Entscheidungsdatum: 05.12.2018
1. NV: Die Wiederholung eines bereits durch das FG abgelehnten Antrags auf Aussetzung der Vollziehung ist nur unter den Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig .
2. NV: Wird ein (erster) Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO als unzulässig abgelehnt, so ist die nachträgliche Ablehnung der Aussetzung der Vollziehung durch das FA ein veränderter Umstand gemäß § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO .
1. Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Finanzgerichts Düsseldorf vom 29. August 2018 12 V 2258/18 A (E) aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückverwiesen.
2. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens wird dem Finanzgericht übertragen.
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) streiten in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit von Einkommensteueränderungsbescheiden für die Jahre 2004 bis 2010 vom 3. März 2017, die nach einer Steuerfahndungsprüfung ergangen sind. Die Antragsteller wenden insbesondere ein, die Bescheide hätten infolge Festsetzungsverjährung nicht mehr ergehen dürfen, weil keine Steuerhinterziehung vorgelegen habe. Zudem sei die Höhe der Kapitalerträge unzutreffend vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA---) ermittelt worden.
Das FA hatte die Vollziehung der Einkommensteueränderungsbescheide vom 3. März 2017 zunächst mit Verfügung vom 25. April 2017 antragsgemäß bis einen Monat nach Bekanntgabe der Entscheidung über den Einspruch der Antragsteller ausgesetzt. Nachdem das FA den Einspruch der Antragsteller mit Einspruchsentscheidung vom 30. Mai 2018 (datiert auf 30. Juni 2018) als unbegründet zurückgewiesen hatte, beantragten die Antragsteller am 19. Juni 2018 die Aussetzung der Vollziehung (AdV) beim Finanzgericht --FG-- (12 V 1689/18 A (E)). Über die am 28. Juni 2018 erhobene Klage (12 K 1756/18 E) hat das FG noch nicht entschieden.
In dem Verfahren 12 V 1689/18 A (E) wies das FG die Antragsteller darauf hin, dass ihr Antrag auf AdV mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig sei und regte an, den Antrag zurückzunehmen. Da keine Rücknahmeerklärung der Antragsteller beim FG einging, wies es den Antrag mit Beschluss vom 23. Juli 2018 ab.
Nachfolgend beantragten die Antragsteller die AdV beim FA. Diesen Antrag lehnte das FA am 10. August 2018 ab. Hierauf wandten sich die Antragsteller erneut an das FG. Zur Begründung ihres neuerlichen Aussetzungsantrages verwiesen sie auf die zwischenzeitlich erfolgte Antragsablehnung durch das FA sowie ihr Vorbringen im Hauptsacheverfahren (12 K 1756/18 E).
Das FG wies den neuerlichen Aussetzungsantrag mit Beschluss vom 29. August 2018 als unzulässig ab. Zwar seien die Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO erfüllt. Da der Senat aber bereits über einen Aussetzungsantrag der Antragsteller entschieden habe, sei ein erneuter Antrag nur nach Maßgabe des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zulässig. Dessen Voraussetzungen lägen nicht vor, weil die Antragsteller zur Begründung ihres neuerlichen Antrages auf die Begründung ihres ursprünglichen, vom Gericht bereits beschiedenen Antrags verwiesen hätten. Eine Änderung des Beschlusses vom 23. Juli 2018 gemäß § 69 Abs. 6 Satz 1 FGO lehnte das FG ebenfalls ab, da eine solche dem Sinn und Zweck des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO zuwiderliefe.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.
Sie beantragen sinngemäß,
den Beschluss des FG vom 29. August 2018 aufzuheben und die Vollziehung der Einkommensteueränderungsbescheide 2004 bis 2010 vom 3. März 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ab Fälligkeit in Höhe von 82.895,80 € auszusetzen.
Das FA beantragt,
die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die gemäß § 128 Abs. 3 FGO zulässige Beschwerde der Antragsteller ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung an das FG.
1. Das FG hat den Aussetzungsantrag der Antragsteller zu Unrecht als unzulässig abgelehnt. Zwar hat es zutreffend erkannt, dass § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO auch im Streitfall anwendbar ist. Es hat aber rechtsfehlerhaft angenommen, dass dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.
a) Das Gericht der Hauptsache kann einen einmal ergangenen Beschluss jederzeit ändern oder aufheben (§ 69 Abs. 6 Satz 1 FGO). Die Beteiligten können die Aufhebung oder Änderung jedoch nur wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen (§ 69 Abs. 6 Satz 2 FGO).
