Entscheidungsdatum: 14.03.2011
1. NV: Der Eingangsstempel eines Gerichts erbringt grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens .
2. NV: Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus .
3. NV: Die eidesstattliche Versicherung ist ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises .
I. Das Finanzgericht München entschied im Verfahren 8 K 2633/08 am 24. September 2010 vorab durch Zwischenurteil und ließ die Revision zu. Das Urteil ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) am 8. Oktober 2010 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 8. November 2010 legte der Kläger gegen das Urteil Revision ein. Der in den Nachtbriefkasten des Bundesfinanzhofs (BFH) eingeworfene Schriftsatz wurde laut Eingangsstempel am 10. November 2010 entnommen und an diesem Tag mit der Eingangslistennummer 2182/10 erfasst. Der Stempel lautet im Einzelnen wie folgt:
"Dem Nachtbriefkasten heute entnommen aus dem Behältnis V (vor 24 Uhr) - Störungen am Nachtbriefkasten wurden nicht festgestellt.
Bundesfinanzhof
München, den 10.11.10
. . . . . . . . . . . . . ."
(Unterschrift) (Unterschrift)
Unterschrieben ist der Eingangsstempel von den Beamten Erster Justizhauptwachtmeister (E.JHW) A und Erster Hauptwachtmeister (E.HW) B des BFH. Lt. "Protokoll über die Leerung des Nachtbriefkastens des Bundesfinanzhofs" für den Monat November 2010 (Gerichtsakte Bl. 56) waren die genannten Beamten am 10. November 2010 für die Leerung des Nachtbriefkastens zuständig. Am 9. November 2010 war neben E.JHW A der Beamte E.HW C zuständig. Dies wird durch die eigenhändigen Unterschriften der genannten Personen im Protokoll dokumentiert.
Mit Schreiben vom 19. November 2010 teilte der Vorsitzende des erkennenden Senats dem Kläger mit, dass die Revision "erst am 9. November 2010 beim Bundesfinanzhof - und daher verspätet - eingegangen" sei. Daraufhin beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2010 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Zur Begründung trägt der Kläger unter entsprechender Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts und Steuerberaters S vor:
Die Prozessbevollmächtigte habe mit dem Kläger bereits am Freitag, den 5. November 2010, abgestimmt, dass die Revision am 8. November 2010 durch persönlichen Einwurf in den Briefkasten am Haupteingang des BFH eingelegt werden solle. Der Schriftsatz zur Einlegung der Revision sei an dem genannten Montag gegen 17:00 Uhr unterzeichnet worden. Anschließend sei der Kläger darüber informiert worden, dass die Revisionsschrift am selben Tag dem BFH zugehen werde.
Das Sekretariat der Prozessbevollmächtigten habe den DIN A4-Umschlag mit der Revisionsschrift am Nachmittag des 8. November 2010 fertig gestellt und S übergeben. S habe es persönlich übernommen, den Umschlag mit dem Schriftsatz auf seinem Heimweg nach Arbeitsschluss vom Büro nach Hause in den Gerichtsbriefkasten des BFH einzuwerfen.
S sei am Abend des 8. November 2010 noch bis ca. 20:00 Uhr in seinem Büro (…) tätig gewesen. Auf dem Weg nach Hause sei er zwischen 20:00 Uhr und 21.00 Uhr, jedenfalls mehrere Stunden vor Mitternacht, mit seinem Fahrzeug vom Effnerplatz kommend beim Haupteingang des BFH vorgefahren und habe den Briefumschlag in den ihm bestens bekannten Gerichtsbriefkasten rechts vom Haupteingang eingeworfen. S habe an diesem Gerät keine Irregularität feststellen können. Er sei deshalb bis zum Schreiben des Vorsitzenden des erkennenden Senats vom 19. November 2010 vom fristgerechten Zugang der Revisionsschrift ausgegangen. Es sei unerklärlich, wie es zu der Fristüberschreitung habe kommen können.
Da dem Kläger die nähere technische Beschaffenheit des Gerichtsbriefkastens des BFH nicht bekannt sei, könne und wolle er auch keine Vermutungen darüber anstellen, ob überhaupt und aufgrund welcher technischer oder eventuell auch menschlicher Vorkommnisse der nach bestem Wissen am 8. November 2010 eingeworfene Umschlag erst am 9. November 2010 beim BFH eingegangen sei.
In der beim BFH fristgerecht eingegangenen Revisionsbegründungsschrift beantragt der Kläger, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) zu verpflichten, unter Änderung des Nachforderungsbescheids vom 20. Dezember 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 7. Juli 2008 die Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer und Solidaritätszuschlag 2003 um 17.947,46 € herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.Die Revision ist unzulässig und deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Die Revision ist verspätet eingelegt worden; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht.
1. Die gegen das Zwischenurteil (§ 99 Abs. 2 FGO) gerichtete Revision ist verspätet eingelegt worden.
a) Nach § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen. Im Streitfall endete nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 8. Oktober 2010 die Revisionsfrist am 8. November 2010. Die ausweislich des beim BFH angebrachten Eingangsstempels erst am 9. November 2010 eingegangene Revision war daher verspätet.
b) Soweit der Kläger die sachliche Unrichtigkeit des Eingangsstempels in Zweifel zieht, kann dem nicht gefolgt werden.
