Entscheidungsdatum: 21.06.2012
NV: Der Festsetzung von Milchabgabe wegen Überschreitung der Referenzmenge des Milcherzeugers steht nicht entgegen, dass der betreffende Mitgliedstaat für den jeweiligen Zwölfmonatszeitraum keine Abgabe an die Union abzuführen hat.
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb hergestellte Milch sowie Milcherzeugnisse verkauft. Als Ergebnis einer bei der Antragstellerin durchgeführten Marktordnungsprüfung wurde (u.a.) festgestellt, dass diese im Zwölfmonatszeitraum 2006/2007 mit dem Verkauf von Milch und Milcherzeugnissen ihre Direktverkaufs-Referenzmenge nicht --wie von ihr angemeldet-- um … kg, sondern um … kg überschritten hatte. Hinsichtlich der Differenz versagte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) die Teilnahme am sog. Saldierungsverfahren und setzte mit Abgabenbescheid Milchabgabe gegen die Antragstellerin fest.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit Urteil vom 8. Februar 2012 4 K 132/10 (6) ab. Die Milchabgabe sei nach §§ 21, 24 der Verordnung zur Durchführung der EG-Milchabgabenregelung (MilchAbgV) vom 9. August 2004 (BGBl I 2004, 2143) zu Recht festgesetzt worden, weil die Antragstellerin mit der direkt verkauften Milch sowie der Äquivalenzmenge der Milcherzeugnisse, die das HZA zutreffend ermittelt habe, ihre Direktverkaufs-Referenzmenge überschritten habe. Da die Antragstellerin mit ihrer Abgabenanmeldung die ihre Direktverkaufs-Referenzmenge überschreitenden Mehrverkäufe nur unvollständig angegeben habe, sei sie mit diesen nachträglich ermittelten Mehrverkäufen gemäß § 14 Abs. 1 Satz 6 MilchAbgV vom Saldierungsverfahren ausgeschlossen. Da nach Art. 4 Unterabs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 (VO Nr. 1788/2003) des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- Nr. L 270/123) Milcherzeuger die Abgabe dem betreffenden Mitgliedstaat allein aufgrund der Überschreitung ihrer verfügbaren Referenzmengen schuldeten, komme es auch nicht darauf an, ob in dem Zwölfmonatszeitraum 2006/2007 die einzelstaatliche Referenzmenge überschritten worden sei.
Unter Bezugnahme auf die Gründe jenes Urteils lehnte das FG den Antrag der Antragstellerin auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) des Abgabenbescheids ab.
Mit ihrer vom FG zugelassenen Beschwerde macht die Antragstellerin geltend, die Abgabe dürfe nicht erhoben werden, weil die Bundesrepublik Deutschland der Union für den Zwölfmonatszeitraum 2006/2007 keine Abgabe wegen Überschreitung der einzelstaatlichen Referenzmenge für Direktvermarktungen schulde.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das FG hat die beantragte AdV des angefochtenen Abgabenbescheids zu Recht abgelehnt.
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen. Die Aussetzung soll erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).
1. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Bescheids neben für seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.
Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Der Ansicht der Beschwerde, eine Milchabgabe dürfe nicht erhoben werden, falls die Gesamtmenge der Lieferungen und Direktverkäufe die einzelstaatliche Referenzmenge nicht überschreite und daher die Bundesrepublik Deutschland der Union für den betreffenden Zwölfmonatszeitraum keine Abgabe schulde, ist nicht zu folgen. Mit diesem Vorbringen, mit dem allein der Aussetzungsantrag begründet wird, werden auch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abgabenbescheids geweckt.
