Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 13.07.2011


BFH 13.07.2011 - VII B 223/10

(Rechtsgrundlage für Milchabgabe - Ermächtigung der EG bzw. EU zur Abgabenerhebung im Rahmen der Marktorganisationen - Festsetzung durch Abgabenbescheid der Finanzbehörde - Sachlicher Anwendungsbereich von § 12 Abs. 6 MOG)


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
13.07.2011
Aktenzeichen:
VII B 223/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Düsseldorf, 6. Oktober 2010, Az: 4 K 1072/10 MOG, Urteil
Zitierte Gesetze
Art 3 EGV 1788/2003
§ 3 MilchAbgV
Art 34 Abs 2 EG

Leitsätze

1. NV: Die Erhebung der Milchabgabe hat eine hinreichende rechtliche Grundlage, selbst wenn Art. 3 Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 dahin zu verstehen sein sollte, dass die Union den Mitgliedstaaten eine Abgabepflicht auferlegt und ihr dafür die Regelungskompetenz fehlte .

2. NV: Die Milchabgabe kann durch Bescheid der Finanzbehörde festgesetzt werden, wenn sie seitens der Molkerei von dem Milchgeld nicht einbehalten und in der dem HZA zu erstattenden Abgabeanmeldung nicht erfasst worden ist .

Tatbestand

1

I. Gegen den Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist vom Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt --HZA--) durch Abgabebescheid eine Milchabgabe festgesetzt worden, weil im Milchwirtschaftsjahr 2004/05 Milch an die Molkerei geliefert worden sei, die seinem Betrieb zuzurechnen sei, für deren Lieferung er jedoch nicht über eine Milchquote verfügt habe. Die dagegen erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben.

2

Mit der gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Finanzgerichts erhobenen Beschwerde macht der Kläger geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf folgende beiden Fragen:

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1. "Ist die Erhebung einer Abgabe auf dem Milchsektor unter Berücksichtigung der durch die Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 vom 29. September 2003 eingeführten Veränderungen (die Mitgliedstaaten schulden der Gemeinschaft die Abgabe; die Erzeuger schulden dem Mitgliedstaat die Abgabe; Wechsel der Schuldnerschaft; es wird durch die EU gegenüber der Bundesrepublik Deutschland eine Abgabe erhoben) noch verfassungsgemäß und erfüllt sie noch die gemeinschaftsrechtlichen Voraussetzungen einer Abgabenerhebung?"

4

2. "Kann § 155 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 MOG als Ermächtigungsgrundlage für die antragslose Festsetzung von Milchabgaben herangezogen werden und ist eine derartige Festsetzung von Milchabgaben gegenüber einem Milcherzeuger, ohne dass dieser einen solchen Antrag auf Festsetzung gestellt hat, mangels anderer gesetzlicher Ermächtigungsgrundlage rechtswidrig?"

Entscheidungsgründe

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II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) hat keinen Erfolg. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

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1. Die Abgabeerhebung hat in der im Streitfall noch anzuwendenden Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschafen --ABlEG-- Nr. L 270/123) i.V.m. den dazu ergangenen ergänzenden deutschen Regelungen eine hinreichende rechtliche Grundlage.

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Nach Art. 3 dieser Verordnung schuldeten zwar, wie die Beschwerde richtig darstellt, die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft die Abgabe, und zwar insoweit, als sich diese aus der Überschreitung der festgelegten einzelstaatlichen Referenzmenge ergab. Diese Überschreitung war auf einzelstaatlicher Ebene und getrennt für Lieferungen und Direktverkäufe festzustellen und von dem einzelnen Mitgliedstaat gemäß den Art. 10 und 12 der Verordnung auf die Erzeuger aufzuteilen, die zu den jeweiligen Überschreitungen der einzelstaatlichen Referenzmengen beigetragen haben.

