Entscheidungsdatum: 28.01.2015
1. NV: Bei Widersprüchen zwischen dem Tenor und den Gründen einer Gerichtsentscheidung ist grundsätzlich allein der (positive) Entscheidungsausspruch (Tenor) maßgebend für die Reichweite der Entscheidung. Nur dort, wo aus dem Tenor der Entscheidungsumfang nicht zu ersehen ist oder über seinen Inhalt Zweifel möglich sind, dürfen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend zur Auslegung der Entscheidungsformel herangezogen werden.
2. NV: Die Verwirklichung des Tatbestands der Betriebsaufgabe setzt --abgesehen von den in § 16 Abs. 3b EStG geregelten Fällen-- grundsätzlich nicht zwingend eine Aufgabeerklärung voraus.
3. NV: Eine Revisionszulassung wegen Divergenz setzt voraus, dass die herangezogenen Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der vermeintlichen Divergenzentscheidung tragend waren.
Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 8. Juli 2014 9 K 2384/10 E wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen eines Schuldners (S), der gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb von Spielhallen erzielte. Im Jahr 2004 schloss S die Spielhallen und gab die Erlaubnisurkunden zurück. Am 17. März 2005 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des S eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) zur Umsatzsteuerfreiheit der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten beantragte der Kläger am 9. November 2005 den Erlass geänderter Umsatzsteuerbescheide. Am 30. Januar 2006 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1999 bis 2002 entsprechend herab. Aus den Bescheiden ergaben sich Erstattungsansprüche von insgesamt 222.131,52 €.
Am 13. Juli 2006 erließ ein anderes Finanzamt (FA X) einen Abrechnungsbescheid gegen den Kläger, in dem es die genannten Erstattungsansprüche gegen Steuerforderungen in Höhe von 160.371,40 € aufrechnete, die es zur Insolvenztabelle angemeldet hatte. Es verblieb ein Betrag von 61.760,12 €, der an den Kläger ausgezahlt wurde. Der Abrechnungsbescheid ist noch nicht bestandskräftig; seine Rechtmäßigkeit ist Gegenstand des beim VII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) anhängigen Revisionsverfahrens VII R 29/14.
Einkommensteuerrechtlich erfasste das FA den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch in dem im vorliegenden Verfahren angefochtenen, gegen den Kläger ergangenen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2006 vom 20. November 2009 als nachträgliche Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 222.131 €.
Nach erfolglosem Einspruch machte der Kläger im Klageverfahren geltend, die Einkommensteuerschulden seien keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich Insolvenzverbindlichkeiten. Sie seien nach Bilanzierungsgrundsätzen bereits in dem Rumpfwirtschaftsjahr anzusetzen, das mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geendet habe und in dem die EuGH-Entscheidung bekanntgegeben worden sei. Auch fehle es an einer Betriebsaufgabe. Hilfsweise seien Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur in Höhe des tatsächlich zur Insolvenzmasse gelangten Betrages von 61.760 € anzusetzen. Im Übrigen fehle es wegen der noch nicht eingetretenen Bestandskraft des Abrechnungsbescheids an einem Zufluss.
Das Finanzgericht (FG) erließ ein Zwischenurteil mit dem folgenden Tenor: "Die Umsatzsteuererstattungen auf Grund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 17.02.2005 zu den Aktenzeichen Rs. C-453/02 und C-462/02 sind nach der Betriebsaufgabe im Jahre 2004 als nachträgliche Einkünfte in sinngemäßer Anwendung des § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz unter Berücksichtigung des Zu- und Abflussprinzips zu ermitteln." In den Entscheidungsgründen finden sich --über die Begründung des Entscheidungstenors hinaus-- auch Ausführungen dazu, dass die Einkommensteuer 2006 einen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steueranspruch darstelle, der als Masseverbindlichkeit gegen den Kläger habe festgesetzt werden dürfen.
Der Kläger begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und wegen eines Verfahrensmangels.
Das FA tritt der Beschwerde entgegen.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Keiner der vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe ist tatsächlich gegeben.
1. Als Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) rügt der Kläger, das Zwischenurteil sei wegen fehlender Eindeutigkeit seines Tenors wirkungslos. Im Tenor habe das FG nur zur Frage der Betriebsaufgabe und der Gewinnermittlungsart entschieden. Soweit in den Entscheidungsgründen das Vorliegen einer Masseverbindlichkeit bejaht worden sei, sei etwas begründet worden, über das im Tenor nicht entschieden worden sei. Damit sei die Bindungs- und Rechtskraftwirkung des Zwischenurteils unklar.
Der gerügte Verfahrensmangel ist nicht gegeben, weil der Urteilstenor --dessen Inhalt der Kläger zutreffend dargestellt hat-- für sich genommen eindeutig ist und damit zugleich die Reichweite der Entscheidung umgrenzt.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung (grundlegend BFH-Urteil vom 17. November 1992 VIII R 35/91, BFH/NV 1993, 316, unter 1.b aa, m.w.N.) ist grundsätzlich allein der (positive) Urteilsausspruch maßgebend für die Reichweite eines Urteils. Nur dort, wo aus ihm der Entscheidungsumfang nicht zu ersehen ist --wie beispielsweise bei klageabweisenden Urteilen-- oder wo über seinen Inhalt Zweifel möglich sind, dürfen Tatbestand und Entscheidungsgründe ergänzend zur Auslegung der Urteilsformel herangezogen werden.
