Entscheidungsdatum: 03.02.2010
1. NV: Die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 74 FGO ist eine Ermessensentscheidung des FG.
2. NV: Eine Aussetzung von Klageverfahren kann berechtigt und auch geboten sein, wenn ein anhängiges Verfahren vor dem BVerfG unmittelbar die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung und nicht nur den Vorwurf der verfassungswidrigen Anwendung einer an sich verfassungsgemäßen Norm durch die Gerichte betrifft.
3. NV: Bloße Subsumtionsfehler des FG rechtfertigen die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alt FGO) nicht.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beschwerde den Begründungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) genügt, denn sie ist jedenfalls unbegründet, da eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) nicht erforderlich ist. Darüber hinaus liegt auch kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
1. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung liegt nur vor, wenn das Finanzgericht (FG) bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der BFH oder ein anderes FG. Das FG muss seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschluss vom 9. Juli 2008 VI B 4/08, BFH/NV 2008, 2000; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 53; jeweils m.w.N.).
Solche nicht übereinstimmenden Rechtssätze liegen im Streitfall nicht vor. Der von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) als Divergenzentscheidung herangezogene Beschluss des BFH vom 7. Februar 1992 III B 24, 25/91 (BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408) geht entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BFH davon aus, dass die Entscheidung über die Aussetzung des Klageverfahrens eine Ermessensentscheidung des FG ist. Dementsprechend lautet auch der Leitsatz der Entscheidung insoweit: "Eine Aussetzung des Klageverfahrens nach § 74 FGO kann geboten sein, wenn vor dem BVerfG bereits ein nicht als aussichtslos erscheinendes Musterverfahren gegen eine im Streitfall anzuwendende Norm anhängig ist." Diese Rechtsauffassung hat auch das FG zu Grunde gelegt. Der von den Klägern herangezogene Beschluss benennt weiter einzelne bei der Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Aspekte. Danach kann eine Aussetzung von Klageverfahren berechtigt und auch geboten sein, wenn das anhängige Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) unmittelbar die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Regelung und nicht nur den Vorwurf der verfassungswidrigen Anwendung einer an sich verfassungsgemäßen Norm durch die Gerichte betrifft. Es muss sich weiter um echte Musterprozesse handeln, dieselbe in ihrer Verfassungsmäßigkeit streitige Vorschrift maßgebend sein, die Sachverhalte hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Streitfrage im Wesentlichen gleichgelagert sein, bei den FG eine Vielzahl gleichartiger Fälle anhängig sein (Massenverfahren), das Musterverfahren vor dem BVerfG darf nach Auffassung des FG nicht offensichtlich aussichtslos sein und schließlich darf keiner der Beteiligten ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung des FG über die Verfassungsmäßigkeit der umstrittenen gesetzlichen Regelung trotz des beim BVerfG bereits anhängigen Verfahrens haben. Ein solches berechtigtes Interesse könne, so weiter der Beschluss des BFH in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408, z.B. gegeben sein, wenn ein Kläger beim BVerfG zusätzlich neue Gesichtspunkte vortragen will.
Gemessen daran hat das FG bei seiner Entscheidung keinen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt, der im Sinne des vorgenannten Rechtsmaßstabs von den tragenden Rechtsausführungen der Divergenzentscheidung (BFH-Beschluss in BFHE 166, 418, BStBl II 1992, 408) abweicht. Denn auch das FG hat unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH bei seiner Entscheidung, ob das Verfahren auszusetzen ist, die Interessen der Beteiligten und die prozessökonomischen Gesichtspunkte berücksichtigt und in seine Erwägung eingestellt, dass die beklagte Behörde den streitigen Einkommensteuerbescheid mit einem entsprechenden Vorläufigkeitsvermerk ergänzt hatte sowie, dass eine weitere Aussetzung des Verfahrens zu einer erneuten Verzögerung der Entscheidung führen würde, nachdem das Klageverfahren bereits seit rund 13 Jahren anhängig gewesen sei. Wenn das FG aufgrund dieser Erwägungen nicht zu der von den Klägern gewünschten Ermessensentscheidung gelangt war, begründet dies keine Divergenz im Hinblick auf die zu Grunde gelegten Rechtssätze. Denn es entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass eine Divergenz in der Würdigung von Tatsachen, die fehlerhafte Umsetzung von Rechtsprechungsgrundsätzen auf die Besonderheiten des Einzelfalles oder bloße Subsumtionsfehler des FG nicht die Zulassung der Revision wegen Divergenz rechtfertigen können (z.B. BFH-Beschlüsse vom 16. Januar 2007 VI B 35/06, BFH/NV 2007, 941, m.w.N.; vom 8. März 2004 VII B 334/03, BFH/NV 2004, 974). Auch dadurch, dass die Kläger den Ermessenserwägungen des FG ihre eigenen entgegenstellen und sich damit im Ergebnis gegen die sachliche Richtigkeit der Ermessensentscheidung wenden, können sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.