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Ob sich diese Regelungen, wie die Beschwerde meint, dahin charakterisieren lassen, dass die Gemeinschaft einerseits eine von dem Marktbürger seinem Mitgliedstaat geschuldete Abgabe und andererseits eine von den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft geschuldete Abgabe eingeführt habe, und ob der Gemeinschaft, wie die Beschwerde weiter geltend macht, für Letzteres die Regelungskompetenz fehlte, bedarf keiner ins Einzelne gehenden Erörterung. Wäre dies der Fall und hätte der Gemeinschaft nach dem damals maßgeblichen Vertragsrecht die Befugnis gefehlt, den Mitgliedstaaten finanzielle Lasten aufzuerlegen --auch hinsichtlich solcher Abgaben, die wie die Milchabgabe auf Abwälzung bzw. "Aufteilung" auf die Marktteilnehmer angelegt sind--, würden dadurch jedenfalls Rechte des Antragstellers nicht verletzt, so dass in dem von ihm angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden könnte, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die Gemeinschaft (heute: Union) ermächtigt war, ihren Mitgliedern Abgaben aufzuerlegen. Dass sie eine solche Ermächtigung hinsichtlich der Begründung einer Abgabenlast von Marktteilnehmern besaß (und noch heute besitzt), sich des Instruments der Abgabenerhebung also im Rahmen der Marktorganisationen insoweit bedienen darf, und dass sie in diesem Zusammenhang vorsehen kann, dass eine solche Abgabe von dem betreffenden Mitgliedstaat verwaltet (also insbesondere gegen den Abgabeschuldner festgesetzt und bei ihm erhoben) wird, ist bisher noch niemals bezweifelt worden und ist nicht zu bezweifeln. Auch die Beschwerde trägt jedenfalls keine nachvollziehbaren rechtlichen Erwägungen vor, aus welchen Bestimmungen des hier einschlägigen Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) in der Fassung des Vertrages von Maastricht über die Europäische Union und des Vertrages von Nizza (ABlEG Nr. C 2001, 80) oder aus welchen allgemeinen Rechtsgrundsätzen sich diesbezüglich Zweifel ergeben könnten. Vielmehr sieht Art. 34 Abs. 2 EGV ausdrücklich vor, dass die gemeinschaftsrechtlich gestaltete Organisation der Agrarmärkte "alle erforderlichen Maßnahmen einschließen kann". Dass dann aber, wie die Beschwerde geltend macht, solchen Maßnahmen die Art. 23 Abs. 1 Satz 2 und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes entgegenstehen könnten, obgleich die vorgenannten Verträge in Deutschland gemäß diesen Bestimmungen ratifiziert worden sind, vermag der beschließende Senat nicht zu erkennen.

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2. Es bedarf ebenso wenig der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass die von einem Milcherzeuger nach den einschlägigen Bestimmungen verwirkte Milchabgabe durch Bescheid der Finanzbehörde festgesetzt werden kann, wenn sie --wie hier-- seitens der Molkerei von dem Milchgeld nicht einbehalten und in der dem HZA zu erstattenden Abgabeanmeldung nicht erfasst worden ist.

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§ 12 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes zur Durchführung der gemeinsamen Marktorganisationen (MOG) ermächtigt dazu, durch Rechtsverordnung Vorschriften über das Verfahren bei Abgaben zu Marktordnungszwecken zu erlassen. Davon ist u.a. durch die hier ebenfalls noch anzuwendende Verordnung zur Durchführung der EG-Milchabgabenregelung (Milchabgabenverordnung --MilchAbgV--, i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. August 2004, BGBl I, 2143) Gebrauch gemacht worden. Diese sieht zwar eine Abgabefestsetzung durch Bescheid für den Regelfall nicht vor, sondern verpflichtet vielmehr --vereinfacht gesagt-- den Milchkäufer zu einer Anmeldung der Abgabe, welche eine behördliche Festsetzung naturgemäß erübrigt. Nach § 3 MilchAbgV sind indes die Behörden der Bundesfinanzverwaltung für die Durchführung der Verordnung und der EG-Milchabgabenregelung zuständig, soweit in der Verordnung nichts anderes bestimmt ist. Sie haben nach § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG dabei die Abgabenordnung anzuwenden, nach deren § 155 Abs. 1 Satz 1 Abgaben grundsätzlich durch Bescheid festgesetzt werden, wenn nichts anderes bestimmt ist. Dass der Milchkäufer die Abgabe anzumelden hat, ist keine anderweitige Bestimmung im Sinne dieser Vorschrift, die das HZA, wenn jener dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, daran hindern müsste, in diesem Fall die geschuldete Abgabe durch Bescheid festzusetzen.

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Dass der Abgabeschuldner, worauf die Beschwerde an sich richtig hinweist, nach § 12 Abs. 6 MOG verlangen kann, dass die Höhe der Milchabgabe durch die Bundesfinanzbehörden durch Abgabenbescheid festgesetzt wird, ändert daran nichts. Es betrifft, wie sich aus der Systematik der Vorschrift klar ergibt, lediglich den --hier nicht gegebenen-- Fall, dass der Abgabeschuldner nicht damit einverstanden ist, in welcher Weise der Abnehmer seiner Milch, also die Molkerei, die nach § 12 Abs. 3 Satz 1 MOG zum Einbehalten und Abführen der Milchabgabe verpflichtet werden kann und durch § 19 MilchAbgV auch verpflichtet worden ist, diese Pflicht erfüllt hat, also die Abgabe vom Milchgeld abgezogen, einbehalten, beim HZA angemeldet und an dieses abgeführt hat.