Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 26.01.2012


BFH 26.01.2012 - VII R 77/10

Einfuhrumsatzsteuerfreiheit bei innergemeinschaftlicher Weiterlieferung


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
26.01.2012
Aktenzeichen:
VII R 77/10
Dokumenttyp:
Urteil
Vorinstanz:
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 26. Oktober 2010, Az: 11 K 47/07, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Verwendet nicht der Zollanmelder und Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, sondern ein Dritter die Ware für die Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung und hat er schon im Zeitpunkt der Einfuhr Verfügungsgewalt über die Ware und den Zollanmelder lediglich mit der Einfuhr derselben beauftragt, kann jedenfalls dann § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nicht (entsprechend) angewandt werden, wenn die Einfuhrware nicht zur Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung verwendet worden ist .

Tatbestand

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I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten und Revisionsbeklagten (Hauptzollamt --HZA--), mit dem --neben dem hier nicht streitigen Zoll-- Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von rd. … € nacherhoben worden ist. Der Kläger hatte mittels ATLAS am 2. Mai 2006 eine Zollanmeldung mit dem Verfahrenscode 4200 zur Überführung von Waren in den freien Verkehr unter Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) abgegeben. Er ist dabei durch die X GmbH (im Folgenden: Spedition) vertreten worden. Als Verkäufer der Ware war in der Zollanmeldung eine Firma in den USA (im Folgenden: Verkäufer) und als Käuferin eine Firma in Luxemburg benannt. Der Kläger ist in der Schweiz ansässig und hat bei der Zollanmeldung seine Umsatzsteueridentifikationsnummer (USt-IdNr.) angegeben. Beim Grenzübertritt der Ware wurden darüber hinaus Kopien der auf Englisch abgefassten Rechnungen des Verkäufers vorgelegt, in denen zur Zahlung an eine auf den niederländischen Antillen ansässige Firma (im Folgenden: Zahlungsempfängerin) aufgefordert wurde. Außerdem enthielten die Rechnungen den Vermerk, es handele sich um eine innergemeinschaftliche Lieferung nach Art. 6a UStG, sowie den Hinweis auf eine in Deutschland ansässige Firma als Fiskalvertreterin, deren USt-IdNr. ebenfalls benannt war.

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Das betreffende Zollamt nahm die Anmeldung an und erhob zunächst keine Einfuhrumsatzsteuer. Diese wurde jedoch nach einer späteren Überprüfung des Vorgangs vom HZA nacherhoben, weil dieses der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nicht vorliegen. Der Kläger habe mangels Verfügungsgewalt über die Ware keine innergemeinschaftliche Lieferung bewirken können.

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Gegen die Umsatzsteuerfestsetzung in diesem Nacherhebungsbescheid hat der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage erhoben, die das Finanzgericht (FG) abgewiesen hat. Es urteilte, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG lägen nicht vor. Da der Kläger als Zollanmelder selbst keine innergemeinschaftliche Lieferung durchgeführt habe, käme eine Steuerbefreiung nur in Betracht, wenn außer ihm derjenige, der die innergemeinschaftliche Lieferung durchgeführt habe, Zollanmelder geworden sei. Aus der Zollanmeldung ergebe sich jedoch nicht, dass diese in indirekter Vertretung für einen Dritten abgegeben worden sei. Der Kläger bzw. die für ihn in direkter Vertretung handelnde Spedition hätten nicht in indirekter Vertretung gehandelt. Ihre Erklärung sei, wie dies bei einer Zollanmeldung im Datenverarbeitungssystem ATLAS nicht anders sein könne, eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Insbesondere ergebe sich die Möglichkeit einer Auslegung nicht aus der Wahl des Verfahrenscodes 4200, der allerdings für eine Überführung von Waren unter Umsatzsteuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG stehe. Aus der Unanwendbarkeit dieser Vorschrift im Streitfall ergebe sich jedoch nicht die Möglichkeit einer Auslegung der Zollanmeldung. Die Zollbehörde müsse nämlich nicht prüfen, ob an sich eindeutige Erklärungen des Zollbeteiligten auch inhaltlich so gemeint sein können. Selbst wenn man aber eine Auslegung im Sinne einer indirekten Stellvertretung durch den Kläger für möglich hielte, stünde die Person des Vertretenen nicht fest. Der Verfahrenscode 4200 gelte nicht nur für in einem Drittland ansässige Importeure, so dass auf einen solchen als Versender nicht aufgrund der Anmeldung geschlossen werden könne. Auch die auf den Rechnungen enthaltenen Angaben zur Fiskalvertretung, bei denen es sich um einen Aufdruck handele, der nicht ohne weiteres dem Versender zugerechnet werden könne, ermöglichten eine zweifelsfreie Bestimmung des Vertretenen nicht.

