Entscheidungsdatum: 21.11.2012
NV: Nach einer langwierigen und für den sich selbst vertretenden Kläger nicht vorhersehbaren Kieferoperation kann die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung geboten sein .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs, weil er krankheitsbedingt gehindert gewesen sei, an der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) teilzunehmen. Das FG habe seinem Verlegungsantrag zu Unrecht nicht entsprochen.
Nachdem die Beteiligten in einem Erörterungstermin vor der Berichterstatterin eine Teileinigung erzielt hatten, hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nach Änderung der Einkommensteuerbescheide den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Kläger hat mitgeteilt, dass er den Rechtsstreit wegen der ungeklärten Fragen fortsetzen wolle.
Das FG hat sodann Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt auf den 24. August 2011, 14:00 Uhr, das persönliche Erscheinen des Klägers angeordnet und den Kläger ordnungsgemäß geladen. Zwei Tage vor der mündlichen Verhandlung hat der Kläger, der sich vor dem FG selbst vertrat, die Aufhebung des Termins beantragt. Er sei "unvorhergesehen und plötzlich operiert" worden und könne bis auf Weiteres keine Termine wahrnehmen. Mit Verfügung vom selben Tag hat der Vorsitzende den Kläger schriftlich aufgefordert, den Verlegungsgrund umgehend glaubhaft zu machen.
Am Tag der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte als Krankheitsvertreter eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Kläger übersandt. Danach war der Kläger in der Zeit vom 22. bis zum 27. August 2011 arbeitsunfähig. Als Diagnose ergibt sich aus der Bescheinigung "Status nach langwieriger Operation". Der Prozessbevollmächtigte hat die Angaben in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ergänzt und mitgeteilt, der Kläger habe wegen erheblicher Kieferprobleme kurzfristig operiert werden müssen. Das Schreiben ging per Fax am 24. August 2011 um 12:37 Uhr bei dem FG ein.
Gleichwohl hat das FG in Abwesenheit des Klägers verhandelt und die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es u.a. aus, die Angaben des Klägers hätten nicht ausgereicht, um dem Gericht eine eigene Einschätzung zu ermöglichen, ob der Kläger reise- und verhandlungsunfähig gewesen sei. Deshalb habe seinem Verlegungsantrag nicht entsprochen werden können.
Mit der dagegen gerichteten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger die Verletzung rechtlichen Gehörs.
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig. Entgegen der Auffassung des FA erfordert die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs keine Darlegungen zu der Frage, ob das Urteil auf dem Verfahrensmangel beruhen kann, wenn --wie hier-- behauptet wird, dass ein Vertagungsantrag rechtswidrig abgelehnt worden sei. Vielmehr ist das Urteil in diesen Fällen, wenn der Verfahrensmangel vorliegt, stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--; vgl. nur Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 11 a.E., m.w.N.). Deshalb bedarf es auch keiner Darlegungen zum Beruhen.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das FG hat den Verlegungsantrag des Klägers zu Unrecht abgelehnt und dadurch das rechtliche Gehör des Klägers verletzt.
a) Nach § 227 Abs. 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO ist ein FG grundsätzlich verpflichtet, einen anberaumten Verhandlungstermin zu verlegen, wenn hierfür erhebliche Gründe vorliegen.
aa) Ein solcher Grund kann u.a. darin liegen, dass der sich selbst vertretende Beteiligte oder sein Prozessbevollmächtigter unerwartet erkrankt (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. November 2001 V B 224/00, BFH/NV 2002, 520, 521, m.w.N.). Nicht jegliche Erkrankung ist allerdings ein ausreichender Grund für eine Terminsverlegung; eine solche ist vielmehr nur dann geboten, wenn die Erkrankung so schwer ist, dass von dem Beteiligten oder seinem Bevollmächtigten die Wahrnehmung des Termins nicht erwartet werden kann (BFH-Beschluss vom 17. April 2002 IX B 151/00, BFH/NV 2002, 1047, m.w.N.).
bb) Ob im Einzelfall eine Verlegung des Termins geboten ist, muss das FG anhand der ihm bekannten Umstände beurteilen. Dazu muss es in der Lage sein, sich über das Vorliegen eines Verlegungsgrundes ein eigenes Urteil zu bilden. Die Voraussetzungen hierfür zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (BFH-Beschluss vom 28. August 2002 V B 71/01, BFH/NV 2003, 178, m.w.N.); das gilt jedenfalls dann, wenn der Antrag erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Deshalb muss, wenn in dieser Situation der Antrag auf Terminsverlegung mit einer plötzlichen Erkrankung begründet wird, der Antragsteller dem Gericht regelmäßig nähere Angaben zu Art und Schwere der Krankheit machen. Bei Vorlage eines ärztlichen Attestes muss dieses entweder die Verhandlungsunfähigkeit bescheinigen oder eine so genaue Schilderung enthalten, dass das FG selbst beurteilen kann, ob die Erkrankung ein Erscheinen zum Termin unzumutbar macht (BFH-Beschluss vom 23. Oktober 2002 III B 167/01, BFH/NV 2003, 80). Allein die Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit reicht hierfür nicht aus (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 80).
b) Diese Voraussetzungen sind im Streitfall --entgegen der Auffassung des FG-- erfüllt.
aa) Zwar ergibt sich aus der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht konkret genug, dass der Kläger auch reise- und verhandlungsunfähig erkrankt war. Es bestanden allerdings auch keine Hinweise, dass es sich um ein Gefälligkeitsattest handeln könnte. Bei der gebotenen Gesamtschau der vom Kläger mit dem Verlegungsantrag und dem Schreiben seines Krankheitsvertreters dem FG unterbreiteten Informationen lag es vielmehr auf der Hand und war auch für das Gericht ersichtlich, dass der Kläger nach einer langwierigen Operation am Kiefer, die er nicht vorhersehen konnte, nicht in der Lage sein würde, aktiv an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. An die gegenteilige Würdigung des FG ist der BFH nicht gebunden, weil sie die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Verlegungsgrundes weit überspannt. Die an sich gebotene Beschleunigung des Verfahrens geht nicht soweit, dass sich gesundheitlich schwer beeinträchtigte Beteiligte dem Gericht stellen müssen. Dies wäre auch unvereinbar mit der arbeitsrechtlichen Verpflichtung zur Schonung und Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit.
bb) Angesichts der Eindeutigkeit des Erkrankungsbildes, das im Streitfall eine antragsgemäße Verlegung des Termins ohne Weiteres gebot, bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob das FG den Termin schon deshalb --und zwar von Amts wegen-- hätte verlegen müssen, weil es mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers selbst zum Ausdruck gebracht hatte, dass es eine mündliche Verhandlung ohne den Kläger zur Herbeiführung der Entscheidungsreife als nicht ausreichend erachtete. Das FG hätte sodann allenfalls erwägen können, gegen den Kläger wegen unentschuldigten Fernbleibens ein Ordnungsgeld festzusetzen.