Entscheidungsdatum: 24.02.2015
1. NV: Im Rahmen der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer aufgrund des Beitreibungsersuchens künftig zu erwartenden Vollstreckung kann das FG die Vollstreckung wegen des Fehlens eines der Formvorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 1 EG-BeitrG entsprechenden Zahlungsbescheids in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie für unzulässig erklären, aber - klarstellend - ergänzen, dass dies nur solange gilt, bis der Mangel beseitigt ist .
2. NV: Die in Art. 12 Abs. 1 bis 3 der Richtlinien 76/308/EWG bzw. 2008/55/EG festgelegte Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten erlaubt es dem ersuchten FA und dem angerufenen FG nicht, die materielle Richtigkeit der Forderung und die Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels zu prüfen .
3. NV: Die Wirksamkeit der Bekanntgabe eines Zahlungsbescheids der die Beitreibung ersuchenden Behörde ist dann nicht von der ersuchten Behörde zu prüfen, wenn die ersuchende Behörde eine Direktzustellung an den Kläger vorgenommen hat .
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts vom 27. November 2013 2 K 44/12 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
I. Mit der Revision wendet sich der Kläger und Revisionskläger (Kläger) dagegen, dass das Finanzgericht (FG) unter Abweisung der Klage im Übrigen festgestellt hat, dass die Vollstreckung aus einem Beitreibungsersuchen der Tschechischen Republik (nur) solange unzulässig ist, bis die ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel im Original oder in beglaubigter Abschrift vorlegt.
Nachdem der Kläger wegen seiner Erwerbstätigkeit in Tschechien erst im Jahr 2004 eine Steuererklärung für das Jahr 2000 beim tschechischen Finanzamt abgegeben und die Steuer überwiesen hatte, erließ das tschechische Finanzamt am 21. Dezember 2007 einen Zahlungsbescheid (Vorgangsummer …) in tschechischer Sprache, der dem Kläger am 2. Januar 2008 durch das tschechische Finanzamt per Post mit Einschreiben mit Rückschein an seine Anschrift in Deutschland zugestellt wurde. Gegen diesen "Zahlungsbescheid über die Steuergeldstrafe vom 21. Dezember 2007" legte der Kläger Einspruch ein. Er sei der tschechischen Sprache nicht mächtig. Maßnahmen gegen ihn seien rechtswidrig, weil er sich mangels Kenntnisnahme vom Inhalt der Schreiben des tschechischen Finanzamts nicht verteidigen könne.
Im Januar 2009 übermittelte die Oberfinanzdirektion ein Beitreibungsersuchen des Finanzministeriums der Tschechischen Republik an den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--), in dem um Beitreibung von Steuerschulden gebeten wurde, die in einer tabellarischen Übersicht bezeichnet waren:
Genaue Angabe der Forderung/en |
Einkommensteuern der natürlichen Personen |
Betrag der Hauptforderung |
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Geldstrafen und Geldbußen |
… CZK |
Bis zur Unterzeichnung dieses Ersuchens entstandene Zinsen |
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Bis zur Unterzeichnung dieses Ersuchens entstandene Kosten |
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Gesamtbetrag |
… CZK |
Vollstreckbarkeitstermin |
18.01.2008 |
Datum der Zustellung an den Empfänger |
02.01.2008 |
Verjährungsfrist |
01.01.2015 |
Verweis auf Vollstreckungstitel |
… |
Sonstige Angaben |
Daraufhin forderte das FA den Kläger mit Vollstreckungsankündigung vom 30. Januar 2009 auf, den Schuldbetrag aus dem Beitreibungsersuchen in Höhe von … € zu zahlen. Wiederholte Eingaben des Klägers gegen die "Vollstreckung bzw. den Vollstreckungsbescheid" sowohl beim FA als auch bei der tschechischen Behörde blieben erfolglos. Schließlich bat das tschechische Finanzministerium erneut um Fortsetzung der Beitreibung der ersuchten Forderung. Die Aufforderung sei rechtskräftig. Der Zahlungsrückstand --"ausstehende Geldstrafe für Verzug bei Bezahlung der Einkommensteuer für 2000 in Höhe von CZK …"-- sei noch nicht beglichen.
Nach einem vergeblichen Vollstreckungsversuch des Vollziehungsbeamten des FA wurde die Vollstreckung eingestellt.
Mit Schreiben vom 12. Februar 2010 lehnte das FA das als Antrag auf Vollstreckungsaufschub gewertete Begehren, von der Vollstreckung abzusehen, bis alle Entscheidungen der tschechischen Behörden in deutscher Sprache vorlägen, ab. Dem Schreiben fügte das FA eine Erklärung des tschechischen Finanzamts in deutscher Sprache bei, in dem die Bestandskraft der ablehnenden Einspruchsentscheidung sowie die Beendigung des Verfahrens nach dem fruchtlosen Verstreichenlassen der zur Ausräumung von Eingabemängeln gesetzten Frist mitgeteilt wird.
Den gegen den Bescheid des FA "über die Ablehnung des Antrags auf Vollstreckungsschutz" eingelegten Einspruch wies das FA zurück.