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Das FG ist ferner der Ansicht, § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG könne auf Fälle wie den vorliegenden, in denen ein Beauftragter des Lieferers Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer sei, nicht analog angewandt werden. Denn die auf Art. 21 Abs. 4 der Richtlinie 77/388/EWG zurückgehende Vorschrift setze Identität des Importeurs und des Steuerschuldners voraus. Die eindeutige Formulierung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG lasse keinen Spielraum für eine Analogie in dem Fall, dass nur ein Beauftragter des Lieferers Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer werde. Es fehle bereits eine planwidrige Gesetzeslücke. Bei § 3 Abs. 8 UStG, in dem die Identität von Lieferer und Schuldner nicht vorausgesetzt werde, sei die Interessenlage des Gesetzgebers eine andere. Selbst wenn aber § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich angewandt werden könnte, fehle es im Streitfall zumindest an der erforderlichen Angabe der USt-IdNr. des Lieferers. Diese sei materielle Voraussetzung für eine Befreiung von der Umsatzsteuer. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu § 6a UStG, die insoweit von bloßen Nachweispflichten ausgehe, könne in diesem Zusammenhang nicht übertragen werden. Der Kläger habe den Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung nicht erbracht. Die vorgelegten Rechnungen bekundeten nur eine diesbezügliche Absicht. Eine Empfangsbestätigung liege für die Ware nicht vor.

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Weiter urteilte das FG, Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 des Zollkodex (ZK) stehe der Nacherhebung nicht entgegen. Der Senat halte es zwar aufgrund der von ihm durchgeführten Beweiserhebung für naheliegend, dass ein für die Anwendung dieser Vorschrift relevanter Irrtum der Zollbehörde vorgelegen habe. Dieser sei für den Kläger jedoch erkennbar gewesen. Er sei ein erfahrener und professioneller Zollagent und selbst für einen unerfahrenen Zollbeteiligten sei aus § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG ersichtlich, dass steuerbefreit nur die Einfuhr von Gegenständen sei, die von einem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden.

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Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Nach seiner Auffassung müssten die Anwendungsbereiche des § 3 Abs. 8 UStG und des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG deckungsgleich sein. Andernfalls entstehe eine planwidrige Gesetzeslücke, die durch Analogie geschlossen werden müsse. Die Interessenlagen bei beiden Vorschriften seien entgegen der Ansicht des FG vergleichbar. § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG habe einen Vereinfachungseffekt; die Freistellung von der Einfuhrumsatzsteuer solle mit der Freistellung von der Umsatzsteuer synchron laufen und die Besteuerung erst im Bestimmungsmitgliedstaat erfolgen.

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Die analoge Anwendung scheitere auch nicht daran, dass der Kläger im Zeitpunkt der Einfuhr keine gültige USt-IdNr. besessen habe. Denn dies werde weder im Umsatzsteuergesetz noch in der Durchführungsverordnung verlangt. Die anders lautende Dienstanweisung sei ohne Rechtsgrundlage.

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Im Übrigen liege jedenfalls ein für den Kläger nicht erkennbarer Irrtum der Zollbehörde vor. Die Rechtslage sei verwickelt, da § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG Tatbestandsmerkmale aufweise, die mittels des Zollrechts auszufüllen seien.