Der beschließende Senat hat für Streitfälle, auf welche noch die Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 405/1) anzuwenden war, unter Hinweis auf deren Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 Satz 2, Abs. 2 Unterabs. 3 sowie auf Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor (ABlEG Nr. L 57/12) entschieden, dass zwischen den von den Mitgliedstaaten erhobenen Milchabgaben und den von ihnen an die Union abzuführenden Beträgen keine strenge Akzessorietät besteht (Senatsbeschlüsse vom 25. September 2003 VII B 309/02, BFHE 203, 243, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2004, 17, und vom 31. Mai 2006 VII B 48/05, BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373). Diese Vorschriften finden sich in entsprechender Weise in Art. 4 Unterabs. 1, Art. 11 Abs. 3 und Art. 13 Abs. 1 der im Streitfall anzuwendenden VO Nr. 1788/2003 sowie in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 595/2004 (VO Nr. 595/2004) der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur VO Nr. 1788/2003 (ABlEU Nr. L 94/22). Darüber hinaus machen die Vorschrift des Art. 4 Unterabs. 2 VO Nr. 1788/2003 sowie der 5. Erwägungsgrund zu dieser Verordnung deutlich, dass es für die Abgabenpflicht des Milcherzeugers in erster Linie auf die Überschreitung seiner verfügbaren Referenzmenge ankommt, die Heranziehung zur Abgabe also auf seiner persönlichen Verantwortlichkeit für die von ihm über seine Referenzmenge hinaus vermarktete Milch beruht (Senatsbeschluss in BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373).
Verhielte es sich so --wie die Beschwerde offenbar meint--, dass der jeweilige Mitgliedstaat zunächst die Höhe der an die Union zu entrichtenden Milchabgabe zu ermitteln hat und dieser Betrag anschließend auf die ihre Referenzmenge überschreitenden Milcherzeuger verhältnismäßig verteilt wird, bedürfte es weder der Möglichkeit einer Saldierung gemäß Art. 10 Abs. 3 VO Nr. 1788/2003 noch der Regelung in Art. 13 Abs. 1 VO Nr. 1788/2003 über die Verwendung erhobener Milchabgaben, welche die an die Union abzuführende Abgabe übersteigen.
Auch die Vorschriften über die Zeitpunkte der Entrichtung der Milchabgabe durch die Abnehmer bzw. die Direktverkäufer an den Mitgliedstaat (Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 4 VO Nr. 1788/2003; Art. 15 Abs. 1 VO Nr. 595/2004; § 19 Abs. 1, § 24 Satz 3 MilchAbgV) und durch den Mitgliedstaat an die Union (Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 1788/2003) machen deutlich, dass es i.S. des Art. 4 VO Nr. 1788/2003 um die Aufteilung einer erst fällig werdenden Abgabe des Mitgliedstaats geht, deren voraussichtliche Höhe anhand der festgestellten Überschreitungen verfügbarer Anlieferungs-Referenzmengen bzw. Direktverkaufs-Referenzmengen --ggf. berichtigt durch sog. Saldierungen-- ermittelt wird. Werden Überschreitungen verfügbarer Referenzmengen erst nachträglich ermittelt, ohne dass die betreffenden Liefermengen am Saldierungsverfahren teilnehmen, kann dies dazu führen, dass der betroffene Mitgliedstaat in der Summe einen höheren Abgabenbetrag von den Milcherzeugern erhebt, als er an die Union abzuführen hat. Dass ein solches Ergebnis unionsrechtlich nicht zu beanstanden ist, hat der beschließende Senat bereits mit Beschluss in BFHE 213, 459, ZfZ 2006, 373 ausgeführt.
Auch im Streitfall ist eine (weitere) Überschreitung der Direktverkaufs-Referenzmenge der Antragstellerin erst nachträglich festgestellt worden, die nach § 24 Satz 2 i.V.m. § 14 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 1 Satz 6 MilchAbgV nicht mit nicht genutzten Direktverkaufs-Referenzmengen anderer Milcherzeuger verrechnet werden kann, weil die Antragstellerin unvollständige Angaben über ihre tatsächlichen Direktverkäufe gemacht hat. Auf die zutreffenden Ausführungen des FG, gegen die die Beschwerde keine Einwendungen erhebt, wird insoweit verwiesen.
2. Anhaltspunkte für die Annahme, die Vollziehung des angefochtenen Bescheids hätte für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.