Bundesfinanzhof

Entscheidungsdatum: 12.06.2013


BFH 12.06.2013 - VII B 211/12

Aussetzung eines Vollstreckungsverfahrens wegen Verfassungsbeschwerde im Haftungsverfahren - Unbilligkeit von Vollstreckungsmaßnahmen bei Erlassantrag - Anforderungen an die Begründung eines Terminsverlegungsantrags


Gericht:
Bundesfinanzhof
Spruchkörper:
7. Senat
Entscheidungsdatum:
12.06.2013
Aktenzeichen:
VII B 211/12
Dokumenttyp:
Beschluss
Vorinstanz:
vorgehend FG Köln, 27. September 2012, Az: 14 K 832/12, Urteil
Zitierte Gesetze

Leitsätze

NV: Eine wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Verfahren gegen einen Haftungsbescheid erhobene Verfassungsbeschwerde kann im Vollstreckungsverfahren nicht vorgreiflich sein, wenn der Kläger den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft hatte (§ 90 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes). Das ist der Fall, wenn der vorgegebene Rechtsbehelf -- die Nichtzulassungsbeschwerde-- als unzulässig verworfen wurde.

Gründe

1

Die Beschwerde ist --bei Zweifeln an ihrer Zulässigkeit-- jedenfalls unbegründet. Keine der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erhobenen Rügen erfüllt die in § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abschließend aufgeführten Voraussetzungen für die Zulassung der Revision.

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1. Das Finanzgericht (FG) hat die Vertagung des Verhandlungstermins zu Recht abgelehnt, weil der Kläger keinen Vertagungsgrund i.S. des § 155 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung geltend gemacht hat. Verlegungsanträge hat er erst am Tag vor der mündlichen Verhandlung sowie am Verhandlungstag gestellt. Wird ein Terminsänderungsantrag erst kurz vor dem anberaumten Termin gestellt und mit einer plötzlichen Erkrankung begründet, ist der Beteiligte verpflichtet, die Gründe für die Verhinderung so anzugeben und zu untermauern, dass das Gericht die Frage, ob der Beteiligte verhandlungsfähig ist oder nicht, selbst beurteilen kann (Senatsbeschluss vom 14. Mai 1996 VII B 237/95, BFH/NV 1996, 902; Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Mai 2000 IV B 86/99, BFH/NV 2000, 1353).

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Diesen Anforderungen genügt die Begründung des Verlegungsantrags nicht. Die bloße Behauptung des Klägers, aufgrund physischer und psychischer Überlastung sei er kräftemäßig nicht in der Lage gewesen, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, enthält keine nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger tatsächlich reise- und verhandlungsunfähig war.

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2. Das FG war nicht verpflichtet, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen. Hängt die Entscheidung vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses ab, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, so ist es ins Ermessen des FG gestellt, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen (Senatsbeschluss vom 20. Juli 2000 VII B 47/00, BFH/NV 2001, 313, m.w.N.).

5

a) Das FG hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die vom Kläger behauptete Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil, mit dem die Klage gegen die der Vollstreckung zu Grunde liegenden Bescheide überwiegend abgewiesen, und gegen den Beschluss des BFH, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen worden ist, kein vorgreifliches Verfahren ist, welches die Aussetzung des Verfahrens rechtfertigen könnte. Unbeschadet dessen, ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) wegen der vom FG zu treffenden Ermessensentscheidung nach § 74 FGO einen rechtlichen Einfluss auf das auszusetzende Verfahren haben könnte (vgl. dazu den Senatsbeschluss in BFH/NV 2001, 313), kann die behauptete --wegen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erhobene-- Verfassungsbeschwerde schon deshalb nicht vorgreiflich sein, weil sie nicht zur Entscheidung angenommen wird. Der Kläger hat den Rechtsweg nicht ordnungsgemäß erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes), wenn der vorgegebene Rechtsbehelf --wie hier die Nichtzulassungsbeschwerde-- als unzulässig verworfen worden ist (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 3. Juli 2003  2 BvR 368/02, Deutsche Steuer-Zeitung 2004, 49, m.w.N.). Darüber hinaus hat der Kläger auch von der für den Vorhalt der Gehörsverletzung vorgesehenen Anhörungsrüge nach § 133a FGO keinen Gebrauch gemacht.

6

b) Auch im Hinblick auf den noch unbeschiedenen Erlassantrag des Klägers stellt die Ablehnung des FG, das Verfahren auszusetzen, keinen Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar. Das dem FG gemäß § 74 FGO eingeräumte Ermessen war nicht auf Null reduziert. Denn nach der Rechtsprechung des Senats sind Vollstreckungsmaßnahmen nur dann unbillig und kann eine Verfahrensaussetzung dementsprechend nur dann geboten sein, wenn mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit mit dem beantragten Erlass zu rechnen ist (BFH-Beschluss vom 11. April 1989 VII B 202/88, BFH/NV 1989, 766, 767, und vom 20. August 1991 VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317, 318, m.w.N.).

7

3. Soweit der Kläger eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO; Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) damit begründet, das FG habe sich nicht mit der Frage der Nichtigkeit des Haftungsbescheids sowie des den Haftungsbescheid bestätigenden FG-Urteils befasst, verkennt er, dass das FG das Vorliegen der Voraussetzungen des § 125 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ausdrücklich geprüft und verneint hat. Schon deshalb ist die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht schlüssig dargelegt. Das Recht der Beteiligten auf Gehör verpflichtet das Gericht im Übrigen nur, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das FG ist jedoch nicht verpflichtet, sich in der Begründung seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich zu befassen (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 12. November 2004 VII B 99/04, BFH/NV 2005, 932).

8

4. Mit Ausführungen zur vermeintlich rechtsfehlerhaften Entscheidung in dem abgeschlossenen Verfahren über die Wirksamkeit der Haftungsbescheide kann der Kläger die Zulassung der Revision im vorliegenden Verfahren, in dem es um die Vollstreckung dieser Bescheide geht, nicht erreichen. Die Annahme, dass jenes Urteil inzident im Streitfall zu prüfen sei, geht offensichtlich fehl. Abgesehen davon, dass das Urteil rechtskräftig und damit jeder weiteren Überprüfung entzogen ist, nimmt der Kläger offenbar die eindeutige gesetzliche Regelung in § 256 AO nicht zur Kenntnis, dass Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Verwaltungsakt --hier also den Haftungsbescheid-- außerhalb des Vollstreckungsverfahrens mit den hierfür zugelassenen Rechtsbehelfen zu verfolgen sind.