Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 14.11.2012


BFH 14.11.2012 - VII R 6/11

Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH: Steuertarif für unbenannte Energieerzeugnisse


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
14.11.2012
Aktenzeichen:
VII R 6/11
Dokumenttyp:
EuGH-Vorlage
Vorinstanz:
vorgehend FG Düsseldorf, 15. Dezember 2010, Az: 4 K 2656/10 VE, Urteilnachgehend EuGH, 3. April 2014, Az: C-43/13 und C-44/13, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 2 Abs 3 EGRL 96/2003

Leitsätze

1. NV: Verlangt Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie (EG) 2003/96 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom bei der Besteuerung anderer Energieerzeugnisse als derjenigen, für die in der Richtlinie ein Steuerbetrag festgelegt ist, einen Steuersatz anzuwenden, der im nationalen Recht für die Verwendung eines Energieerzeugnisses als Heizstoff festgelegt ist, sofern jenes andere Energieerzeugnis ebenfalls als Heizstoff verwendet wird? Oder kann, wenn das andere Energieerzeugnis bei einer Verwendung als Heizstoff einem bestimmten Energieerzeugnis gleichwertig ist, der für dieses Energieerzeugnis im nationalen Recht festgelegte Steuersatz angewandt werden, auch wenn es sich dabei um einen einheitlichen Steuersatz ohne Rücksicht auf die Verwendung als Kraftstoff oder als Heizstoff handelt?    

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) stellt Titandioxidpulver (sog. Weißpigment) her. Um die dafür erforderliche chemische Reaktion herbeizuführen, ist eine Temperatur von 1 650 Grad Celsius erforderlich. Diese erreicht die Klägerin, indem sie in einen Sauerstoffstrom Toluol einsprüht, das dabei verbrannt wird.

2

Die Klägerin hat für die Verwendung des Toluols im Jahre 2007 bei dem Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--), eine Anmeldung über einen Betrag von rd. 1,1 Mio. € Energiesteuer abgegeben. Sie hat dabei, der ihr bekannten Rechtsansicht des HZA folgend, einen Steuersatz von 654,50 €/1 000 kg angewandt. Dieser ist in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b des deutschen Energiesteuergesetzes (EnergieStG) für Benzin der Unterpos. 2710 11 41 bis 2710 11 49 der Kombinierten Nomenklatur mit einem Schwefelgehalt von höchstens 10 mg/kg festgelegt. Die Klägerin hat gegen ihre Anmeldung zugleich Einspruch eingelegt; sie will damit die Anwendung eines der wesentlich niedrigeren Steuersätze erreichen, die in § 2 Abs. 3 EnergieStG für eine Reihe von anderen Energieerzeugnissen festgelegt sind, wenn sie zum Verheizen verwendet werden.

3

Toluol ist in § 2 EnergieStG nicht aufgeführt. Nach § 2 Abs. 4 EnergieStG ist daher der Steuersatz des Energieerzeugnisses anzuwenden, dem es nach seiner Beschaffenheit und seinem Verwendungszweck am nächsten steht.

4

Die nach Zurückweisung des Einspruches erhobene Klage war vor dem Finanzgericht erfolgreich, weil dieses der Ansicht ist, es müsse Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 und 3 der Richtlinie 2003/96/EG (RL 2003/96/EG) des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L 283/51) berücksichtigt werden; bei einer dieser Richtlinienbestimmung konformen Auslegung des § 2 EnergieStG könne angesichts der Verwendung des Toluols zum Verheizen der Steuersatz nicht § 2 Abs. 1 EnergieStG, sondern nur § 2 Abs. 3 EnergieStG entnommen werden, weil nur dort Steuersätze für Heizstoffe festgelegt seien.

5

Das HZA hat gegen dieses Urteil Revision eingelegt.

Entscheidungsgründe

6

II. Der beschließende Senat ist der Auffassung, dass die angefochtene Steueranmeldung zutreffend gewesen ist. Im Rahmen dieser Beurteilung kommt es jedoch auf die Auslegung des Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 RL 2003/96/EG an, die dem beschließenden Senat nicht zweifelsfrei erscheint. Er ersucht deshalb den Gerichtshof um eine diesbezügliche Vorabentscheidung.