aa) § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO erfasst nicht nur diejenigen Fälle, in denen formal die Aufhebung oder Änderung einer ergangenen Entscheidung begehrt wird, sondern greift auch dann ein, wenn zunächst über einen Aussetzungsantrag entschieden worden ist und nunmehr ein Beteiligter erneut einen solchen Antrag stellt. Demgemäß ist die Zulässigkeit eines solchen Folgeantrags ebenfalls an die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gebunden (z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8. März 2013 III S 2/12, BFH/NV 2013, 960; vom 18. September 1996 I B 39/96, BFH/NV 1997, 247, m.w.N.).
bb) Umstände i.S. des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO können Vorgänge tatsächlicher und rechtlicher Art sein (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 247). Sie liegen vor, wenn entweder nachträglich eingetretene oder bekannt gewordene Gegebenheiten den Fall in tatsächlicher Hinsicht in einem neuen Licht erscheinen lassen oder wenn eine Gesetzesänderung oder eine zwischenzeitlich ergangene gerichtliche Entscheidung zu einer veränderten Beurteilung der maßgeblichen Rechtslage führen kann (z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 960, m.w.N.). Erfasst sind nicht nur solche Umstände, die die materielle Begründetheit eines Antrags auf AdV berühren. Auch Vorgänge tatsächlicher oder rechtlicher Art, die die Zulässigkeit eines Antrags beeinflussen können, sind Umstände i.S. des Gesetzes (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 247). Demgegenüber erfüllen --bei unveränderter tatsächlicher und rechtlicher Ausgangslage-- neue rechtliche Überlegungen des Antragstellers ebenso wie die bloße Wiederholung der bisherigen Argumentation den Tatbestand des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO nicht (BFH-Beschluss in BFH/NV 2013, 960, m.w.N.).
cc) Somit ist es einem Antragsteller, dessen ursprünglicher Aussetzungsantrag mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen gemäß § 69 Abs. 4 Satz 1 FGO als unzulässig abgelehnt wurde, nicht verwehrt, nach einer nachträglichen Ablehnung der AdV durch die Finanzbehörde einen neuen Antrag zu stellen bzw. eine Änderung des ablehnenden Beschlusses aufgrund "veränderter Umstände" zu beantragen (BFH-Beschluss in BFH/NV 1997, 247; vgl. auch im Ausgangspunkt FG Hamburg, Beschluss vom 11. Januar 2006 I 250/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 513; FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 31. Juli 2018 10 V 10006/18, juris).
Diesem --vom Wortlaut des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO gedeckten-- Verständnis steht nicht entgegen, dass die Begrenzung der Antragsmöglichkeiten in § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO der Entlastung der Gerichte dienen und verhindern soll, dass sich das Gericht wiederholt mit demselben Aussetzungsbegehren befassen muss (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. Januar 2007 VIII S 31/06, BFH/NV 2007, 952; vom 24. August 2004 VIII S 1/04, juris; BFH-Beschluss vom 13. Mai 2008 VI S 7/08, BFH/NV 2008, 1352). Denn eine solche wiederholte Befassung liegt nicht vor. Weist das FG den ersten Aussetzungsantrag mangels Vorliegen der Zugangsvoraussetzungen des § 69 Abs. 4 FGO als unzulässig ab, ist es ihm verwehrt, die Frage ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bzw. der unbilligen Härte der Vollziehung (vgl. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO) zu prüfen. Mit dem Inhalt des Aussetzungsbegehrens kann sich das FG erstmals --nachdem die Zugangsvoraussetzungen vorliegen-- im Rahmen eines neuerlichen Aussetzungsverfahrens befassen.
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze war der (neuerliche) Aussetzungsantrag der Antragsteller zulässig, denn die Voraussetzungen des § 69 Abs. 6 Satz 2 FGO sind erfüllt. Mit der Ablehnung des außergerichtlichen Aussetzungsantrages am 10. August 2018 durch das FA liegt ein veränderter Umstand vor, der nachträglich, d.h. nach dem ersten Beschluss des FG über die AdV vom 23. Juli 2018 eingetreten ist. Der auf einer anderen Rechtsauffassung beruhende Beschluss des FG war daher aufzuheben.
2. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Aussetzungsantrag, sondern verweist die Sache an das FG zurück. Eine Zurückverweisung ist grundsätzlich auch im Beschwerdeverfahren betreffend die AdV zulässig (z.B. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2008 VIII B 176/07, BFHE 222, 36, BStBl II 2009, 117; BFH-Beschlüsse vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622; vom 6. November 2008 IV B 126/07, BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156, m.w.N.). Eine Zurückverweisung an das FG erscheint nicht nur wegen der größeren Sachnähe des FG, bei dem die Hauptsache anhängig ist, sachgerecht (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 223, 294, BStBl II 2009, 156), sondern auch deshalb, weil den Beteiligten ansonsten eine Instanz genommen würde (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1994 VII B 155/94, BFHE 175, 525, BStBl II 1995, 131).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.