Entscheidungsdatum: 04.09.2012
NV: Die Kapitalbindungsvorschrift des § 50a StBerG ist mit Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG ebenso vereinbar wie mit der unionsrechtlichen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit .
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine als Steuerberatungsgesellschaft anerkannte GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 €. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer war zunächst Steuerberater A.
Dieser veräußerte und übertrug im Jahr 2006 40 % der Geschäftsanteile mit einem Nennwert von insgesamt 10.000 € an die B BV, eine in den Niederlanden ansässige, in Deutschland nicht anerkannte Steuerberatungsgesellschaft. Alleinige Gesellschafterin der B BV ist die Holdinggesellschaft H (im Folgenden: Holdinggesellschaft), deren Gegenstand im Wesentlichen die Gründung, Finanzierung, Leitung und die Veräußerung von Gesellschaften und sonstigen Unternehmen ist.
Nachdem die Übertragung der Geschäftsanteile angezeigt worden war, widerrief die Beklagte und Revisionsbeklagte (Steuerberaterkammer) mit Bescheid vom 30. Oktober 2008 die Anerkennung der Klägerin als Steuerberatungsgesellschaft. Zur Begründung führte sie aus, die B BV sei keine Steuerberatungsgesellschaft i.S. des § 50a Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG), da sie nicht als Steuerberatungsgesellschaft anerkannt sei. Hinzu komme, dass ihre alleinige Gesellschafterin H eine berufsfremde Holdinggesellschaft sei.
Die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) mit dem in Deutsches Steuerrecht 2011, 284 veröffentlichten Urteil abgewiesen.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, die Kapitalbindungsvorschrift des § 50a Abs. 1 StBerG verstoße gegen die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union --AEUV--) und gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV).
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung und den Bescheid der Steuerberaterkammer vom 30. Oktober 2008 aufzuheben.
Die Steuerberaterkammer beantragt die Zurückweisung der Revision. Sie hält das FG-Urteil für im Ergebnis richtig. Die Beschränkungen der Kapitalverkehrsfreiheit durch § 50a StBerG seien zum Schutz der Steuerrechtspflege gerechtfertigt. Überdies sei der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit nicht eröffnet.
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung FGO). Der erkennende Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet (§ 126 Abs. 2 FGO) und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Es besteht weder ein Anlass noch eine Rechtfertigung, die Entscheidung, wie die Klägerin begehrt, weiter zurückzustellen, weil sich die Rechtslage möglicherweise zu Gunsten der Klägerin ändern werde.
Das Urteil des FG entspricht geltendem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
1. Die Steuerberaterkammer hat die Anerkennung der Klägerin als Steuerberatungsgesellschaft zu Recht gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StBerG widerrufen.
a) Durch die Beteiligung der B BV an der Klägerin ist die von § 50a Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. Nr. 1 StBerG vorgeschriebene Kapitalbindung, wonach bei Kapitalgesellschaften die Anteilsinhaber Personen i.S. von § 50a Abs. 1 Nr. 1 StBerG sein müssen, nicht mehr gegeben. Denn die Geschäftsanteile der B BV werden von der berufsfremden Holdinggesellschaft gehalten, die unstreitig weder eine anerkannte Steuerberatungsgesellschaft i.S. des § 50a Abs. 1 Nr. 1 StBerG noch eine sog. Alt-Gesellschaft i.S. des § 154 Abs. 1 StBerG ist.
b) Die Kapitalbindungsvorschrift des § 50a StBerG ist mit Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 3 Abs. 1 GG --die auf die Klägerin als inländische juristische Person (Art. 19 Abs. 3 GG) grundsätzlich Anwendung finden-- vereinbar.
aa) Da die Steuerrechtspflege einem wichtigen Gemeinschaftsgut dient (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 15. Februar 1967 1 BvR 569/62, BVerfGE 21, 173, 179), steht es dem Gesetzgeber frei, der Gefahr der Kommerzialisierung des Steuerberatungsberufs sowie der Verquickung gewerblicher Interessen mit der Steuerberatung vorzubeugen. Das lässt es nicht nur als zulässig, sondern als naheliegend erscheinen, durch flankierende, die Gestaltungsfreiheit einer Steuerberatungsgesellschaft einschränkende Regelungen sicherzustellen, dass die in einer solchen Gesellschaft tätigen Steuerberater von berufsfremden Einflüssen abgeschirmt bleiben (vgl. schon Senatsurteil vom 26. März 1981 VII R 14/78, BFHE 133, 322, BStBl II 1981, 586). Nur diesem Zweck dient § 50a StBerG. Er ist mithin genauso wenig zu beanstanden wie das Beratungsprivileg des § 3 StBerG selbst. Aus der nach Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit lässt sich mithin kein Grundsatz ableiten, dass Berufsfremde Gesellschafter einer Steuerberatungsgesellschaft werden können.
bb) Ebenso wenig liegt --entgegen der Rechtsansicht der Revision-- ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Denn die Klägerin wird nicht gegenüber einer --vom Bestandsschutz des § 154 Abs. 1 Satz 1 StBerG erfassten-- Alt-Gesellschaft benachteiligt. Selbst wenn nämlich die Klägerin eine Alt-Gesellschaft wäre, würde die Übertragung eines 40%igen Geschäftsanteils von A an die B BV zum Widerruf der Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft führen (vgl. § 154 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 StBerG).