2. Die Kläger können sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass das Nichtaussetzen des Verfahrens gemäß § 74 FGO im Streitfall einen Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO begründet. Denn nach der Rechtsprechung des BFH ist bei einem als Verfahrensmangel gerügten Verstoß gegen § 74 FGO zu berücksichtigen, dass --wie schon ausgeführt-- die Aussetzung des Verfahrens im Ermessen des FG steht. Die schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels in der Form der ermessensfehlerhaften Nichtaussetzung des Verfahrens erfordert es daher, dass die Verfahrensrüge darlegt, aufgrund welcher konkreten Umstände des Falles das dem FG hierbei eingeräumte Ermessen ausnahmsweise "auf Null reduziert" und die Aussetzung des Verfahrens deshalb aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzig richtige Entscheidung gewesen sein soll (z.B. BFH-Beschluss vom 5. März 2003 VII B 381/02, BFH/NV 2003, 931). Zu Unrecht gehen die Kläger insoweit davon aus, dass dann, wenn das Bundesministerium der Finanzen durch Allgemeinverfügung ein Ruhen von Einspruchsverfahren anordnet, dies auch für die Aussetzung von Klagen vor den FG gelten müsse. § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung und § 74 FGO stimmen weder in ihren tatbestandlichen Voraussetzungen noch in ihren Rechtsfolgen in der Weise überein, dass jede behördliche Verfügung über das Ruhen von Einspruchsverfahren den FG jeden Ermessensspielraum für die Entscheidung des Ruhens beziehungsweise Aussetzung des Verfahrens nimmt.
3. Wenn die Kläger schließlich weiter als Verfahrensmangel rügen, dass das FG nicht über die von ihnen erklärte Hauptsacheerledigung hinsichtlich der geltend gemachten Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung entschieden habe, liegt auch insoweit kein Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Denn die Kläger übersehen insoweit, dass sich im Streitfall die Hauptsache nicht durch ein nach Rechtshängigkeit eingetretenes außerprozessuales Ereignis erledigt hat, welches das Klagebegehren insoweit objektiv gegenstandslos gemacht hätte. Im Streitfall ist es vielmehr so, dass die Kläger nach der Entscheidung des BVerfG über die künftige einkommensteuerrechtliche Berücksichtigung von Krankenversicherungsbeiträgen (BVerfG-Beschluss vom 13. Februar 2008 2 BvL 1/06, BVerfGE 120, 125, BGBl I 2008, 540) mit der dort angeordneten Fortgeltung der für mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar erklärten Vorschriften bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2009 das Interesse an der weiteren Verfolgung ihres den Veranlagungszeitraum 1993 betreffenden Rechtsstreits insoweit verloren haben. Indessen begründet der bloße Wegfall des Interesses an der weiteren Verfolgung des Rechtsstreits keine Erledigung der Hauptsache (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 2006 IX R 8/04 BFH/NV 2006, 1657, m.w.N.). In diesem Fall hat ein Sachurteil zu ergehen, dessen Kostenausspruch sich nicht nach § 138 FGO, sondern nach § 135 FGO richtet (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 138 Rz 1; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 138 FGO Rz 9). Dementsprechend hat das FG mit seinem die Klage abweisenden Sachurteil und der auf § 135 Abs. 1 FGO gestützten Kostenfolge auch entschieden.
Angesichts dessen liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das FG mit dieser Verfahrensweise den Klägern das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verwehrt hätte. Das FG hat insoweit die "Erledigungserklärung" der Kläger zur Kenntnis genommen, wie sich auch aus dem Tatbestand der angegriffenen Entscheidung ergibt, und entsprechend der Sach- und Rechtslage entschieden. Dass diese Entscheidung nicht den Erwartungen entspricht, welche die Kläger unzutreffender Weise mit ihrer Erledigungserklärung verbunden hatten, begründete keinen rechtserheblichen Gehörsverstoß.
Aus den nämlichen Gründen wenden die Kläger schließlich auch zu Unrecht ein, dass die Entscheidung nicht mit Gründen versehen sei.