Entscheidungsdatum: 09.03.2012
NV: Es ist höchstrichterlich geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine innergemeinschaftliche Lieferung gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG trotz Verstoßes gegen Nachweispflichten steuerfrei ist .
I. Die Klägerin und Antragstellerin (Klägerin) begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für das unter dem Aktenzeichen V B 91/11 beim erkennenden Senat anhängige Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision im Urteil des Finanzgerichts (FG).
Die Klägerin macht geltend, der Fall sei von grundsätzlicher Bedeutung. Darüber hinaus erfordere die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH). Zu klären sei, ob für eine Steuerbefreiung der Lieferung von Fahrzeugen in das übrige Gemeinschaftsgebiet Besteller und Rechnungsempfänger identisch sein müssten, auch wenn feststehe, dass die Lieferung an einen Unternehmer im gleichen Mitgliedstaat erfolgt sei, der dort der Erwerbsbesteuerung unterliege. Weiter bedürfe es zur Fortbildung des Rechts einer höchstrichterlichen Klärung, ob der objektive Nachweis einer innergemeinschaftlichen Fahrzeuglieferung dann nicht erbracht sei, wenn die Zeitspanne zwischen Abholung des Fahrzeugs bzw. Abmeldung im Inland und der Zulassung im Bestimmungsland einen Monat überschreite.
Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 142 der Finanzgerichtsordnung --FGO-- i.V.m. § 117 Abs. 2 der Zivilprozessordnung --ZPO--) hat die Klägerin innerhalb der Beschwerdefrist vorgelegt.
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
2. Im Streitfall bietet das Beschwerdeverfahren keine hinreichenden Erfolgsaussichten, weil die in der Beschwerdeschrift geltend gemachten Zulassungsgründe nicht vorliegen.
a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zuzulassen. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (vgl. BFH-Beschluss vom 25. Januar 2011 V B 144/09, BFH/NV 2011, 863). Es muss sich um eine klärungsbedürftige Rechtsfrage handeln, die im Revisionsverfahren geklärt werden kann. Daran fehlt es hier.
aa) Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, unter welchen Voraussetzungen eine innergemeinschaftliche Lieferung gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a der im Streitjahr gültigen Fassung des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) trotz Verstoßes gegen Nachweispflichten steuerfrei ist.
Kommt der Unternehmer den Nachweispflichten gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. der im Streitjahr gültigen Fassung der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV) nicht oder nur unvollständig nach, erweisen sich die Nachweisangaben bei einer Überprüfung als unzutreffend oder bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit der Angaben, die der Unternehmer nicht ausräumt, ist von der Steuerpflicht der Lieferung auszugehen; trotz derartiger Mängel ist die Lieferung aber steuerfrei, wenn objektiv zweifelsfrei feststeht, dass die Voraussetzungen der Steuerfreiheit erfüllt sind (BFH-Urteile vom 12. Mai 2009 V R 65/06, BFHE 225, 264, BStBl II 2010, 511, unter II.B.2.b; vom 17. Februar 2011 V R 30/10, BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769, unter II.2.c), es sei denn, der Verstoß gegen die Nachweispflichten (die formellen Anforderungen) verhindert den sicheren Nachweis, dass die materiellen Anforderungen der Steuerfreiheit erfüllt werden (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union --EuGH-- vom 27. September 2007 C-146/05, Collée, Slg. 2007, I-7861, BFH/NV 2008, Beilage 1, 34, zweiter Leitsatz; BFH-Urteil in BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769, a.a.O.).
Aufgrund der personenbezogenen Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a und b, Nr. 3 UStG setzt die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung insbesondere voraus, dass der Unternehmer nachweist, wer Abnehmer seiner Lieferung ist. Dient der Verstoß gegen die Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a ff. UStDV dazu, die Identität des Erwerbers zu verschleiern, um diesem im Bestimmungsmitgliedstaat eine Mehrwertsteuerhinterziehung zu ermöglichen, kann der Unternehmer die Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferung auch nicht aufgrund des objektiven Nachweises ihrer Voraussetzungen in Anspruch nehmen (EuGH-Urteil vom 7. Dezember 2010 C-285/09, R, BFH/NV 2011, 396, Leitsatz; BFH-Urteil in BFHE 233, 341, BStBl II 2011, 769, unter II.2.c).
Von diesen Grundsätzen ist das FG ausgegangen und hat die Steuerfreiheit der streitgegenständlichen Lieferungen verneint, da die Klägerin nicht dargelegt habe, wer Abnehmer der Lieferung gewesen sei und erhebliche Zweifel daran bestünden, dass die Besteller bzw. Rechnungsempfänger die Abnehmer der Fahrzeuge seien.
bb) Soweit die Klägerin meint, die Abnehmer hätten aufgrund eines objektiven Nachweises zweifelsfrei festgestanden, macht sie eine unzutreffende Beweiswürdigung und damit einen materiell-rechtlichen Fehler (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165, m.w.N.) geltend. Ein Fehler bei der Rechtsanwendung kann nur ausnahmsweise nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen, wenn es sich um einen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler handelt, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Ein derartiger Fehler liegt jedoch nur dann vor, wenn die angefochtene FG-Entscheidung objektiv willkürlich und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 25. März 2010 X B 176/08, BFH/NV 2010, 1455, m.w.N.). Einen solchen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des FG hat die Klägerin nicht dargelegt.
b) Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ist nicht notwendig. Da es sich bei dem Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung um einen speziellen Tatbestand der Grundsatzrevision handelt, muss der Beschwerdeführer darlegen, dass eine konkrete abstrakte Rechtsfrage im Interesse der Allgemeinheit klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschluss vom 16. November 2009 I B 58/09, BFH/NV 2010, 905, unter II.1.). Daran fehlt es hier.
aa) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob für eine Steuerbefreiung der Lieferung von Fahrzeugen in das übrige Gemeinschaftsgebiet Besteller und Rechnungsempfänger identisch sein müssten, auch wenn feststehe, dass die Lieferung an einen Unternehmer im gleichen Mitgliedstaat erfolgt sei, der dort der Erwerbsbesteuerung unterliege, ist --wie dargestellt-- bereits geklärt.
bb) Auch das Vorbringen der Klägerin, eine Entscheidung des BFH sei erforderlich zu der Frage, ob der objektive Nachweis einer innergemeinschaftlichen Fahrzeuglieferung dann nicht erbracht sei, wenn die Zeitspanne zwischen Abholung des Fahrzeugs bzw. Abmeldung im Inland und der Zulassung im Bestimmungsland einen Monat überschreite, führt nicht zur Zulassung der Revision wegen Fortbildung des Rechts. Die Frage, wann der objektive Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung erbracht ist, kann nur unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls beantwortet werden und ist deshalb keine Rechtsfrage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung, die einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts bedürfte (vgl. BFH-Beschluss vom 29. November 2002 V B 148/02, BFH/NV 2003, 351, zum objektiven Nachweis der Verwendungsabsicht).