Nicht zutreffend ist auch der von der Revision angestellte Vergleich mit § 154 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StBerG, wonach die Steuerberaterkammer vom Widerruf nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 StBerG absehen kann, wenn sich der Gesellschafterbestand der beteiligten Alt-Gesellschaft nur geringfügig geändert hat. Denn im Streitfall hat sich zum einen nicht der Gesellschafterbestand einer beteiligten Gesellschaft, sondern der Anteilseignerkreis der Klägerin selbst geändert und zum anderen ist die Übertragung eines 40%igen Geschäftsanteils auch keine geringfügige Änderung des Gesellschafterbestands.
c) Die Kapitalbindungsvorschrift des § 50a Abs. 1 Nr. 1 StBerG verstößt weder gegen die Niederlassungs- noch die Kapitalverkehrsfreiheit.
Der erkennende Senat kann offenlassen, ob im Streitfall die Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) nicht berührt ist, weil die B BV --wie das FG meint-- angesichts ihrer nur 40%igen Minderheitsbeteiligung nicht die Kontrolle oder Leitung der steuerberatenden Tätigkeit der Klägerin innehabe und keinen bestimmenden Einfluss auf diese ausübe (vgl. zu diesem Erfordernis Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 19. Mai 2009 C-171/07 und C-172/07 --Apothekerkammer u.a.--, Slg. 2009, I-4171). Denn die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 Abs. 1 AEUV), die dann als das einschlägige Schutzrecht in Betracht kommt, ist ebenso wenig verletzt, wie es die Niederlassungsfreiheit wäre, weil deren Einschränkung aus den gleichen Gründen wie eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit zum Schutz eines wichtigen Gemeinschaftsgutes gerechtfertigt wäre.
Allerdings ist § 50a StBerG geeignet, in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Unternehmen davon abzuhalten, sich an einer deutschen Steuerberatungsgesellschaft zu beteiligen, weil infolge dieser Beteiligung die Anerkennung als Steuerberatungsgesellschaft zu widerrufen wäre. Eine solche Beschränkung ist jedoch gerechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind Maßnahmen eines Mitgliedstaats, selbst wenn sie geeignet sind, die Ausübung der durch den Unionsvertrag garantierten Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen, dann mit den vorgenannten unionsrechtlich garantierten Freiheiten vereinbar, wenn mit ihnen ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, sie geeignet sind, dessen Erreichung zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (EuGH-Urteile vom 17. Januar 2008 C-152/05 --Kommission/ Deutschland--, Slg. 2008, I-39, Rz 26; vom 11. März 2004 C-9/02 --de Lasteyrie du Saillant--, Slg. 2004, I-2409, Rz 49, und in Slg. 2009, I-4171). Diesen Anforderungen genügt § 50a StBerG.
Den Mitgliedstaaten der Union ist insofern ein weiter Beurteilungsspielraum bei der Bestimmung der schützenswerten öffentlichen Belange eingeräumt (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 2009, I-4171). Der deutsche Gesetzgeber verfolgt mit der Kapitalbindungsvorschrift des § 50a StBerG das Ziel, Steuerberatungsgesellschaften von berufsfremden Interessen freizuhalten (BRDrucks 515/88, S. 29) und sicherzustellen, dass sie von Steuerberatern verantwortlich und unabhängig geführt werden (Gehre/Koslowski, Steuerberatungsgesetz, 6. Aufl., § 50a Rz 1, m.w.N.). Bei einer Beteiligung berufsfremder Anteilseigner an Steuerberatergesellschaften wäre indes ein Interessenkonflikt des Steuerberaters hinsichtlich der Interessen der Mandanten einerseits und der Anteilseigner andererseits nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern naheliegend. Dies zu verhindern, ist ein legitimes Anliegen des deutschen Gesetzgebers (vgl. auch BVerfG-Beschluss vom 12. Dezember 2006 1 BvR 2576/04, BVerfGE 117, 163).
Die Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Urteil in BFHE 133, 322, BStBl II 1981, 586) hat im Übrigen schon vor der Einfügung des § 50a StBerG im Zusammenhang mit dem von § 32 Abs. 3 Satz 2 StBerG geforderten Nachweis der unabhängigen, eigenverantwortlichen Führung der Gesellschaft durch Steuerberater grundsätzliche Bedenken gegen die Beteiligung berufsfremder Personen und Vereinigungen an Steuerberatungsgesellschaften geäußert und die Prüfung verlangt, ob die Gesellschafter bzw. Anteilseigner Einfluss auf die im Dienste der Gesellschaft stehenden Steuerberater nehmen können, z.B. wenn die Gesellschaft Teil eines Konzerns mit eindeutig gewerblicher Zielsetzung ist und die Gesellschaft bei der Verwirklichung dieser Zielsetzung eingesetzt werden soll.
