelegt hat, der dem schriftlichen oder protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht, oder wenn es eine nach den Akten klar feststehende Tatsache unberücksichtigt gelassen hat und die angefochtene Entscheidung darauf beruht (Senatsbeschlüsse vom 11. November 2010 X B 159/09, BFH/NV 2011, 610, unter II.2., und vom 19. Januar 2011 X B 127/10, BFH/NV 2011, 632, unter 3., m.w.N.).
b) Dies ist hier der Fall. Die Kläger weisen zutreffend darauf hin, dass sowohl das FA auf Bl. 5 und 9 der in den Akten des FG enthaltenen Einspruchsentscheidung als auch sie selbst auf Bl. 5 ihrer Klagebegründung --substantiiert unter Angabe der Empfänger sowie der Höhe der Beträge-- ausgeführt hatten, aufgrund der vorzeitigen Darlehensrückzahlung seien Vorfälligkeitsentschädigungen angefallen. Dieser Umstand war zwischen den Beteiligten während des gesamten Verfahrens ersichtlich unstreitig. Vor diesem Hintergrund beruht es auf ungenügender Einbeziehung des Akteninhalts in die Entscheidungsfindung, wenn das FG sein klageabweisendes Urteil auch damit begründet, die Kläger hätten nichts zum Entstehen einer Vorfälligkeitsentschädigung vorgetragen.
2. Anders als das FA meint, kommt eine Zurückweisung der Beschwerde in analoger Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO nicht in Betracht.
Zum einen hatte das FG in rechtlicher Hinsicht --unter Bezugnahme auf zwei BFH-Entscheidungen-- die Auffassung vertreten, "allenfalls" das Entstehen einer Vorfälligkeitsentschädigung könne ein Indiz dafür sein, dass der Steuerpflichtige das Objekt der privaten Vermögensverwaltung zugeordnet habe. Daher ist nicht auszuschließen, dass das FG --dem die erforderliche Gesamtwürdigung obliegt-- bei Einbeziehung des gesamten Akteninhalts in seine Entscheidungsfindung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Vor allem aber fehlt es an Feststellungen des FG zum Umfang des von der Vorinstanz entscheidungstragend angenommenen anderweitigen gewerblichen Grundstückshandels. In der Einspruchsentscheidung hatte das FA die Gewerblichkeit der Betätigung des Klägers hinsichtlich des Grundstücks X noch allein damit begründet, dass es sich um ein vom Kläger errichtetes gewerbliches Großobjekt gehandelt habe. Von einem anderweitigen Grundstückshandel des Klägers oder anderen in engem zeitlichen Zusammenhang zu ihrem Erwerb veräußerten Objekten war dort nicht die Rede. Feststellungen dazu, welche Objekte der Kläger --über die beiden Teilflächen des Grundstücks X hinaus-- zu welchen Zeitpunkten erworben und veräußert haben könnte, fehlen im angefochtenen Urteil.
3. Der Senat hält es für angezeigt, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat --ohne die rechtliche Bindungswirkung des § 126 Abs. 5 FGO-- auf die folgenden Gesichtspunkte hin:
a) Zutreffend legen die Kläger dar, dass die umsatzsteuerrechtliche Behandlung in Fällen, in denen über die Existenz eines gewerblichen Grundstückshandels gestritten wird, kaum ein tragfähiges Indiz für das Vorliegen einer Gewerblichkeit im ertragsteuerrechtlichen Sinne darstellen wird. Das FG hat übersehen, dass umsatzsteuerrechtlich jeder Vermieter zugleich Unternehmer i.S. des § 2 des Umsatzsteuergesetzes ist, da er eine nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen ausübt. Ob das Vermietungsobjekt ertragsteuerrechtlich zum Betriebs- oder Privatvermögen des Vermieters gehört, ist für die umsatzsteuerrechtliche Beurteilung ohne Belang. Daher können auch umgekehrt aus der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung keine Rückschlüsse auf das Vorliegen von Gewerblichkeit im einkommensteuerrechtlichen Sinne gezogen werden.
b) Unzutreffend ist demgegenüber der Hinweis der Kläger, das FG habe seine Würdigung auf die Branchennähe des Klägers gestützt. Es hat diesen Begriff zwar tatsächlich verwendet. Entscheidend für die Würdigung des FG war aber nicht die Branchennähe, sondern seine --wenn auch nicht auf tragfähige Feststellungen gestützte-- Auffassung, der Kläger unterhalte mit anderen Objekten ohnehin bereits einen gewerblichen Grundstückshandel, so dass das Grundstück X diesem schon vorhandenen Betriebsvermögen zuzuordnen sei.
Sollte das FG im zweiten Rechtsgang erneut zu der Auffassung kommen, der Kläger sei auch unabhängig vom Grundstück X als Grundstückshändler tätig geworden, ist darauf hinzuweisen, dass in derartigen Fällen Objekte in aller Regel nur dann zum Privatvermögen gehören, wenn sie ohne Veräußerungsabsicht erworben werden (vgl. Senatsurteil vom 22. August 2012 X R 24/11, BFHE 238, 180, BStBl II 2012, 865, unter II.3.b, m.w.N.). Handelt ein bereits als Grundstückshändler tätiger Steuerpflichtiger beim Erwerb eines weiteren Objekts hingegen in unbedingter oder zumindest bedingter Veräußerungsabsicht, wird dieses Objekt regelmäßig seinem Betriebsvermögen zuzuordnen sein.