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Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung und die Verwaltungsentscheidungen aufzuheben, soweit Einfuhrumsatzsteuer festgesetzt worden ist.

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Das HZA beantragt, die Revision des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

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Es bestehe keine Gesetzeslücke. Die Rechtsgrundlage für die im Merkblatt zum Einheitspapier verlangte Angabe der USt-IdNr. finde sich in Art. 212 Abs. 3 der Zollkodex-Durchführungsverordnung i.V.m § 21 Abs. 2 UStG. Die Mitgliedstaaten seien berechtigt, das EU-einheitliche Merkblatt für nationale Zwecke zu ergänzen.

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Das HZA macht ferner geltend, der Kläger habe den Irrtum der Zollbehörde erkennen können. Er könne sich nicht auf Nichtkenntnis des im Amtsblatt veröffentlichten Gemeinschaftsrechts berufen. Dass er sich überhaupt über die in Betracht kommenden Rechtsvorschriften informiert habe, sei schon im Hinblick auf die fehlende USt-IdNr. auszuschließen.

Entscheidungsgründe

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II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das Urteil des FG entspricht im Ergebnis Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).

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1. Nach Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK, der nach § 21 Abs. 2 UStG im Hinblick auf die Einfuhrumsatzsteuer entsprechend anzuwenden ist, ist Einfuhrumsatzsteuer nachzuerheben, wenn sie ursprünglich bei der Annahme der Zollanmeldung für die betreffende Ware nicht oder nicht in richtiger Höhe berechnet und festgesetzt worden ist. Da im Streitfall die Waren aufgrund der Anmeldung des Klägers in den freien Verkehr übergeführt worden sind, ist gemäß Art. 201 Abs. 1 Buchst. a ZK i.V.m. § 13 Abs. 2 und § 21 Abs. 2 UStG Einfuhrumsatzsteuer entstanden, sofern --was im Streitfall allenfalls in Betracht kommt-- die Einfuhr nicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG steuerfrei ist, weil die Waren von dem Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung innergemeinschaftlicher Lieferungen verwendet werden. Das ist, wie das FG zutreffend erkannt hat, auch unter Berücksichtigung einer entsprechenden Anwendung vorgenannter Vorschrift auf von ihrem Wortlaut nicht erfasste Sachverhalte nicht der Fall.

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a) Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer ist der Kläger, weil er die Waren im eigenen Namen zur Abfertigung angemeldet und weder in direkter oder indirekter Stellvertretung für einen anderen gehandelt hat. An die dieser rechtlichen Würdigung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen des FG ist der erkennende Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden. Das FG hat den Inhalt der vom Kläger abgegebenen Erklärungen bzw. der in seinem Namen handelnden Spedition sowie der dabei vorgelegten ergänzenden Dokumente unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Einfuhrvorgangs nachvollziehbar und ohne inneren Widerspruch ausgelegt. Es hat ferner für den Senat bindend festgestellt, dass der Kläger die eingeführten Waren nicht zur Ausführung innergemeinschaftlicher Lieferungen (d.h. Lieferungen in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union) verwendet hat und auch nicht verwenden konnte oder wollte. Er hatte keine Verfügungsmacht über die Waren, die unbeschadet dessen, dass er die Waren zur Einfuhr in die Union anmelden sollte und auch angemeldet hat, bei dem amerikanischen Lieferer verblieben war.

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Damit sind, wie das FG zutreffend ausgeführt hat, die Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG nach dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht gegeben.

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b) Die Vorschrift kann im Streitfall auch nicht entsprechend angewandt werden, wie das FG ebenfalls im Ergebnis zutreffend erkannt hat.

