Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 03.06.2015


BFH 03.06.2015 - VII S 11/15

Keine Verpflichtung zu Übersendung von Behördenakten an das FG, um deren Einsicht im Klageverfahren gestritten wird


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
03.06.2015
Aktenzeichen:
VII S 11/15
Dokumenttyp:
Beschluss
Zitierte Gesetze

Leitsätze

1. NV: Bei den dem FG nach § 71 Abs. 2 FGO zu übermittelnden "den Streitfall betreffenden Akten" handelt es sich i.d.R. nur um diejenigen Akten der beklagen Finanzbehörde, welche die Vorgänge des dem finanzgerichtlichen Verfahren unmittelbar vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens einschließlich des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens beinhalten.

2. NV: Das FG ist berechtigt, weitere Behördenakten beizuziehen, soweit eine Sachaufklärung durch diese Akten erwartet werden kann.

3. NV: Die Behörde ist nicht verpflichtet, dem FG Akten oder Aktenteile zu übermitteln, um deren Einsichtnahme durch den Kläger in dem finanzgerichtlichen Verfahren gestritten wird.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Tatbestand

1

I. Aufgrund einer dem Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt --FA--) gegebenen Information über eine dem Kläger und Antragsteller (Kläger) im Zusammenhang mit seiner Handelsvertretertätigkeit geleisteten Zahlung in Höhe von … € erließ das FA einen an den Kläger gerichteten geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008.

2

Der Kläger vermutet, diese dem FA gegebene Information stamme von einer bestimmten Person, und begehrte Einsicht in die Akten des FA, um zu klären, ob seine Vermutung zutrifft. Das FA lehnte den Antrag auf Akteneinsicht ab. Der Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

3

Der Kläger hat daraufhin beim Finanzgericht (FG) Klage mit dem Antrag erhoben, das FA zu verpflichten, ihm vollständige Akteneinsicht zu gewähren, hilfsweise, ihm auszugsweise Akteneinsicht zu gewähren, soweit es sich um die dem FA gegebene Information über die geleistete Zahlung handelt.

4

Zu diesem Klageverfahren hat das FA dem FG verschiedene Akten übersandt, die der Kläger eingesehen hat. Der Aufforderung des FG, weitere Akten zu übersenden, ist das FA nachgekommen, hat jedoch eingeräumt, dass diese Akten nicht diejenigen Unterlagen enthalten, welche zur Kenntnis des FA über die dem Kläger geleistete Zahlung geführt haben.

5

Auf einen entsprechenden Hinweis des FG hat der Kläger "den Antrag auf Entscheidung durch den Bundesfinanzhof gem. § 86 Absatz 3 FGO" gestellt. Das FG hat daraufhin mit Beschluss vom 11. Mai 2015 dem Bundesfinanzhof (BFH) die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die Weigerung des FA, die vollständigen Akten bezüglich der Umsatzsteuer 2008 zur Einsicht vorzulegen, rechtmäßig ist.

Entscheidungsgründe

6

II. Der (sinngemäß) gestellte Antrag des Klägers, gemäß § 86 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) festzustellen, dass die Verweigerung der Vorlage der vollständigen Umsatzsteuerakten 2008 rechtswidrig ist, hat keinen Erfolg.

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Nach § 71 Abs. 2 FGO hat das FA dem FG "die den Streitfall betreffenden Akten" zu übermitteln. Bei diesen handelt es sich im vorliegenden Fall allein um den beim FA angelegten Vorgang "Ablehnung Akteneinsicht", der dem FG übermittelt worden ist und der im Wesentlichen den an das FA gerichteten Antrag des Klägers auf Akteneinsicht, die ablehnende Entscheidung des FA, den hiergegen erhobenen Einspruch des Klägers sowie die Einspruchsentscheidung enthält.

8

Das FG ist zwar im Rahmen der ihm obliegenden Sachverhaltsermittlung (§ 76 Abs. 1 FGO) berechtigt, weitere Behördenakten beizuziehen, und die jeweiligen Behörden sind unter den in § 86 Abs. 1 und 2 FGO genannten Voraussetzungen zu deren Vorlage verpflichtet, allerdings nur, soweit eine Sachaufklärung durch diese Akten erwartet werden kann, was das FG erforderlichenfalls darzulegen hat (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 86 Rz 4). Im Streitfall ist indes weder seitens des FG begründet worden noch sonst erkennbar, weshalb das FG die vom FA zurückgehaltenen Unterlagen für seine Entscheidung benötigt.

9

Nach den Angaben des FA ist der geänderte Umsatzsteuerbescheid 2008 rechtsbeständig, da die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom Kläger nicht angefochten worden ist. Diese (der Aktenlage entsprechenden) Angaben hat der Kläger lediglich pauschal, nicht jedoch substantiiert bestritten. Darüber hinaus ist auch dem Vorbringen des Klägers selbst zu entnehmen, dass er die Einsicht in die vom FA bisher nicht übersandten Unterlagen nicht für seine steuerlichen Belange begehrt. Ob das FA dem Kläger unter diesen Umständen die beantragte Akteneinsicht zu Recht (ermessensfehlerfrei) versagt hat, wird das FG zu entscheiden haben. Die Vorlage der umstrittenen Aktenbestandteile, aus denen sich offenbar der Name des Informanten ergibt, ist für diese Entscheidung nicht erforderlich.

10

Unabhängig von den vorstehenden Erwägungen ist aber das FA jedenfalls nicht zur Übersendung der streitigen Aktenbestandteile verpflichtet, weil damit die dem FG zur Entscheidung vorliegende Hauptsache vorweggenommen würde. Wäre das FA zur Übersendung auch der streitigen Unterlagen an das FG verpflichtet, könnte der Kläger nach § 78 Abs. 1 FGO "die dem Gericht vorgelegten Akten", also auch diese Unterlagen einsehen. Damit hätte sich der Rechtsstreit bereits durch das Zwischenverfahren des § 86 Abs. 3 FGO erledigt. Das entspräche nicht dem Sinn und Zweck der Vorschrift.

11

Die unter den Voraussetzungen des § 86 FGO dem FG vorzulegenden bzw. zu übermittelnden Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte dienen der dem FG nach § 76 Abs. 1 FGO obliegenden Sachverhaltsermittlung, auf deren Grundlage es über die erhobene Klage rechtlich entscheidet. Im Streitfall ist die streitige Offenlegung von Aktenbestandteilen jedoch keine der Klärung des Sachverhalts dienende Voraussetzung, sondern das eigentliche Ziel der Klage.

12

Das Zwischenverfahren des § 86 Abs. 3 FGO ist ein selbständiges Nebenverfahren, so dass eine Kostenentscheidung zu treffen ist (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2009 X S 9/09, BFH/NV 2010, 54). Nach § 135 Abs. 1 FGO hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.