7

1. Im Einzelnen sind für die Beurteilung der Streitsache folgende Vorschriften zu berücksichtigen:



Richtlinie 2003/96/EG des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom



Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1:



Zum Verbrauch als Heiz- oder Kraftstoff bestimmte oder als solche zum Verkauf angebotene bzw. verwendete andere Energieerzeugnisse als diejenigen, für die in dieser Richtlinie ein Steuerbetrag festgelegt wurde, werden je nach Verwendung zu dem für einen gleichwertigen Heiz- oder Kraftstoff erhobenen Steuersatz besteuert.



Anhang I Tabelle A - Mindeststeuerbeträge für Kraftstoffe



(keine Festsetzung für Toluol)



Tabelle C - Mindeststeuerbeträge für Heizstoffe und elektrischem Strom



(keine Festsetzung für Toluol)



Energiesteuergesetz (BGBl I 2006, 1543)



§ 2 Steuertarif



(1) Die Steuer beträgt ... [es folgt eine zehn Positionen --teilweise mit Unterteilungen-- umfassende Liste von Energieerzeugnissen und diesen zugeordneten Steuersätzen, u.a. für das eingangs genannte Benzin sowie --in gleicher Höhe-- für mittelschwere Öle der Unterpos. 2710 19 21 und 2710 19 25 der Kombinierten Nomenklatur].



(2) ... [ist im Streitfall nicht betroffen]



(3) Abweichend von den Abs. 1 und 2 beträgt die Steuer ... [es folgt eine fünf Positionen umfassende Liste --teilweise mit Unterteilung-- und ihnen zugeordneter wesentlich niedrigerer Steuersätze, die u.a. benennt Gasöle der Unterpos. 2710 19 41 bis 2710 19 49 der Kombinierten Nomenklatur sowie Heizöle der Unterpos. 2710 19 61 bis 2710 19 69 der Kombinierten Nomenklatur],



wenn sie zum Verheizen ... verwendet oder zu diesen Zwecken abgegeben werden. [Der folgende zweite Satz ist für den Streitfall nicht von Bedeutung].



(4) Anders als die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Energieerzeugnisse unterliegen der gleichen Steuer wie die Energieerzeugnisse, denen sie nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verwendungszweck am nächsten stehen. Der Steuersatz nach Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 kommt nur bei einer ordnungsgemäßen Kennzeichnung der Energieerzeugnisse zur Anwendung. [Der folgende 3. Satz ist für den Streitfall nicht von Bedeutung].

8

2. Vorbehaltlich etwaiger Gebote der vorgenannten Richtlinie, die gemäß dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu berücksichtigen sind, schreiben die bezeichneten Vorschriften des EnergieStG vor, dass für die Besteuerung anderer Energieerzeugnisse als der in § 2 Abs. 1 und 3 EnergieStG benannten das Energieerzeugnis zu ermitteln ist, das dem nichtbenannten Energieerzeugnis am nächsten steht, womit der deutsche Gesetzgeber dasselbe meint wie das Unionsrecht mit dem Begriff "gleichwertig". Dafür ist der in § 2 Abs. 1 EnergieStG aufgestellte Katalog der Energieerzeugnisse (mit dem dort festgelegten hohen Steuersatz) zu berücksichtigen. Dieser benennt eine Reihe von Energieerzeugnissen, die nur teilweise auch in dem Katalog des § 2 Abs. 3 EnergieStG enthalten sind, welcher den dort bezeichneten Energieerzeugnissen wesentlich niedrigere Steuersätze zuweist. Das EnergieStG sieht also nur für einen Teil der von ihm benannten Energieerzeugnisse einen zweiten, niedrigeren Steuersatz für den Fall vor, dass sie verheizt werden. Im Streitfall kommt insbesondere in Betracht, dass Toluol dem in § 2 Abs. 1 Nr. 3 EnergieStG bezeichneten Energieerzeugnis, nämlich Kerosin, am nächsten steht bzw. gleichwertig ist. Einer der --niedrigeren-- Steuersätze aus § 2 Abs. 3 EnergieStG kann demzufolge auf Toluol nicht angewandt werden; denn Kerosin wird nach deutschem Recht nicht niedriger besteuert, wenn es als Heizstoff verwendet wird.

