Entscheidungsdatum: 29.07.2010
1. NV: Geht das Gericht auf einen wesentlichen Teil des Vorbringens eines Beteiligten nicht ein, lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war.
2. NV: Die Maßstäbe zur Bestimmung des Zuflusszeitpunkts gelten nicht nur in Fällen, in denen die der Versorgungsrückstellung zugeführten Beträge vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Barlohn bereitgestellt werden, sondern finden auch dann Anwendung, wenn die Beträge durch einvernehmliche Herabsetzung des laufenden Gehalts aufgebracht werden.
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2000) als Eheleute zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger bezieht aus seiner Tätigkeit bei der Firma X-GmbH (GmbH) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Gesellschafterversammlung der GmbH beschloss am 24. März 1999, u.a. dem Kläger eine betriebliche Zusatzversorgung anzubieten. Dazu sollten die Sonderzahlungen, die regelmäßig im Dezember eines Jahres fällig wurden, in der Weise "eingesetzt" werden, dass die betroffenen Arbeitnehmer auf die Sonderzahlungen verzichten und das Geld für die Zusatzversorgung verwandt werden sollte.
Am 8. März 2000 schloss die GmbH mit dem Kläger eine Vereinbarung über eine "Betriebliche Zusatzversorgung" ab. Darin heißt es u.a.:
1.1 In Anerkennung der Leistungen von Herrn Z und in der Erwartung weiterer guter Zusammenarbeit gewährt das Unternehmen Herrn Z einen Anspruch auf betriebliche Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Vereinbarung.
1.2 Mit dieser Zusatzvereinbarung verfolgt das Unternehmen die Absicht, Herrn Z und seinen Angehörigen im Alter, bei Invalidität und im Todesfall finanzielle Sicherheit zu geben.
1.4 ... Die Vertragsparteien sind sich einig, dass die Zusatzversorgung eine Versorgungszusage im Sinne des Betriebsrentengesetzes darstellen soll.
3.1 Altersversorgung aus der betrieblichen Zusatzversorgung erhält Herr Z, wenn er mit oder nach Erreichen der normalen Altersgrenze ... aus den Diensten des Unternehmens scheidet.
3.2 Für die Altersversorgung hat das Unternehmen einen Versorgungsaufwand (Versorgungskapital) von DM 1.350 ... festgelegt.
3.3 Der Versorgungsaufwand (Versorgungskapital) wird wie folgt angepasst:
a) Zahlungen des Unternehmens auf das Versorgungskapital in den Folgejahren:
b) und/oder Erhöhungen der Rendite, die sich aus der Anlage des Versorgungskapitals in AS-Fonds (Altersvorsorge-Sondervermögen) der Y-Bank ergibt.
5.1 Leistungen bei Invalidität erhält Herr Z auf Antrag, wenn er vor Erreichen der Altersgrenze aus den Diensten des Unternehmens ausscheidet und berufs- oder erwerbsunfähig ... ist.
6.1 Leistungen im Todesfall erhält auf Antrag der Ehegatte oder ein anderer genannter Begünstigter von Herrn Z, wenn sein Anstellungsverhältnis zum Unternehmen durch Tod endet.
Als begünstigte Person i.S. der Ziffer 6.1 ist die Klägerin benannt.
Die GmbH verwandte anschließend die bis dahin an den Kläger nicht ausgezahlte Sonderzahlung für 1999 in Höhe von 1.350 DM als Versorgungskapital im Sinne des Vertrags zum Erwerb von Fondsanteilen.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der GmbH erfasste der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) den Betrag von 1.350 DM im berichtigten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr als zusätzlichen Arbeitslohn. Das FA vertrat die Auffassung, die Zusatzversorgung sehe eine Vererblichkeit der Anwartschaften vor mit der Folge, dass es sich nicht um eine betriebliche Altersversorgung nach dem Betriebs-Altersversorgungsgesetz handele. Die Beiträge seien vorgelagert zu besteuern.
Das Einspruchsverfahren blieb ohne Erfolg. In der Einspruchsentscheidung heißt es u.a.:
Nach dem Erlass des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 4. Februar 2000 IV C 5 S -2332- 11/00 (BStBl I 2000, 354) liege eine betriebliche Altersversorgung nach dem Betriebs-Altersversorgungsgesetz nicht vor, wenn zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Vererblichkeit von Anwartschaften vereinbart sei. Vereinbarungen, nach denen künftig fällig werdender Arbeitslohn teilweise gutgeschrieben und ohne Abdeckung eines biometrischen Risikos zu einem späteren Zeitpunkt ggf. mit Wertsteigerung ausgezahlt werde, bezögen sich nicht auf eine betriebliche Altersversorgung. Im strittigen Vertrag liege zwar vom Wortlaut her keine Vererblichkeit vor, es werde jedoch dem Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt, jederzeit einen Dritten als Begünstigten zu benennen. Die Person des Begünstigten könne der Kläger jederzeit auswechseln. Die Vereinbarung sei ein Ansparmodell und diene nicht der betrieblichen Altersversorgung. Deshalb könne die Geldanlage nicht als betriebliche Altersversorgung mit nachgelagerter Besteuerung behandelt werden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und verwies zur Begründung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung des FA (§ 105 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG Rheinland-Pfalz und den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 17. Dezember 2004 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der Senat hält die Rüge der Kläger, dass das FG ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (§§ 96 Abs. 2, 119 Nr. 3 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt hat, für begründet.
