Entscheidungsdatum: 04.04.2011
1. NV: Die Bezeichnung des Sendungsinhalts auf dem Umschlag ist einer Auslegung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zugänglich; die Bezeichnung "ESt 99" ohne einen die Art des Schriftstücks kennzeichnenden Zusatz kann deshalb ausreichen, um den Einkommensteuerbescheid für 1999 hinreichend eindeutig zu bezeichnen, wenn aufgrund der Umstände mit einem anderen Inhalt der Sendung nicht mehr zu rechnen war und der Empfänger als Steuerberater dies auch erkennen konnte .
2. NV: Werden mehrere Schriftstücke in einer Sendung zugestellt und sind einzelne Schriftstücke nicht oder nicht ausreichend auf dem Umschlag bezeichnet, so hindert dies die Wirksamkeit der Zustellung im Übrigen nicht .
I. Streitig ist, ob die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer 1999 gewahrt ist.
Der Einkommensteuerbescheid für 1999 ist dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) durch Postzustellungsurkunde am 14. Dezember 2005 erstmals bekannt gegeben worden. Die Festsetzungsfrist lief unstreitig am 31. Dezember 2005 ab. Der Kläger trägt vor, den Bescheid erst nach seinem Weihnachtsurlaub im Januar 2006 erhalten zu haben. Die zugestellte Sendung war mit der Steuernummer des Klägers und der Angabe "ESt 99/00" versehen. Tatsächlich enthielt der Umschlag die Einkommensteuerbescheide für 1999 und 2000 sowie Verlustfeststellungsbescheide auf den 31. Dezember 1999 und 2000. Der Kläger rügt insofern die mangelnde Bestimmtheit und die Unvollständigkeit der Bezeichnung. Er hält die förmliche Zustellung deshalb für insgesamt unwirksam.
Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Bezeichnung "ESt 99/00" sei noch hinreichend bestimmt. Aufgrund des Zeitablaufs habe der fachkundige Kläger (Steuerberater) nur noch mit Einkommensteuerbescheiden und nicht mehr mit sonstigen die Einkommensteuer 1999 betreffenden Vorgängen rechnen können. Für ihn sei deshalb eindeutig erkennbar gewesen, dass sich in dem Umschlag u.a. der Einkommensteuerbescheid für 1999 befunden habe. Ob die anderen Bescheide genau genug bezeichnet seien, bedürfe keiner Entscheidung. Die Zustellung sei zumindest insoweit wirksam, als die Bezeichnung auf dem Umschlag eindeutig sei.
Aber selbst wenn die förmliche Zustellung aus Rechtsgründen unwirksam wäre, sei die Festsetzungsfrist gewahrt, da hierfür gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 der Abgabenordnung (AO) ausreiche, wenn der Steuerbescheid vor Fristablauf den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Behörde verlassen hat. Das sei unstreitig der Fall. Etwas anderes ergebe sich nicht aus der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH), wonach der Steuerbescheid dem Adressaten auch zugehen müsse (BFH-Beschluss vom 25. November 2002 GrS 2/01, BFHE 201, 1, BStBl II 2003, 548). Der Bescheid sei dem Kläger unstreitig zugegangen.
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
1. Das FG hat sein Urteil kumulativ auf mehrere Begründungen gestützt, von denen jede für sich das Entscheidungsergebnis trägt, so dass die Revision nur zuzulassen ist, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde für jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund i.S. von § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsgerichtsordnung (FGO) schlüssig dargelegt wird und vorliegt (z.B. BFH-Beschluss vom 20. Juli 2005 XI B 95/03, BFH/NV 2005, 2032, m.w.N).
2. Das trifft im Streitfall nicht zu.
a) Soweit das FG die Wirksamkeit der förmlichen Zustellung des Einkommensteuerbescheids für 1999 bejaht hat, ist eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Die vom Kläger gerügte Abweichung von Entscheidungen des BFH liegt nicht vor (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
aa) Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) in der bis zum 31. Januar 2006 geltenden Fassung war die Sendung u.a. mit einer Geschäftsnummer zu versehen. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH muss die Geschäftsnummer die Identifizierung der zugestellten Sendung ermöglichen. Entgegen der Ansicht des Klägers hat das FG in dem angefochtenen Urteil keinen allgemeinen Satz des Inhalts aufgestellt, dass bei der Bezeichnung des Inhalts der Sendung (neben der Angabe der Steuernummer und der Steuerart sowie des betreffenden Zeitraums) generell auf einen die Art des Schriftstücks kennzeichnenden Zusatz verzichtet werden könne. Es ist deshalb insoweit auch nicht von dem BFH-Urteil vom 18. März 2004 V R 11/02 (BFHE 205, 501, BStBl II 2004, 540) abgewichen.
Das FG ist vielmehr zu Recht davon ausgegangen, dass die Frage der hinreichenden Bestimmtheit im Einzelfall eine Auslegung der Bezeichnung unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts nicht ausschließt. Es hat danach lediglich unter den besonderen Bedingungen des Streitfalls eine weiter gehende Kennzeichnung des Sendungsinhalts für entbehrlich gehalten und ist davon ausgegangen, dass der als Steuerberater niedergelassene Kläger angesichts des bevorstehenden Ablaufs der Festsetzungsfrist aus der Bezeichnung "ESt 99" noch mit hinreichender Sicherheit ersehen konnte, dass die Sendung den Einkommensteuerbescheid für 1999 enthielt. Das FG hat damit eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des Einzelfalls vorgenommen, an die der BFH auch im Rahmen einer Revision gebunden wäre, soweit sie nur möglich erscheint. Das ist hier der Fall. Darüber hinausgehende Bedeutung hat die Frage nicht.
bb) Soweit der Kläger im Übrigen die Unvollständigkeit der Bezeichnung des Sendungsinhalts rügt, liegt ebenfalls keine Divergenz vor. Werden mehrere Schriftstücke in einer Sendung gemeinsam zugestellt und sind einzelne Schriftstücke nicht ausreichend oder gar nicht auf dem Umschlag bezeichnet, so hat dies entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Unwirksamkeit der Zustellung insgesamt zur Folge. Das FG, das von der Wirksamkeit der Zustellung im Übrigen, nämlich hinsichtlich des ausreichend bezeichneten Einkommensteuerbescheids für 1999 ausgegangen ist, ist insofern nicht von der Rechtsprechung des BFH abgewichen. Vielmehr hat der BFH im Urteil vom 10. August 1990 III R 39/88 (BFH/NV 1991, 713) ausdrücklich entschieden, dass Kennzeichnungsfehler bei einzelnen in einer Sendung enthaltenen Schriftstücken die Wirksamkeit der Zustellung im Übrigen nicht hindern (Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 3 VwZG Rz 15 a.E.). Einer erneuten Entscheidung des BFH bedarf es nicht.
b) Da mithin schon hinsichtlich der ersten Begründung des FG die Zulassung der Revision nicht in Betracht kommt, braucht der Senat nicht mehr zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es für die Anwendung von § 169 Abs. 1 Satz 3 AO ausreicht, wenn die förmliche Zustellung zwar aus Rechtsgründen unwirksam ist, der tatsächliche Zugang aber gleichwohl, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, bewirkt wird und ob im Hinblick auf diese Frage eine Zulassung der Revision in Betracht gekommen wäre.