Die dagegen erhobene Klage, die das FG dahin auslegte festzustellen, dass die Vollstreckung der Forderung aus dem Bescheid vom 21. Dezember 2007 auf der Basis des Beitreibungsersuchens der Tschechischen Republik vom 10. November 2008 derzeit unzulässig sei, hatte nur insoweit Erfolg, als die Vollstreckung in Ermangelung eines Vollstreckungstitels der ersuchenden Behörde in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des EG-Beitreibungsgesetzes (EG-BeitrG) so lange unzulässig sei, bis die ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel in einer gesetzlich zulässigen Form vorlege. Im Übrigen wies das FG die Klage ab. Wegen der Begründung wird auf das in Entscheidungen der Finanzgerichte 2015, 182 veröffentlichte Urteil Bezug genommen.
Mit seiner Revision wendet sich der Kläger dagegen, dass das FG die Vollstreckung nicht uneingeschränkt für unzulässig erklärt hat und beruft sich darüber hinaus darauf, dass |
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die Zustellung eines "Bescheides", der in tschechischer Sprache gehalten ist, ohne Beifügung einer Übersetzung in die Landessprache am Sitz der ersuchten Behörde unwirksam sei, so dass es an einer wesentlichen Vollstreckungsvoraussetzung, der wirksamen Zustellung des Vollstreckungstitels, mangele; |
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die Vollstreckung unzulässig sei, weil die Forderung, wegen der vollstreckt werden solle, verjährt und demgemäß erloschen sei, § 257 i.V.m. § 232 der Abgabenordnung; |
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die Vollstreckung einer Geldstrafe erfolge, die im EG-Beitreibungsverfahren nicht zulässig sei; |
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eine Vereinbarung über die abschließende Regelung des Steuersachverhalts mit dem tschechischen Finanzamt getroffen worden sei, welche zumindest im Sinne eines pactum de non petendo auch der Vollstreckung entgegengehalten werden könne; |
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die ersuchende Stelle in dem Beitreibungsersuchen falsche Angaben gemacht habe. |
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und festzustellen, dass die Vollstreckung aus dem Beitreibungsersuchen der Tschechischen Republik vom 10. November 2008 derzeit unzulässig ist.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es schließt sich der Auffassung des FG an und teilt ergänzend mit, der Vollstreckungstitel liege nunmehr im Original vor.
II. Die Revision ist unbegründet. Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Tenorierung des FG, dass die Vollstreckung aus dem Beitreibungsersuchen der Tschechischen Republik vom 10. November 2008 so lange unzulässig ist, bis die ersuchende Behörde den Vollstreckungstitel in einer gesetzlich zulässigen Form vorlegt, nicht zu beanstanden. Das FG hat --vom Kläger unbeanstandet und in Anlehnung an die Senatsentscheidung vom 11. Dezember 2012 VII R 69/11 (BFH/NV 2013, 739)-- sein Rechtsschutzbegehren als Feststellungsklage gewertet, weil im Rahmen dieser Klage sämtliche vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfragen geprüft werden konnten, während der ursprüngliche auf Anfechtung der Ablehnung des Vollstreckungsaufschubs gerichtete Antrag zu kurz gegriffen habe und die zur Überprüfung gestellten Rechtshandlungen --das Beitreibungsersuchen, die Vollstreckungsankündigung und Zahlungsaufforderung sowie die Beauftragung des Vollziehungsbeamten-- keine Verwaltungsakte seien, die im Wege der Anfechtungsklage hätten beseitigt werden können.
Im Rahmen der Feststellung der Rechtswidrigkeit der aufgrund des Beitreibungsersuchens künftig zu erwartenden Vollstreckung begegnet es keinen Bedenken, wenn das FG die Vollstreckung wegen des unstreitigen Fehlens einer Vollstreckungsvoraussetzung, nämlich eines der Formvorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EG-BeitrG entsprechenden Zahlungsbescheids vom 21. Dezember 2007 in amtlicher Ausfertigung oder beglaubigter Kopie, für unzulässig erklärt, aber klarstellend ergänzt, dass dies nur so lange gilt, bis der Mangel beseitigt ist. Worin ein nicht hinzunehmender Schwebezustand, wie ihn der Kläger beanstandet, bestehen soll, ist nicht nachvollziehbar. Der Kläger übersieht, dass mangels bislang ergriffener Vollstreckungsmaßnahmen noch kein Eingriff in seine Rechtsposition vorliegt, der für unzulässig hätte erklärt werden können und müssen, sondern dem Feststellungsinteresse durch die Bezeichnung der fehlenden Vollstreckungsvoraussetzung Rechnung getragen ist. Da dieser Mangel durch Nachreichen des Zahlungsbescheids in der gesetzlich gebotenen Form zu beheben ist, besteht kein schützenswertes Interesse an einem vollständig neuen Beitreibungsersuchen.