1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt und auch zur Rechtslage zu äußern. Dieser Anspruch verpflichtet das Gericht, diese Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Eine Verpflichtung, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen auseinanderzusetzen, besteht allerdings nicht (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 5. Dezember 1995 1 BvR 1463/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1996, 153). Geht das Gericht jedoch auf einen wesentlichen Teil des Vorbringens eines Beteiligten nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfG-Beschluss vom 19. Mai 1992 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 119 FGO Rz 183; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 119 FGO Rz 50).
2. Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Das FA hat in der Einspruchsentscheidung das erwähnte BMF-Schreiben vom 4. Februar 2000 zur Grundlage seiner Rechtsauffassung gemacht. Auf die Einspruchsentscheidung hat das FG in der angefochtenen Entscheidung maßgeblich Bezug genommen (§ 105 Abs. 5 FGO). Auf das im Schriftsatz vom 18. September 2008 zum Ausdruck gebrachte Anliegen der Kläger, dass die Vereinbarung vom 8. März 2000 zeitlich vor dem BMF-Schreiben und dessen amtlicher Verkündung fixiert worden ist und vorher eine andere Rechtsauffassung herrschend gewesen sei, ist das FG in den Entscheidungsgründen nicht eingegangen. Es hat nicht geprüft, ob bereits dieser Umstand der Anwendung des BMF-Schreibens entgegenstehen könnte. Den Entscheidungsgründen kann auch nicht entnommen werden, dass das FG eine von den Klägern abweichende Rechtsauffassung vertreten und den Einwand der Kläger für rechtsunerheblich oder offensichtlich unsubstantiiert gehalten hat.
Die Kläger haben insoweit ihr Rügerecht nicht verloren. Da sich die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs erst aus den Entscheidungsgründen selbst ergibt, war ihnen eine Rüge in der mündlichen Verhandlung nicht möglich (Lange in HHSp, FGO, § 119 Rz 226).
Wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör nicht (hinreichend) gewährt worden ist, ist das Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht anzusehen (§ 119 Nr. 3 FGO). Liegt ein absoluter Revisionsgrund i.S. des § 119 FGO vor, muss das Revisionsgericht zurückverweisen und sich jeder sachlichen Stellungnahme enthalten (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. September 2001 I R 101/99, BFH/NV 2002, 493; Gräber/ Ruban, a.a.O., § 119 Rz 3; Lange in HHSp, § 119 FGO Rz 36).
3. Der Senat weist auf folgende Gesichtspunkte hin:
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH begründet nicht der Anspruch auf die Leistung den gegenwärtigen Zufluss von Arbeitslohn, sondern erst die Erfüllung dieses Anspruchs in der Weise, dass der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt und dem Arbeitnehmer die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter verschafft. Mit der Zusage des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer künftig Leistungen zu erbringen, ist der Zufluss eines geldwerten Vorteils in der Regel noch nicht verwirklicht. Dementsprechend stellen etwa die Zuführungen des Arbeitgebers zu einer Pensionsrückstellung bei der Erteilung einer Direktzusage im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung mangels Zuflusses von Vermögenswerten beim Arbeitnehmer noch keinen (regelmäßig steuerpflichtigen) Lohnzufluss dar.
Die Maßstäbe zur Bestimmung des Zuflusszeitpunkts gelten nicht nur in Fällen, in denen die der Versorgungsrückstellung zugeführten Beträge vom Arbeitgeber zusätzlich zum geschuldeten Barlohn bereitgestellt werden, sondern finden auch dann Anwendung, wenn die Beträge durch einvernehmliche Herabsetzung des laufenden Gehalts aufgebracht werden ("arbeitnehmerfinanzierte betriebliche Altersversorgung" durch aufgeschobene Vergütung). Mit dieser Einordnung ist regelmäßig zugleich die Verlagerung des Besteuerungszugriffs vom Zeitpunkt der Zusage und der Gehaltsherabsetzung auf den (späteren) Eintritt des Versorgungsfalls verbunden. Der Besteuerungsaufschub trägt dem Erfordernis Rechnung, dass die Steuererhebung aus zwingenden verfassungsrechtlichen Gründen erst dort ansetzen darf, wo der Arbeitnehmer eine Steigerung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfährt, indem sein steuerlich relevantes Vermögen durch eine durch das Arbeitsverhältnis veranlasste Zuwendung tatsächlich vermehrt wird. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Arbeitgeber mit seinen Leistungen dem Arbeitnehmer einen unmittelbaren und unentziehbaren Rechtsanspruch gegen einen Dritten verschafft (BFH-Urteil vom 22. November 2006 X R 29/05, BFHE 216, 124, BStBl II 2007, 402, m.w.N.; Senatsurteile vom 12. April 2007 VI R 55/05, BFHE 217, 558, BStBl II 2007, 619, und vom 11. Dezember 2008 VI R 9/05, BFHE 224, 70, BStBl II 2009, 385; Senatsbeschluss vom 16. September 1998 VI B 155/98, BFH/NV 1999, 457; s. auch Pflüger in Herrmann/ Heuer/Raupach, § 19 EStG Rz 391; Schmidt/Drenseck, EStG, 29. Aufl., § 19 Rz 50, Stichwort Versorgungszusage).