Entscheidungsdatum: 30.11.2011
1. NV: Bestimmungen aus dem Rechtsberatungsgesetz und der Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes begründen jedenfalls seit dem 1. Juli 2008 keine Ausnahme vom Vertretungszwang nach § 62 Abs. 4 FGO .
2. NV: Zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 53 Abs. 3 Satz 1 FGO genügt eine Aufforderung durch den Berichterstatter oder durch die Geschäftsstelle; ein Beschluss des FG ist nicht erforderlich .
3. NV: Bei einer zulässigen Zustellung nach § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO begründet die Behauptung einer längeren Postlaufzeit keinen Grund für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand .
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt die Erteilung der Lohnsteuerklasse III.
Er lebt gemeinsam mit seiner Ehefrau und seinem Kind in X (Afrika). Er erhält Versorgungsbezüge, die im Inland lohnversteuert werden. Nachdem er erfolglos bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) die Erteilung der Lohnsteuerklasse III beantragt hatte, erhob er Klage mit dem Verpflichtungsantrag auf Erteilung einer solchen Lohnsteuerklasse.
Im finanzgerichtlichen Verfahren ist er durch den Berichterstatter vergeblich zur Bestellung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert worden. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ohne Revisionszulassung ab. Das Urteil wurde am 5. November 2010 mit einfachem Brief zur Post gegeben.
Mit am 27. Januar 2011 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schreiben stellte der Kläger hinsichtlich des FG-Urteils den Antrag, Rechtsgeschäfte beim BFH gemäß "§ 10 RberV" selbst durchführen zu können. Er habe juristische Kenntnisse. Der begehrten Selbstvertretung stehe § 62 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht entgegen. Denn diese Norm schließe "§ 10 RberV" nicht aus. Als Beteiligter dürfe er sich selbst vertreten, was aus "Satz 7" einer Vorschrift folge. Im Falle einer Zurückweisung der beanspruchten Selbstvertretung würde der Kläger in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt und diskriminiert.
II. Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.
1. Der angerufene Senat versteht das Schreiben des Klägers vom 25. Januar 2011, mit dem er letztlich die Verfolgung seiner Rechte begehrt, als Nichtzulassungsbeschwerde.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind auch außerprozessuale und prozessuale Rechtsbehelfe in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) auszulegen, wenn es an einer eindeutigen und zweifelsfreien Erklärung des wirklich Gewollten fehlt (vgl. etwa BFH-Urteile vom 1. September 1998 VIII R 46/93, BFH/NV 1999, 596; vom 19. Juni 1997 IV R 51/96, BFH/NV 1998, 6; vom 30. August 1994 IX R 42/91, BFH/NV 1995, 481). Dabei ist im Zweifel davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige denjenigen Rechtsbehelf hat einlegen wollen, der seinem materiell-rechtlichen Begehren am ehesten zum Erfolg verhilft (vgl. etwa BFH-Urteil vom 11. September 1986 IV R 11/83, BFHE 147, 403, BStBl II 1987, 5). Das FG hat die Revision nicht zugelassen, wogegen der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 116 FGO vorgehen konnte.
2. Dem Kläger steht ein Selbstvertretungsrecht aus "§ 10 RberV" nicht zu. Sollte er damit § 10 der Verordnung zur Ausführung des Rechtsberatungsgesetzes meinen, kann er daraus keine Ausnahme vom Vertretungszwang nach § 62 Abs. 4 FGO herleiten. Diese Norm, die ohnehin mit Ablauf des 30. Juni 2008 außer Kraft getreten ist (Art. 20 Satz 4 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts --RBerNG-- vom 12. Dezember 2007, BGBl I 2007, 2840), ist nicht einschlägig. Denn diese Vorschrift betrifft die Erlaubnis einer Rechtsberatung für juristische Personen. Aus dem ebenfalls seit dem 30. Juni 2008 außer Kraft getretenen Rechtsberatungsgesetz (Art. 20 Satz 4 Nr. 1 RBerNG) ergibt sich zudem nichts anderes.