2. Auch im Übrigen greifen die Einwendungen des Klägers gegen die Entscheidung des FG nicht durch.
a) Das FG hat in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die vom tschechischen Finanzamt ersuchte Vollstreckung eine Forderung betrifft, die nach dem EG-BeitrG im Wege der Amtshilfe beigetrieben werden kann. Es hat zutreffend darauf hingewiesen, dass das EG-BeitrG nach der Senatsrechtsprechung auf alle Forderungen im Zusammenhang mit --unter anderem-- Einkommensteuern Anwendung finde, insbesondere auch auf (Säumnis-)Zuschläge (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 21. Juli 2009 VII R 52/08, BFHE 226, 102, BStBl II 2010, 51).
Der Senat teilt auch die Würdigung des FG, dass die Forderung keine --vom EG-BeitrG nicht erfasste-- Sanktion mit strafrechtlichem Charakter darstellt, auch wenn im Beitreibungsersuchen von "Geldstrafe" die Rede ist und der im tschechischen Zahlungsbescheid verwendete Begriff in der wörtlichen deutschen Übersetzung "Geldstrafe" bedeuten mag. Denn nach den Feststellungen des FG handelt es sich um eine durch die Verwaltungsbehörde in Abhängigkeit vom Zahlungsverzug der Hauptschuld festgesetzte Nebenforderung, also einer solchen, die den Säumniszuschlägen der deutschen Abgabenordnung entspricht. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die überzeugenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen.
b) Auch die übrigen Einwände des Klägers gegen das FG-Urteil greifen nicht durch.
Der Senat folgt der Auffassung des FG, dass |
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die vermeintlich unwirksame Bekanntgabe des Zahlungsbescheids an den Kläger (wegen fehlender Übersetzung in die deutsche Sprache), |
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die vom Kläger behauptete Anfechtung dieses Bescheids, |
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eine angeblich getroffene Stundungs- bzw. Erlassvereinbarung mit der tschechischen Steuerbehörde und |
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der Einwand der Forderungsverjährung |
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wegen der in Art. 12 Abs. 1 bis 3 der Richtlinie 76/308/EWG des Rates vom 15. März 1976 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen im Zusammenhang mit Maßnahmen, die Bestandteil des Finanzierungssystems des Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft sind, sowie von Abschöpfungen und Zöllen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 73/18) bzw. der Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (Amtsblatt der Europäischen Union -ABlEU- Nr. L 150/28) festgelegten Kompetenzverteilung zwischen den Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht vom ersuchten FA und nicht vom FG zu prüfen sind. Nach der Rechtsprechung des Senats und des Gerichtshofs der Europäischen Union -EuGH- (Urteil vom 3. November 2010 VII R 21/10, BFHE 231, 500, BStBl II 2011, 401; EuGH-Urteil vom 14. Januar 2010 C 233/08, Kyrian, Slg. 2010, I 177), erlaubt es diese Kompetenzverteilung der ersuchten Behörde, hier also dem FA, grundsätzlich nicht, die materielle Richtigkeit der Forderung und die Vollstreckbarkeit des Vollstreckungstitels zu überprüfen. |
Demgemäß obliegt auch die Überprüfung der Wirksamkeit oder Ordnungsgemäßheit der Bekanntgabe bzw. Zustellung des Vollstreckungstitels der Behörde, die die Bekanntgabe bzw. Zustellung vorgenommen hat. Hat die um Beitreibung ersuchende Behörde nicht auf das Zustellungsverfahren nach der Richtlinie zurückgegriffen, sondern --wie im Streitfall-- den Vollstreckungstitel auf dem Postweg per Einschreiben mit Rückschein zugestellt, so hat grundsätzlich diese Behörde die Bekanntgabe nach Maßgabe der dortigen Rechtsvorschriften zu überprüfen (so jetzt auch klarstellend Art. 14 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2010/24/EU des Rates vom 16. März 2010 über die Amtshilfe bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Steuern, Abgaben und sonstige Maßnahmen (ABlEU Nr. L 84/1), welche dem seit 1. Januar 2012 in Kraft getretenen EU-BeitrG zugrunde liegt).
Ein Ausnahmefall, der sich bei einer Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung durch die Befolgung des Beitreibungsersuchens in Deutschland ergäbe, liegt nicht vor. Im Hinblick auf die eingehenden und in Anwendung der EuGH-Rechtsprechung (Kyrian in Slg. 2010, I-177) zutreffenden Ausführungen des FG erübrigt sich eine weitere Auseinandersetzung mit dem klägerischen Vorbringen. Zwar beruft sich die Revision für ihre Auffassung, der Zahlungsbescheid hätte in deutscher Sprache bekanntgegeben werden müssen, auf das genannte EuGH-Urteil. Der Kläger hat sich jedoch in keiner Weise mit den zutreffenden Darlegungen des FG auseinandergesetzt, wonach sich der vorliegende Fall von dem des EuGH dadurch unterscheidet, dass hier --anders als in jenem EuGH-Fall-- von der ersuchenden tschechischen Behörde eine Direktzustellung an den Kläger vorgenommen worden ist, deren Wirksamkeit sich nach tschechischem Recht beurteilt und deshalb der Überprüfung durch die ersuchte Behörde entzogen ist.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.