9

3. Der beschließende Senat hält trotz des Verheizens des Toluols dessen hohe Besteuerung für mit den Geboten der Richtlinie 2003/96/EG vereinbar.

10

Die Wortbedeutung der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie zur Besteuerung "anderer" Energieerzeugnisse getroffenen Regelungen ist allerdings --auch in anderen Sprachfassungen, die der beschließende Senat geprüft hat-- nicht ganz klar und eindeutig. Die Wendung, dass die Auswahl des Steuersatzes "je nach Verwendung" (i.e. des Energieerzeugnisses, um dessen Besteuerung es geht) erfolgen soll, kann auf das folgende Wort "gleichwertig" bezogen werden. Die Vorschrift würde dann nur dazu ermahnen, in Betracht zu ziehen, dass die Verwendbarkeit (Gleichwertigkeit) eines Energieerzeugnisses sich im Hinblick auf eine Verwendung als Heizstoff unter Umständen anders darstellen kann als im Hinblick auf eine Verwendung als Kraftstoff. Dass andere (in der Richtlinie nicht namentlich bezeichnete) Energieerzeugnisse, wenn sie als Heizstoffe verwendet werden, von den nationalen Vorschriften mit einer Steuer belegt werden müssen, die für andere Energieerzeugnisse bei einer Verwendung zum Verheizen festgesetzt ist, würde bei diesem Wortverständnis von der Richtlinie nicht gefordert werden.

11

Der beschließende Senat ist auch der Auffassung, dass nach der Regelungssystematik und dem Sinn und Zweck der in Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie getroffenen Regelung ein solches Gebot nicht besteht. Die in dem Anhang I, Tabellen A und C der Richtlinie festgesetzten Mindeststeuersätze lassen den Mitgliedstaaten einen weiten Spielraum bei der Ausgestaltung der Steuersätze; tatsächlich werden die Steuersätze in den Mitgliedstaaten vielfach erheblich höher festgesetzt, als es nach diesen Tabellen erforderlich wäre, ganz abgesehen davon, dass die Tabellen ohnehin nur einige --die praktisch wichtigsten-- Energieerzeugnisse erfassen. Es kann daher keinen Zweifel geben und wird auch von den Beteiligten anerkannt, dass der deutsche Gesetzgeber durch das Unionsrecht nicht gehindert ist, Toluol nach einem hohen Steuersatz zu besteuern, so wie es das HZA getan hat. Der deutsche Gesetzgeber wäre daran durch das Unionsrecht nicht gehindert, obwohl sonst ein so hoher Steuersatz im deutschen Energiesteuerrecht offenbar nur bei Energieerzeugnissen angewandt wird, die vornehmlich als Kraftstoffe, nicht als Heizstoffe verwendet werden (wobei Toluol offenbar gerade umgekehrt nicht oder nur selten als Kraftstoff, vielmehr vornehmlich als Heizstoff verwendet wird, wie es auch die Klägerin tut). Wenn sich auch der Richtliniengeber, wie sich aus den Begründungserwägungen der Richtlinie (vgl. 18. Erwägungsgrund) ergibt, bewusst war, dass in den meisten Mitgliedstaaten die Verwendung von Energieerzeugnissen als Heizstoff geringer besteuert wird denn als Kraftstoff, hat er dies nicht zu einer kraft Unionsrechts verbindlichen Rechtsregel erhoben. Es leuchtet deshalb nicht ein, warum eine solche Rechtsregel für die Besteuerung der anderen, von Art. 2 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie erfassten Energieerzeugnisse gelten sollte.

