Entscheidungsdatum: 26.05.2011
1. NV: Hat das Gericht im Urteil Ausführungen zu Tatsachen gemacht, die nicht von den Beteiligten eingeführt worden sind und zu denen sich ein Beteiligter nicht äußern konnte, liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gleichwohl nicht vor, wenn es sich um Tatsachen handelt, auf die es nach der maßgeblichen materiellrechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts für die Entscheidung nicht ankam .
2. NV: § 152 AO ist nicht deshalb verfassungswidrig, weil sich die Höhe des Verspätungszuschlags nach der insgesamt zu entrichtenden Steuer und nicht nach der Steuer bemisst, die auf die Einkünfte entfällt, welche die Erklärungspflicht ausgelöst haben .
3. NV: Eine rechtliche Verpflichtung der Finanzämter, vor der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen oder der Festsetzung von Verspätungszuschlägen in jedem Einzelfall an die Abgabe der Steuererklärung zu erinnern, besteht nicht .
Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 i.V.m. Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) liegt nicht vor.
a) Im Ausgangspunkt zutreffend weist der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) darauf hin, dass das Finanzgericht (FG) im Urteil Ausführungen zu Tatsachen gemacht hat, die nicht von den Beteiligten in den Prozess eingeführt worden sind und zu denen das Gericht auch keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. So hat das Gericht u.a. ausgeführt, der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) sei zum Zeitpunkt der Schätzung mit den Veranlagungsarbeiten für das jeweilige Jahr bereits soweit vorangeschritten gewesen, dass er die Steuererklärungen des Klägers habe bearbeiten wollen. Da ihm die Erklärungen des Klägers zu diesem Zeitpunkt aber nicht vorgelegen hätten, sei er zur Schätzung gezwungen gewesen. Der Kläger habe deshalb durch sein Verhalten den ordnungsgemäßen Verwaltungsablauf tatsächlich gestört und erheblichen Mehraufwand verursacht.
b) Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nur vor, wenn es um entscheidungserhebliche Umstände geht, also um solche, die einen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens haben können (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 12. März 2004 VII B 239/02, BFH/NV 2004, 1114). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die fraglichen Ausführungen des FG enthalten lediglich die Aussage, das FA habe den Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Schätzungsbescheide eigentlich veranlagen wollen. Zu dem genauen Stand der Veranlagungsarbeiten bei dem beklagten FA hat das FG keine Aussage getroffen. Zwar hat das FG sodann weiter geschlossen, der Kläger habe durch die Nichtabgabe der Erklärung den Verwaltungsablauf tatsächlich gestört und einen erheblichen Mehraufwand ausgelöst. Auf diese Umstände kam es jedoch nach der insoweit allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 79, m.w.N.) ebenso wenig an wie auf die Frage, ob das FA den Kläger im Zeitpunkt der Schätzung veranlagen wollte. Eine konkrete Störung der Verwaltungsabläufe ist weder Tatbestandsvoraussetzung für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags noch gehört sie zu den nach § 152 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigenden Umständen. Das FG hat insofern ersichtlich nicht beabsichtigt, über die gesetzlichen Voraussetzungen und die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze hinaus engere Voraussetzungen für die Festsetzung von Verspätungszuschlägen aufzustellen.
2. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
a) Soweit der Kläger § 152 AO deshalb für verfassungswidrig hält, weil sich die Höhe des Verspätungszuschlags nach der insgesamt zu entrichtenden Steuer und nicht nach der Steuer bemisst, die auf die Einkünfte entfällt, welche die Erklärungspflicht auslösen (vgl. § 46 Abs. 2 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes), lässt er unberücksichtigt, dass es sich dabei nur um die gesetzliche Höchstgrenze handelt, die nicht überschritten werden darf (§ 152 Abs. 2 Satz 1 AO). Im Übrigen ist bei der Bemessung der konkreten Höhe des Verspätungszuschlags im Einzelfall auch "die Höhe des sich aus der Steuerfestsetzung ergebenden Zahlungsanspruchs" zu berücksichtigen. Für die Entscheidung über die Höhe des Verspätungszuschlags ist danach --wie vom Kläger gefordert-- die Höhe der Abschlusszahlung neben anderen Merkmalen wie der Dauer der Fristüberschreitung oder des Verschuldens die Richtschnur für die Bestimmung des Zuschlags innerhalb des durch die festgesetzte Steuer gebildeten Rahmens (vgl. BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 V R 169/83, BFHE 155, 46, BStBl II 1989, 231; vom 15. März 2007 VI R 29/05, BFH/NV 2007, 1076). Die Höhe der Abschlusszahlung korrespondiert im Regelfall mit der Höhe der Einkünfte, welche die Erklärungspflicht ausgelöst haben. Sowohl der BFH als auch das Bundesverfassungsgericht sind vor diesem Hintergrund in der Vergangenheit davon ausgegangen, dass § 152 AO verfassungsrechtlich unbedenklich ist (so auch Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 152 AO Rz 2, m.w.N.). Dass eine gesetzliche Regelung mit anderem Inhalt dem Anliegen des Klägers mehr entspräche, macht die bestehende Rechtslage nicht verfassungswidrig.
b) Soweit der Kläger die gesetzlich bestimmte Frist für die Abgabe der Einkommensteuererklärung (§ 149 Abs. 2 Satz 1 AO) angesichts zunehmender Komplexität des Steuerrechts sowie im Hinblick auf seines Erachtens bestehende neue technische Möglichkeiten der Ablaufsteuerung in den Finanzämtern zumindest für nicht buchführungspflichtige Steuerpflichtige für unverhältnismäßig hält, könnte diese Frage im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht geklärt werden, weil bei der Prüfung, ob § 152 AO im Hinblick auf das Merkmal "nicht fristgemäß" richtig angewandt worden ist, von der bestehenden Rechtslage ausgegangen werden muss. Im Übrigen hat der Kläger auch nicht mitgeteilt, welche Frist er für angemessen hielte und dass er diese Frist eingehalten hat. Eine flexible Lösung, wie sie dem Kläger vorschwebt, die ohne gesetzliche Fristen auskommt, kann dem geltenden Recht nicht entnommen werden.
c) Soweit der Kläger meint, die Finanzämter seien aus verfassungsrechtlichen Gründen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Verbindung mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß Art. 114 Abs. 2 GG) verpflichtet, vor der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen oder der Festsetzung von Verspätungszuschlägen in jedem Einzelfall an die Abgabe der Steuererklärung zu erinnern, fehlt auch dafür eine gesetzliche Grundlage. Ein solches zusätzliches Erfordernis kann auch nicht aus der Finanzverfassung abgeleitet werden. Ob die zwangsweise Erinnerung unter Fristsetzung, wie der Kläger meint, tatsächlich insgesamt zu einer kosteneffizienteren Erledigung von Verwaltungsaufgaben beitragen könnte, kann deshalb dahingestellt bleiben.