Vorliegend lässt der Tenor des Zwischenurteils den Entscheidungsumfang positiv erkennen. Bei isolierter Betrachtung des Tenors bestehen auch keine Zweifel über dessen Inhalt. Damit ergibt sich die Reichweite der vorinstanzlichen Entscheidung allein aus dem Urteilstenor. Das FG hat daher ausschließlich über die Verwirklichung einer Betriebsaufgabe im Jahr 2004 sowie über die in der Folgezeit anzuwendende Gewinnermittlungsart entschieden. Die darüber hinausgehenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen sind für das angefochtene Urteil nicht tragend.
2. Vor diesem Hintergrund kann auch die Divergenzrüge (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) des Klägers nicht durchgreifen.
Eine Revisionszulassung wegen Divergenz setzt voraus, dass die herangezogenen Rechtssätze sowohl im angefochtenen Urteil als auch in der vermeintlichen Divergenzentscheidung tragend waren (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2011 X B 34/10, BFH/NV 2011, 813, unter 2.b, m.w.N.). Daran fehlt es vorliegend, weil die Rechtssätze, die der Kläger der vorinstanzlichen Entscheidung --zutreffend-- entnommen hat, sich ausschließlich auf die Ausführungen des FG zur Einordnung der Einkommensteuerschuld als Masseverbindlichkeit beziehen. Dieser Teil der Entscheidungsgründe hat aber keinen Einfluss auf den Tenor des Zwischenurteils gehabt.
3. Aus denselben Gründen kann die Revision auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage zur Unterscheidung zwischen Masse- und Insolvenzverbindlichkeiten zugelassen werden. Auch diese Frage betrifft ausschließlich den nicht tragenden Teil der Entscheidungsgründe. Sie wäre daher in einem künftigen Revisionsverfahren im Streitfall nicht klärungsfähig (vgl. zur Voraussetzung der Klärungsfähigkeit Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 X B 84/12, BFH/NV 2013, 771, unter II.1.a, m.w.N.).
4. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Hinblick auf die --entscheidungstragenden-- Ausführungen des FG zur Betriebsaufgabe hat der Kläger nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt.
Formgerechte Darlegungen setzen in einem solchen Fall voraus, dass die Beschwerdebegründung konkrete Rechtsfragen bezeichnet und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärungsfähigkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht (BFH-Beschluss vom 18. November 2010 VII B 12/10, BFH/NV 2011, 406, unter II.1., m.w.N.).
Vorliegend fehlt es bereits an der Formulierung einer konkreten Rechtsfrage. Der Kläger beschränkt sich vielmehr darauf, die materiell-rechtliche Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung in Frage zu stellen, was im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich nicht ausreichend ist (BFH-Beschlüsse vom 11. Februar 2003 VIII B 159/02, BFH/NV 2003, 1062, und vom 26. November 2003 X B 124/02, BFH/NV 2004, 754, unter II.1.).
Auch fehlt es an Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit. Der Kläger vertritt zwar sinngemäß die Auffassung, eine Betriebsaufgabeerklärung sei in allen Fällen der Betriebsaufgabe zwingend erforderlich. Er setzt sich aber nicht damit auseinander, dass dies von der Rechtsprechung und der herrschenden Literaturauffassung --mit Ausnahme der heute in § 16 Abs. 3b des Einkommensteuergesetzes geregelten Fälle, die vorliegend aber nicht einschlägig sind-- anders gesehen wird (vgl. Schmidt/Wacker, EStG, 33. Aufl., § 16 Rz 188; Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 16 EStG Rz 537, beide mit zahlreichen Nachweisen auf die BFH-Rechtsprechung).
Schließlich ist auch die Klärungsfähigkeit in einem künftigen Revisionsverfahren nicht dargelegt. Der Kläger vertritt sinngemäß wohl die Auffassung, S habe die Spielhallen ohne wesentliche Betriebsgrundlagen geführt. Er setzt sich aber nicht mit der --sehr naheliegenden-- Frage auseinander, ob die Konzessionen, deren Rückgabe durch S vom FG ausdrücklich festgestellt worden ist, als wesentliche Betriebsgrundlage angesehen werden können.
5. Für das nach der nunmehr eingetretenen Rechtskraft des Zwischenurteils vom FG fortzusetzende Verfahren zur Vorbereitung des Endurteils weist der Senat auf die folgenden Gesichtspunkte hin:
a) Objektiv dürfte eine Divergenz der Ausführungen im nichttragenden Teil der Entscheidungsgründe des vorinstanzlichen Urteils zum Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 11. September 2013 2 K 2120/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 1404) sowie eine grundsätzliche Bedeutung der dort getroffenen Aussagen wohl gegeben sein. Sollte das FG daher im Endurteil oder einem weiteren Zwischenurteil entsprechende Ausführungen wiederholen, wird es die Zulassung der Revision nochmals zu prüfen haben, zumal zu den aufgeworfenen Rechtsfragen beim BFH bereits die Revisionsverfahren X R 12/12, X R 25/14 und IX R 23/14 anhängig sind.
b) Nach Ergehen des angefochtenen Zwischenurteils hat das FG das Klageverfahren bis zum Ergehen einer Entscheidung im Revisionsverfahren über den Abrechnungsbescheid gemäß § 74 FGO ausgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, nach dem Zwischenurteil hänge die Entscheidung des Rechtsstreits u.a. davon ab, ob der Abrechnungsbescheid Bestand habe.
Der Senat weist darauf hin, dass sich dem Zwischenurteil eine solche Aussage jedenfalls ausdrücklich nicht entnehmen lässt.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
7. Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO ab.