12

Der beschließende Senat hält ein solches Verständnis der Richtlinie allerdings nicht für zwingend. Schon dem Wortlaut nach kann die Wendung "je nach Verwendung" auch auf das Wort Steuersatz bezogen werden, und zwar in dem Sinne, dass je nach Verwendung der Steuersatz angewandt werden soll, der (bei Verwendung zum Verheizen) für einen gleichwertigen Heizstoff oder (bei Verwendung als Kraftstoff) für einen gleichwertigen Kraftstoff im nationalen Recht festgelegt ist. Die Gleichwertigkeit des Energieerzeugnisses, dessen im nationalen Recht festgelegter Steuersatz auf das andere Energieerzeugnis anzuwenden ist, würde dann also ein zweitrangiges Zuordnungskriterium darstellen und nur zum Zuge kommen, um innerhalb der für Heizstoffe festgesetzten Steuersätze bei einem zum Verheizen verwandten Energieerzeugnis bzw. innerhalb der für Kraftstoffe festgesetzten Steuersätze bei einem als Kraftstoff verwandten Energieerzeugnis eine Auswahl unter mehreren im nationalen Recht festgelegten Steuersätze vorzunehmen. Für diese Deutung könnte neben dem etwas abweichenden und mehr in diese Richtung weisenden Wortlaut der Vorgängervorschrift, nämlich des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie 92/81/EWG sprechen, dass der Rat eine Generalklausel betreffend die Besteuerung anderer als der Energieerzeugnisse, welche namentlich benannt sind und deren Besteuerung näher geregelt ist, möglicherweise in die Richtlinie aufgenommen hat, um die mit einer Besteuerung eines als Heizstoff verwandten Energieerzeugnisses mit einem im nationalen Recht für ein Erzeugnis, das auch als Kraftstoff verwendet werden kann und möglicherweise typischerweise verwendet wird, verbundene Ungerechtigkeit und dadurch ausgelöste Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern. Allerdings würde nach Ansicht des Senats dieses Ziel nur unvollkommen erreicht, weil nach der unionsrechtlich schwerlich zu beanstandenden Regelung in § 2 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 EnergieStG die dort namentlich genannten Energieerzeugnisse mit den dort festgesetzten hohen Steuersätzen auch dann belegt sind, wenn sie im Einzelfall nicht --wie bei der Festsetzung dieser Steuersätze vom Gesetzgeber möglicherweise erwartet-- als Kraftstoff verwendet, sondern verheizt werden. Es erschließt sich nicht, warum dann für solchen Stoffen gleichwertige Energieerzeugnisse etwas anderes, nämlich eine steuerliche Privilegierung beim Verheizen gelten sollte.

13

Aufgrund dieser Zweifel erbittet der beschließende Senat eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs, von welchem Verständnis der Richtlinie auszugehen ist, weil im letzteren Fall § 2 EnergieStG insofern unangewendet bleiben müsste, als er, wie eingangs dargelegt, der Gleichwertigkeitsfeststellung bzw. Beschaffenheitsprüfung den Vorrang vor der Berücksichtigung des Verwendungszweckes des anderen Energieerzeugnisses einräumt, welcher Zweck nur dann zum Tragen kommt, wenn für das betreffende (gleichwertige) Energieerzeugnis bei der Verwendung als Heizstoff eine niedrigere Besteuerung überhaupt vorgesehen ist.

14

Im Übrigen ist ungeachtet dieser Auslegungsfrage in jedem Falle noch zu prüfen und zu entscheiden, ob bei der Gleichwertigkeitsfeststellung eine gleichsam generalisierende Betrachtungsweise geboten ist oder alle Merkmale und Umstände der von dem jeweiligen Steuerschuldner tatsächlich durchgeführten Verwendung des anderen Energieerzeugnisses zu berücksichtigen sind, was mit erheblichen Schwierigkeiten für das Besteuerungsverfahren verbunden wäre.

15

4. Dem EuGH wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:



Verlangt Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom bei der Besteuerung anderer Energieerzeugnisse als derjenigen, für die in der Richtlinie ein Steuerbetrag festgelegt ist, einen Steuersatz anzuwenden, der im nationalen Recht für die Verwendung eines Energieerzeugnisses als Heizstoff festgelegt ist, sofern jenes andere Energieerzeugnis ebenfalls als Heizstoff verwendet wird? Oder kann, wenn das andere Energieerzeugnis bei einer Verwendung als Heizstoff einem bestimmten Energieerzeugnis gleichwertig ist, der für dieses Energieerzeugnis im nationalen Recht festgelegte Steuersatz angewandt werden, auch wenn es sich dabei um einen einheitlichen Steuersatz ohne Rücksicht auf die Verwendung als Kraftstoff oder als Heizstoff handelt?