Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 05.04.2011


BFH 05.04.2011 - VIII B 107/10

Verfahrensfragen bei Erledigung einer Aufforderung zur Erklärungsabgabe - Unzulässigkeit der aufrechterhaltenen Anfechtungsklage - Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage im NZB-Verfahren - Überraschungsentscheidung - Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und Rechtsfortbildung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
8. Senat
Entscheidungsdatum:
05.04.2011
Aktenzeichen:
VIII B 107/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Düsseldorf, 10. Juni 2010, Az: 12 K 716/10 AO, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Tritt bei einer Klage gegen die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung die Hauptsachenerledigung ein infolge der Abgabe der Steuererklärung, wird die aufrechterhaltene Anfechtungsklage unzulässig, sofern kein Fortsetzungsfeststellungsantrag gestellt und auch kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse dargetan wird .

2. NV: Ein das rechtliche Gehör verletzendes Überraschungsurteil liegt nicht vor, wenn ein entscheidungserheblicher rechtlicher Gesichtspunkt ("überraschend") Gegenstand der mündlichen Verhandlung war .

3. NV: Es besteht keine Verpflichtung des FG, die Beteiligten auf offenkundige Umstände --wie etwa die eingetretene Hauptsachenerledigung -- hinzuweisen .

4. NV: Ein Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage ist im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht mehr möglich, wenn das die Anfechtungsklage erledigende Ereignis schon während des Klageverfahrens eingetreten ist .

5. NV: Die Revision ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich, wenn eine mögliche Divergenz zu einer Entscheidung des BFH nur einen Teil der Begründung betrifft, der das angefochtene Urteil nicht trägt .

Gründe

1

Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) liegen nicht vor.

2

1. Das angefochtene Urteil leidet an keinem der gerügten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

3

a) Unbegründet ist die Rüge der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), das Finanzgericht (FG) hätte eine Sachentscheidung treffen müssen anstatt durch Prozessurteil zu entscheiden. Zutreffend hat das FG erkannt, dass sich die angefochtene Aufforderung zur Abgabe einer Feststellungserklärung durch die tatsächliche Abgabe der Erklärung inhaltlich erledigt hatte und damit das Rechtsschutzbedürfnis für die Aufhebung der Erklärungsaufforderung weggefallen war. Damit ist die erhobene Anfechtungsklage unzulässig geworden. Nichts anderes gilt für den Fall, dass der angefochtene Verwaltungsakt (Aufforderung) --entsprechend der Auffassung der Klägerin-- nichtig gewesen sein sollte; dann hätte sich der vom nichtigen Verwaltungsakt ausgehende Rechtsschein erledigt, weil wegen der Erklärungsabgabe auch der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) vom Regelungsinhalt der Aufforderung oder von ihrem Rechtsschein keinen Gebrauch mehr machen konnte. Da die Kläger im Klageverfahren keinen Antrag nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO gestellt und ein Fortsetzungsinteresse nicht vorgetragen haben, hatte das FG nur über die erledigte Anfechtungsklage zu befinden, nicht über eine Fortsetzungsfeststellungsklage.

4

Die Rüge der Klägerin, das FG habe im angefochtenen Urteil ihr berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit verkannt, betrifft hypothetische Erwägungen zur Fortsetzungsfeststellungsklage im Rahmen eines nicht entscheidungserheblichen Begründungsteils, auf denen das Urteil nicht beruht und auch nicht i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen kann.

5

b) Das rechtliche Gehör wird im Streitfall nicht durch ein so genanntes Überraschungsurteil verletzt. Vielmehr war die Frage der Zulässigkeit der Klage nach eigenen Angaben der Klägerin ("überraschend") ausdrücklich Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Die fachkundig vertretene Klägerin hatte hinreichend Gelegenheit, hierauf prozessual zu reagieren. Hingegen liegt eine Überraschungsentscheidung und damit ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO dann vor, wenn das Gericht --anders als im Streitfall-- ohne vorherigen Hinweis in seiner Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt abstellt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 119 Rz 16 "Überraschungsentscheidung", m.w.N.), mit anderen Worten: wenn das FG seine Entscheidung auf einen zuvor nicht erörterten Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978, m.w.N.).

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c) Der gerügte Verstoß gegen die Hinweispflicht des Gerichts aus § 76 Abs. 2 FGO liegt schon deshalb nicht vor, weil das FG in der mündlichen Verhandlung auf die Hauptsachenerledigung hingewiesen hat. Zudem war die Erledigung der Aufforderung an die Klägerin, die Feststellungserklärung abzugeben, schon vor der mündlichen Verhandlung bekannt. Dass im Hinblick auf die Erledigung kein Rechtsschutzbedürfnis für die Anfechtung des Verwaltungsakts mehr bestand, war offensichtlich. Auf offenkundige Umstände muss das Gericht nicht hinweisen (ständige Rechtsprechung, s. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. Juli 2006 IX B 48/06, BFH/NV 2006, 2269; vom 7. März 2007 IX B 171/06, BFH/NV 2007, 1176; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 55, m.w.N.). Der fachkundig vertretenen Klägerin musste auch ohne Hinweis des FG die dadurch eingetretene Veränderung der Prozesssituation klar sein, und es lag an ihr zu entscheiden, ob und gegebenenfalls mit welchem Ziel sie die Klage weiter verfolgen würde. Es bestand auch keine Pflicht des FG nach § 76 Abs. 2 FGO, auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag hinzuwirken, da ausgehend von der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des FG ein solcher Antrag unbegründet und eine Hinwirkung hierauf nicht sachdienlich gewesen wäre.

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d) Ebenso wenig kann ein Verfahrensfehler darin gesehen werden, dass das FG den Sachantrag der Klägerin nicht in einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgedeutet hat, da eine derartige Umdeutung des Aufhebungsantrages nur bei einer --im Streitfall nicht erfolgten-- substantiierten Darlegung des Feststellungsinteresses in Betracht käme.

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e) Der von der Klägerin hilfsweise (neben der anscheinend weiterhin begehrten Aufhebung des bereits erledigten Verwaltungsakts) beantragte Übergang zur Fortsetzungsfeststellungsklage im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde kommt nicht in Betracht. Der BFH hat dies in einem Fall für zulässig erachtet, in dem das erledigende Ereignis erst nach Ergehen des FG-Urteils eingetreten ist (vgl. BFH-Beschluss vom 9. August 2001 VII B 34/01, BFH/NV 2001, 1604). Im Streitfall verhält es sich anders.

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2. Die Revision ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO), da die --nachvollziehbar dargelegte-- Divergenz des angefochtenen Urteils zu Entscheidungen des Sächsischen FG wie auch des BFH allein das Fortsetzungsfeststellungsinteresse (im Hinblick auf eine Wiederholungsgefahr und auf die Höhe eines Verspätungszuschlags) betrifft und damit einen nicht entscheidungserheblichen Teil der Urteilsbegründung (s. dazu bereits unter 1.a dieses Beschlusses).

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3. Schließlich ist die Revision auch nicht zur Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  1. Alternative FGO) zuzulassen wegen solcher Fragen, die wiederum nur den nicht tragenden Begründungsteil des angefochtenen Urteils betreffen.