Im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 121 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) muss der BFH von der Rechtzeitigkeit einer Rechtsmitteleinlegung überzeugt sein (BFH-Urteil vom 19. Juli 1995 I R 87, 169/94, BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19). Auch im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung kommt einer öffentlichen Urkunde entsprechend § 418 der Zivilprozessordnung (ZPO) ein hoher Beweiswert zu, so dass diese nach allgemeinen Erfahrungssätzen im Regelfall vollen Beweis für die in ihr beurkundeten Tatsachen erbringt. So erbringt der Eingangsstempel eines Gerichts grundsätzlich Beweis für Zeit und Ort des Eingangs eines Schreibens (BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BFH-Beschluss vom 7. April 1998 VII R 70/96, BFH/NV 1998, 1115; BFH-Beschluss vom 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 96 FGO Rz 95). Zwar ist der Gegenbeweis zulässig (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Rechtzeitigkeit des Eingangs muss aber zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden. Durch bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen ist der Gegenbeweis noch nicht erbracht (Zöller/Geimer, ZPO, 28. Aufl., § 418 Rz 4; s. auch BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1115, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 19. Mai 1999 VI B 342/98, BFH/NV 1999, 1460). Allein die kaum jemals völlig auszuschließende Möglichkeit, dass ein Nachtbriefkasten aus technischen Gründen nicht richtig funktioniert oder bei der Abstempelung Fehler unterlaufen, reicht zur Führung des Gegenbeweises nicht aus. Andererseits dürfen wegen der Beweisnot der betroffenen Partei die Anforderungen an den Gegenbeweis nicht überspannt werden (Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 14. Oktober 2004 VII ZR 33/04, Betriebs-Berater 2005, 182).
c) Im Streitfall hat der Kläger den Gegenbeweis dafür, dass der Eingangsstempel des BFH unzutreffend ist, nicht geführt. Seine Behauptung, S habe den Schriftsatz selbst am 8. November 2010 vor Mitternacht in den Nachtbriefkasten eingeworfen, kann mit der dem Senat vorgelegten eidesstattlichen Versicherung nicht bewiesen werden. Denn die eidesstattliche Versicherung ist letztlich ein Mittel der Glaubhaftmachung, aber nicht des Beweises (§ 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO; BFH-Urteil in BFHE 178, 303, BStBl II 1996, 19; BGH-Urteil vom 30. März 2000 IX ZR 251/99, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2000, 852). Die Glaubhaftmachung, die anders als der Vollbeweis nur eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung ist, kommt nur in den gesetzlich zugelassenen Fällen in Betracht (Zöller/ Greger, a.a.O., § 294 Rz 1; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 96 Rz 42).
Nach den Feststellungen des Senats funktionierte der Nachtbriefkasten des BFH im fraglichen Zeitraum einwandfrei; zu Störfällen ist es nicht gekommen, wie auch das erwähnte Protokoll dokumentiert. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die für die Leerung am 9. November 2010 zuständigen Bediensteten versehentlich ein falsches Datum (etwa 10. statt 9. November 2010) gestempelt und zu Protokoll gegeben hätten. Dagegen spricht bereits, dass E.HW B, dessen Unterschrift sich auf dem Eingangsstempel befindet, lt. erwähntem Protokoll am 9. November 2010 an der Leerung des Nachtbriefkastens nicht beteiligt war und deshalb die Unterschrift an diesem Tag weder auf dem Stempel noch im Protokoll leisten konnte. Es kommt hinzu, dass die Revisionsschrift ebenfalls erst am 10. November 2010 von der Gerichtsverwaltung als neues Verfahren "erfasst" worden ist. Regelmäßig wird nämlich die dem Nachtbriefkasten entnommene Post, die keinem Verfahren zugeordnet werden kann, unverzüglich der Erfassungsstelle weitergeleitet.
Die nicht völlig auszuschließende Möglichkeit, dass der nach Angaben des S am 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten eingeworfene Schriftsatz bei der Entleerung am Morgen des 9. November 2010 versehentlich nicht entnommen worden ist, reicht, wie dargestellt, zur Führung des Gegenbeweises nicht aus.
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Revisionsfrist kann nicht gewährt werden.
Eine solche Wiedereinsetzung ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert ist (§ 56 Abs. 1 FGO). Dabei muss sich der Beteiligte das Verschulden seines Bevollmächtigten wie eigenes Verschulden zurechnen lassen.
Das Vorbringen des Klägers ist nicht geeignet, ein Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Revisionsfrist auszuschließen. Nach der Darstellung des Klägers hat S, einer der beiden Unterzeichner der Revisionsschrift, den Schriftsatz persönlich am Abend des 8. November 2010 in den Nachtbriefkasten des BFH einwerfen wollen. Der Kläger hat nicht behauptet, dass der Einwurf durch ein von S nicht zu vertretendes Ereignis verzögert worden wäre. Wenn gleichwohl aus den genannten Gründen ein verspäteter Einwurf als bewiesen anzusehen ist, kann das nur daran liegen, dass der Schriftsatz zu spät aus dem Machtbereich der Prozessbevollmächtigten herausgelangt ist; das wäre nach dem von dem Kläger geschilderten Geschehensablauf nicht ohne Verschulden des S denkbar (s. BGH-Urteil in HFR 2000, 852).