Vor dem BFH muss sich --wie auch aus der Rechtsmittelbelehrung in dem vorbezeichneten Urteil hervorgeht-- jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine Behörde handelt, durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen; zur Vertretung berechtigt sind auch Gesellschaften i.S. des § 3 Nrn. 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch solche Personen handeln (§ 62 Abs. 4 FGO). Im Streitfall ist die Beschwerde nicht von einer solchen Person oder Gesellschaft eingelegt worden; die Beschwerde ist daher als unzulässig zu verwerfen.
Gegen diesen Vertretungszwang bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere liegt darin kein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts --BVerfG-- vom 20. August 1992 2 BvR 1000/92, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1992, 729 zur Vorgängervorschrift des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs).
3. Die Beschwerde ist darüber hinaus auch unzulässig, weil der Kläger sie nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim BFH eingelegt hat (vgl. § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO).
Das angefochtene Urteil ist dem Kläger wirksam gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO mit der Aufgabe zur Post am 5. November 2010 zugestellt worden. Der Beschwerdeführer hat trotz richterlicher Aufforderung und Hinweises auf die verfahrensrechtlichen Folgen bis zum 5. November 2010 keinen inländischen Zustellungsbevollmächtigten benannt. Zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten ist ein Beschluss des FG nicht erforderlich; es reicht eine Aufforderung durch die Geschäftsstelle des Gerichts auf richterliche Anordnung hin aus (BFH-Beschluss vom 24. Mai 1984 VIII R 77/82, juris, m.w.N.). Mithin genügt --wie hier-- erst recht die Aufforderung durch den Berichterstatter selbst. Gemäß § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO gilt deshalb das Urteil mit der Aufgabe zur Post am 5. November 2010 als dem Kläger wirksam zugestellt (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Juni 1986 VII R 30/83, BFH/NV 1986, 755).
Gegen die Regelung des § 53 Abs. 3 Satz 2 FGO bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfG-Beschluss vom 19. Februar 1997 1 BvR 1353/95, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1772).
Die Beschwerdefrist von einem Monat endete danach (der 5. Dezember 2010 war ein Sonntag) mit Ablauf des 6. Dezember 2010 (vgl. § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1, 2 der Zivilprozessordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB). Die Beschwerde ist erst am 27. Januar 2011 und damit verspätet eingegangen.
Dem Kläger kann wegen Versäumung der Beschwerdefrist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) gewährt werden. Auf Antrag ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Die Fristversäumnis ist jedoch nicht ohne Verschulden des Klägers eingetreten. Seine Behauptung, er habe das Urteil mit einfachem Brief am 25. Januar 2011 erhalten, vermag eine schuldlose Fristversäumung nicht zu begründen. Wer wie der Kläger bei einem Aufenthalt im Ausland mit dem Eingang behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen sowie mit der Notwendigkeit darauf bezogener fristgebundener Rechtsbehelfe rechnen muss, hat nach der Rechtsprechung alle Maßnahmen zu treffen, die nach vernünftigem Ermessen geeignet sind, die Versäumnis von Fristen auszuschließen (BFH-Beschlüsse vom 13. November 1989 III B 107/88, BFH/NV 1990, 649; vom 27. August 1997 XI B 118, 119, 149/96, XI S 43, 44, 50/96, BFH/NV 1998, 617; vom 30. März 2006 VII B 197/05, BFH/NV 2006, 1487). Dazu muss er insbesondere sicherstellen, dass fristauslösende Schriftstücke rechtzeitig zu seiner Kenntnis gelangen (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BFHE 190, 292, BStBl II 2000, 175). Diese Voraussetzungen hat der Kläger nicht erfüllt, obwohl er durch das FG zu der Bestellung eines Zustellungsbevollmächtigten aufgefordert worden war.