Entgegen der Rechtsansicht der Revision ist im Streitfall eine Gefährdung der Steuerrechtspflege auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil die B BV Mitglied im niederländischen Berufsverband der Steuerberater ist. Denn die Möglichkeit einer --mittelbaren-- Einflussnahme der berufsfremden Alleingesellschafterin der B BV --der Holdinggesellschaft-- auf die Klägerin wird dadurch selbstredend nicht ausgeschlossen, wie diese selbst einräumt. Im Übrigen mag es zwar keine konkreten Erkenntnisse hinsichtlich einer Einflussnahme der Anteilseigner auf die bei der Klägerin tätigen Steuerberater geben. Gleichwohl muss --wie das FG unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH (Urteil in Slg. 2009, I-4171) zu Recht erkannt hat-- die Gefahrenverwirklichung bzw. der Schadenseintritt nicht abgewartet werden. Die Einschätzung der Klägerin, die abstrakte Gefahr, welche von der gewählten gesellschaftlichen Konstruktion ausgeht und welche die Klägerin offenbar eingestehen will, habe sich nicht realisiert und werde sich auch nicht realisieren, ist, wie auf der Hand liegt, für die Entscheidung ohne Bedeutung.
Die Vorschriften des StBerG über die Kapitalbindung sind geeignet, eine Einflussnahme berufsfremder Kreise auf die Steuerberatungsgesellschaft auszuschließen. Eine im Vergleich mit § 50a StBerG mildere und ebenso effektive Regelung, um die Einflussnahme Berufsfremder auf die Steuerberatungstätigkeit auszuschließen, ist nicht erkennbar und musste vom Gesetzgeber allemal nicht ungeachtet des ihm zustehenden Regelungsermes-sens bevorzugt werden. Die Klägerin trägt zwar vor, dass "mehrere Varianten denkbar" seien, "die einen geringeren Eingriff in die Kapitalverkehrsfreiheit bei einem gleich wirksamen Schutz der Unabhängigkeit der Steuerberater ermöglichen", führt als milderes Mittel letztlich aber nur eine Regelung an, wonach eine Mehrheitsbeteiligung Berufsfremder an einer Steuerberatungsgesellschaft ausgeschlossen werden soll. Der Ausschluss einer Mehrheitsbeteiligung ist jedoch nicht genauso effektiv wie § 50a StBerG. Daher ist auch die Auffassung des FG revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wonach es bei einer Minderheitsbeteiligung von 40 % nicht allein auf die rechtlichen Befugnisse eines Minderheitsgesellschafters ankommt, da ein Minderheitsgesellschafter jedenfalls faktischen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit nehmen kann. Diese Beurteilung steht --entgegen der Rechtsansicht der Revision-- auch nicht in Widerspruch zu der Beurteilung des FG, dass die B BV durch ihre 40%ige Beteiligung keinen bestimmenden Einfluss auf die Klägerin erhalten hat.
Eine mildere und ebenso effektive Regelung als § 50a StBerG hat das FG schließlich zu Recht auch nicht in einem Vorbehalt einer Beteiligung an der Geschäftsführung für Steuerberater gesehen, da eine solche Regelung die Gefahr einer zumindest faktischen Einflussnahme der Gesellschafter bzw. Anteilseigner auf die Geschäftspolitik nicht ausschließen könnte.
§ 50a StBerG ist trotz der für Alt-Gesellschaften zugelassenen Ausnahmen kohärent. Der Bestandsschutz, den der Gesetzgeber den bei der Schaffung der Kapitalbindungsvorschrift des § 50a StBerG bereits bestehenden Gesellschaften gewährt hat, war aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG) geboten (vgl. BRDrucks 515/08, S. 29). Auch der mit Wirkung vom 23. Juli 2009 eingefügte § 154 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StBerG (BGBl I 1959), der Härten bei geringfügigen Änderungen im Gesellschafterbestand, insbesondere bei Vereinen, vermeiden soll (Gehre/Koslowski, a.a.O., § 154 Rz 6), gibt offenkundig keinen Anlass, die in § 50a StBerG getroffene Regelung zu beanstanden.
d) Für die Entscheidung des Senats lässt sich nichts daraus gewinnen, dass die Vorschriften über die Kapitalbindung, wie die Klägerin meint, "nicht mehr den heutigen Anforderungen entsprechen" und in Kürze geändert würden.
2. Der Senat hält die von ihm vorgenommene Auslegung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts auf Grund der Rechtsprechung des EuGH für zweifelsfrei. Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 283/81 --C.I.L.F.I.T.--, Slg. 1982, 3415, Rz 16).