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Dabei kann unentschieden bleiben, ob bei entsprechender Anwendung dieser Vorschrift Steuerfreiheit auch dann zu gewähren ist, wenn nicht der Zollanmelder und Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, sondern ein Dritter die Ware für die Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung verwendet, dieser von Anfang an und insbesondere schon im Zeitpunkt der Einfuhr Verfügungsgewalt über die Ware und den Zollanmelder lediglich mit der Einfuhr derselben beauftragt hatte. Der erkennende Senat kann auch unerörtert lassen, ob er den Erwägungen des FG folgen könnte, wenn bei der Zollanmeldung der Behörde die USt-IdNr. des Lieferers --also dessen, der angeblich anschließend die innergemeinschaftlichen Lieferungen ausführen wollte-- nicht angegeben worden ist und damit eine einfache und sichere Kontrolle der Voraussetzungen nicht möglich war, von denen die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG unzweifelhaft abhängig sein soll. Offenbleiben kann ferner, was sich insofern aus der Rechtsprechung des BFH zu § 6a UStG und der dieser zugrunde liegenden, im FG-Urteil im Einzelnen aufgeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ergibt. Denn es liegt auf der Hand und wird offenbar auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen, dass vorgenannte Steuerbefreiung jedenfalls nur dann in Betracht kommt, wenn die betreffenden Einfuhrwaren zur Ausführung innergemeinschaftlicher Lieferungen verwendet werden. Das hat das FG im Streitfall indes nicht festgestellt, ohne dass insofern von der Revision zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben worden sind. Das FG ist vielmehr ausdrücklich davon ausgegangen, ein Nachweis der Verwendung der Waren zu innergemeinschaftlichen Lieferungen sei vom Kläger nicht erbracht worden.

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2. Von der damit grundsätzlich gebotenen Nacherhebung der Einfuhrumsatzsteuer ist auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK abzusehen, weil die Einfuhrumsatzsteuer aufgrund eines Irrtums der Zollbehörde ursprünglich nicht buchmäßig erfasst worden ist und dieser Irrtum vom Kläger vernünftigerweise nicht erkannt werden konnte.

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Der erkennende Senat versteht das Urteil des FG dahin, dass es unbeschadet der von ihm durchgeführten Beweiserhebung von einer eingehenden Prüfung der Frage, ob die Zollbehörde im Streitfall geirrt hat, absehen und dies offenlassen will. Das FG hat vielmehr und mit Recht seine Entscheidung darauf gestützt, ein etwaiger Irrtum der Zollbehörde über die Voraussetzungen einer steuerbefreiten Einfuhrlieferung hätte vom Kläger erkannt werden müssen. Denn nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG ist zweifelsfrei, dass Einfuhren, die nicht der Zollanmelder selbst zur Ausführung innergemeinschaftlicher Lieferungen verwendet, sondern zu diesem Zwecke Dritten überlassen will, nicht steuerbefreit sind. Das FG hat ferner mit Recht darauf hingewiesen, für die Anwendung vorgenannter Vorschrift sei ohne Belang, ob der Kläger möglicherweise über die Voraussetzungen einer indirekten Stellvertretung oder die Anforderungen an den Nachweis der Ausführung einer innergemeinschaftlichen Lieferung im Anschluss an die Einfuhr geirrt hat. Denn nach den Feststellungen des FG hat er nicht in indirekter Stellvertretung handeln wollen --so dass seine Vorstellungen über dieses Rechtsinstitut für den Streitfall ohne Bedeutung sind-- und der Zollbehörde bei der ursprünglichen Abfertigung der Waren auch keinerlei Nachweise über die beabsichtigte künftige Weiterlieferung der Waren innerhalb der Union vorgelegt, so dass er irrtümlich hätte davon ausgehen können, die Zollbehörde habe diese als für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 3 UStG ausreichend anerkannt.

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Ebenso war für den Kläger ohne weiteres erkennbar, dass eine Steuerbefreiung nur in Betracht kommt, wenn die Einfuhren für innergemeinschaftliche Lieferungen tatsächlich verwendet werden, was --wie ausgeführt-- das FG im Streitfall nicht festgestellt hat.